22-Jähriger greift nach WM-Titel im Schach Magnus Carlsen versetzt Norwegen in Ausnahmezustand

Olso · Der erst 22-jährige Norweger Magnus Carlsen ist auf dem besten Weg, neuer Schach-Weltmeister zu werden. Seine Heimat ist zu einem Land der Schachfans geworden.

Magnus Carlsen: Schach-Wunderkind und norwegischer Popstar
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Die Wintersportnation Norwegen hat ein neues Idol — und das hat mit Eis und Schnee nichts am Hut. Seit der erst 22-jährige Magnus Carlsen im indischen Chennai um die Schach-Krone kämpft, verbreitet sich in seinem Heimatland ein neues Virus. Der Hype um Carlsen kennt dabei (fast) keine Grenzen. Einer Umfrage zufolge rangieren in der Gunst der Sportfans nur noch die mehrfachen Langlauf-Olympiasieger Petter Northug und Marit Bjorgen vor dem "Mozart des Schachs".

"Die Angestellten arbeiten nicht mehr, die Studenten studieren nicht mehr, in den Schulen lassen die Lehrer den Fernseher laufen", wird Carlsens Manager Espen Agdestein in der Zeit zitiert. Und die Schach-Begeisterung macht selbst vor Biathlon-Idol Ole Einar Bjorndalen und seinen norwegischen Mannschaftskollegen nicht halt.

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Auf ihren Smartphones und per Livestream verfolgen sie im Trainingslager die WM-Partien zwischen Carlsen und dem indischen Titelverteidiger Viswanathan Anand. "Carlsen ist eine Klasse für sich. Ich habe keine Worte dafür, wie er das macht", sagte Bjorndalen der Boulevardzeitung VG: "Ich hoffe, er gewinnt." Die Chancen stehen gut: Beim Stand von 5:3 braucht der Herausforderer nur noch 1,5 Punkte zum Sieg. Das neunte Duell findet am Donnerstag statt.

Carlsen erreicht im Fernsehen 40 Prozent Marktanteil

Die Live-Berichterstattung des staatlichen Fernsehsenders NRK übertrifft ebenfalls alle Erwartungen, mit teilweise über 40 Prozent Marktanteil sind die mehrstündigen Übertragungen am Vormittag zum Gassenhauer geworden. Am ersten Wochenende sahen über 700.000 Menschen die Berichterstattung - wohlgemerkt in einem Land mit einer Einwohnerzahl von gerade einmal fünf Millionen. Die Rechte für die TV-Übertragungen soll sich NRK für angeblich 1,5 Millionen Euro gesichert haben. Insgesamt werden 100 Stunden Schach live im Fernsehen übertragen.

"Für uns ist die WM das vielleicht größte Sportevent des Jahres", sagte Oyvind Brenne, Sportchef von VG. Dutzende norwegische Journalisten berichten in Chennai vor Ort. Sowohl über Gehaltvolles, als auch über (vermeintlich) Belangloses. Und das nicht nur über Carlsen, sondern auch über Gegner Anand.

So weiß der geneigte Leser in Norwegen jetzt, was der noch amtierende Weltmeister Anand am liebsten isst ("meist indisch, aber auch italienisch und chinesisch"), welche Filme er in den Pausen bevorzugt ("Herr der Ringe") oder welche Musik er hört ("Coldplay").

Die Tageszeitung Dagbladet führte sogar ein Interview mit der russischen Schachspielerin Alexandra Kostenjuk, die Carlsen 2009 bezwang - allerdings wegen eines technisches Fehlers. Carlsen hatte verbotenerweise zuerst eine Figur berührt und dann eine andere gezogen. Das entsprechende Video zu dem Fauxpas wurde bereits mehr als 200.000 Mal angeklickt.

Unterdessen ist auf der sportpolitischen Ebene eine Diskussion ausgebrochen, ob Schach als Sport anzusehen ist. Bisher ist der Schachverband nicht Mitglied der norwegischen Sport-Dachorganisation NIF. Gespräche darüber sollen nach der WM allerdings folgen.

NIF-Präsident Borre Rognlien will Carlsen offenbar aus strategischen Überlegungen "enger an uns binden". Eine Einladung, das Norwegen-Haus bei den Olympischen Winterspiele in Sotschi zu besuchen und dort ein Showmatch zu bestreiten, sprach er bereits aus. Allerdings wurde Rognlien in der Vergangenheit bereits mehrfach mit der Aussage zitiert, das Schach kein Sport sei. Davon will er aber mittlerweile nichts mehr wissen. Natürlich.

Und Carlsen selbst? Der gibt sich vom ganzen Trubel um seine Person genauso unbeeindruckt wie bisher von den Angriffen seines Gegners auf dem Schachbrett. Ihn freue das Interesse, sagte Carlsen lediglich und versprach, sein "Bestes" zu geben.

(sid)
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