Bloß kein neues Schwimm-Debakel Biedermann und Co. wollen bei EM in die Erfolgsspur zurück

Berlin · Das krisengeplagte deutsche Schwimm-Team will bei der Heim-EM in Berlin ein erneutes Debakel verhindern. Dafür müssen wieder die "alten Hasen" um Paul Biedermann in die Bresche springen.

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Foto: afp, LEON NEAL

In der Erfolgsspur der famos gestarteten Freiwasserschwimmer wollen Paul Biedermann und Co. bei der Heim-EM in Berlin nachlegen. Doch ein ähnlicher Medaillenregen der Beckenschwimmer wie bei den traumhaften Titelkämpfen an selber Stelle vor zwölf Jahren (22 Mal Edelmetall) ist illusorisch. Deutschland ist auch in Europa keine Schwimm-Macht mehr. Das oberste Ziel lautet deshalb, nach Olympia 2012 und der WM im vergangenen Jahr ein erneutes Debakel zu verhindern.

"Wir wollen uns zu Hause gut verkaufen, mit einer positiven Ausstrahlung und möglichst mit Bestzeiten. Eine stimmungsvolle und erfolgreiche Heim-EM würde uns viel Schwung für Olympia geben", sagte Bundestrainer Henning Lambertz. DSV-Präsidentin Christa Thiel sieht den am Montag beginnenden Wettkämpfen im Velodrom dagegen ohne große Erwartungen entgegen: "Von den Beckenschwimmern lassen wir uns mal überraschen."

Das offizielle Ziel lautet sechs bis acht Medaillen. Dafür müssen wieder einmal die "alten Hasen" in die Bresche springen. Weltrekordler Biedermann, Vizeweltmeister Marco Koch, der Olympia-Vierte Steffen Deibler, die WM-Achte Dorothea Brandt, Schmetterling-Schwimmerin Franziska Hentke - das sind wohl die einzigen Medaillenhoffnungen in den Einzelrennen.

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Biedermann sieht sich nach dreiwöchiger Trainingspause in der Vorbereitung allerdings als "kleine Wundertüte". Im Trainingslager auf Sardininen habe sich der Doppel-Weltmeister von 2009 "richtig reingehauen", versicherte Lambertz. Doch ob es reicht, sich bei seinem ersten internationalen Wettbewerb auf der Langbahn seit zwei Jahren in der Weltspitze zurückzumelden, bleibt abzuwarten.

Biedermann lässt Starts offen

Richtungweisend dafür ist sein mögliches Duell gegen den französischen Olympiasieger und Weltmeister Yannick Agnel. "Ich werfe nicht vorher schon die Flinte ins Korn. Aber ich werde sehr kämpfen müssen", sagt Biedermann. Auf welchen Strecken der Olympia-Fünfte an den Start gehen wird, ist noch offen. "Der Stand ist, dass ich alle Strecken schwimmen möchte", sagte der Weltrekordler. Ob er von den 100, 200 und 400 Metern Freistil eine Strecke auslasse, wolle man kurzfristig entscheiden.

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Das Mammutprogramm, das sich der Hallenser vorgenommen hat, beginnt am Montag mit den 400 m. "Selbst unter normalen Umständen wäre das Programm schon sehr hart, das habe ich so noch nie absolviert", sagte Biedermann, der in der EM-Vorbereitung knapp drei Wochen erkrankt aussetzen musste: "Ich muss es ausprobieren. Eins ist klar: Ich brauche mehr Regeneration als sonst."

Nicht verzichten will der Weltrekordler über 200 und 400 m auf die 4x200-m-Freistil- und die Lagenstaffel. "Die sage ich auf keinen Fall ab", erklärte Biedermann, "da werde ich mir ein Bein ausreißen." Auch seine Paradestrecke 200 m, auf der es zum Duell mit dem französischen Olympiasieger und Weltmeister Yannick Agnel kommt, will der Hallenser unbedingt schwimmen. "Für mich ist das auf jeden Fall das Highlight", sagte er, "Yannick ist der ganz große Star hier in Berlin."

Offen ist somit vor allem, ob Biedermann auch über 100 m Freistil antritt. Auf die Sprintdistanz hat er sich in diesem Jahr verstärkt konzentriert. In der europäischen Bestenliste ist er auf dieser Strecke aktuell ebenso die Nummer zwei wie über 200 m. Über 400 m liegt er dagegen nur auf Rang sechs.

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Koch geht als Goldfavorit ins Rennen

Eine klare Medaillenbank ist dagegen Marco Koch. Der Darmstädter, der vor einem Jahr mit Silber die einzige WM-Medaille des deutschen Teams gewonnen hatte, geht nach dem Verzicht seines ungarischen Widersachers Daniel Gyurta über 200 m Brust als Goldfavorit ins Rennen.

Außerdem hat Koch seinen eigenen deutschen Rekord (2:08,33) im Visier: "Dafür reißen wir uns doch jeden Morgen den Arsch auf." Zuletzt stellte Koch seine Ernährung um, speckte fünf Kilo ab und hat seitdem "ein extrem gutes Gefühl im Wasser".

Steffen Deibler will dagegen endlich den Langbahn-Fluch beenden: Noch immer wartet der Kurzbahn-Weltrekordler auf seine erste internationale Einzel-Medaille. Vor einem Jahr in Barcelona verpasste der Hamburger WM-Bronze um acht Hundertstelsekunden, weil er zu schnell angegangen war. Das soll "nicht noch einmal passieren", sagt der 27-Jährige, der sich für die EM extra eine neue Kampffrisur zugelegt hat.

Überraschungen aus der zweiten Reihe sind nicht zu erwarten. Das von Lambertz ins Leben gerufene Perspektivteam hat den Anschluss an die Spitze noch nicht geschafft. Einige Talente zogen zuletzt sogar den Zorn des Bundestrainers auf sich, weil sie in der Vorbereitung eine "laxe Einstellung" an den Tag gelegt und die EM-Qualifikation verpasst hatten.

"Wir können innerhalb kurzer Zeit aus Kohle keine Diamanten machen", sagte Lambertz. Sein Konzept sei auf die Olympischen Spiele 2016 und 2020 ausgerichtet. Bis dahin müssen es die Etablierten richten.

(sid)
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