Surfer Sebastian Steudtner Auf der Jagd nach der Riesenwelle

Sebastian Steudtner ist der beste Surfer der Welt. Vor Portugal findet er die Bedingungen für Rekorde – und benötigt dafür eine spannende Mischung aus Geduld und Draufgängertum.

 Sebastian Steudtner und das Meer: Die Wellen, die der Nürnberger surft, sind haben Hochhausniveau.

Sebastian Steudtner und das Meer: Die Wellen, die der Nürnberger surft, sind haben Hochhausniveau.

Foto: dpa

Sebastian Steudtner ist der beste Surfer der Welt. Vor Portugal findet er die Bedingungen für Rekorde — und benötigt dafür eine spannende Mischung aus Geduld und Draufgängertum.

Sebastian Steudtner (29) kann warten. Warten auf die nächste Welle, auf die Big Wave, die ihn bis auf Hochhausniveau hievt. Auf Wellen, an denen er mehr als eine halbe Minute lang entlang rasen kann. Steudtner hat gelernt, geduldig zu sein. Einen ganzen Tag lang kann er auf dem Jetski sitzen oder auf dem Surfbrett liegen, bis die eine, die große, die riesige Welle kommt, auf die er es abgesehen hat.

Wenn die Welle kommt, lässt er sich vom Jetski hoch hinauf auf die Wassermassen ziehen. Die Hände fest am Seil. Die Füße fixiert in zwei Schlaufen auf dem Surfbrett. Dort, wo die Welle bricht, lässt er los. Er versucht, den Weg in den Tunnel zu finden, um an der Wasserwand entlang Schwünge zu ziehen, den über ihn hereinbrechenden Fluten zu entkommen, sich nicht von der Welle verschlucken zu lassen.

"Die Welle lässt einen raus oder eben nicht", sagt Steudtner. Der Nürnberger ist einer der besten Big-Wave-Surfer der Welt. Vielleicht sogar der beste. Aber bis er weiß, ob ihm der Platz an der Spitze gebührt, muss er warten. Das kann er ja. Erst Ende April werden die "XXL Big Wave Awards" verliehen. Eine Jury wertet die Videos aus, die die Surfer eingereicht haben, um den besten der Saison zu ermitteln.

Kann gut sein, dass Steudtners Ritt vor zwei Wochen Anerkennung als Weltrekord findet. Zwischen 25 und 28 Meter maß — ersten Experteneinschätzungen zufolge — die Welle vom Tal bis zum Kamm. Noch hält der Australier Garett McNamara den Weltrekord mit rund 24 Meter. Schauplatz der Rekordjagd ist der Nordstrand von Nazaré, rund 100 Kilometer nördlich von Portugals Hauptstadt Lissabon gelegen. Vor der Küste befindet sich der Nazaré Canyon, eine über 230 Kilometer lange Meeresschlucht mit einer Tiefe von bis zu 5000 Metern. Das Ende dieses Unterwasser-Canyons liegt unmittelbar vor der Küste. Die Strömungsverhältnisse an Strand und Fels führen dazu, dass hier im Spätherbst und Winter die höchsten Wellen der Welt entstehen.

Zwischen September und März, wenn die Touristen abgezogen sind, haben die Surfer Saison. Nur die zerklüftete Küste Irlands kann mit Portugal mithalten. Steudtner und sein Team studieren Satellitenbilder und Wetterdaten zehn Tage im voraus. Entsprechend richten sie ihre Reisepläne aus: Irland oder Portugal. Heute hier, morgen da, immer auf der Jagd nach den gigantischen Wasserwänden. Europas Atlantikfront geriet erst in jüngeren Jahren ins Blickfeld der Surfer. Denn Heimat der Big Waves ist Hawaii. Dort hat auch Steudtner diesen Sport gelernt.

Mit ein bisschen Dümpelei auf dem Bodyboard im Bretagne-Urlaub fing alles an. Neun Jahre war Steudtner damals alt. Wieder daheim in Nürnberg verlegte sich Sebastian aufs Windsurfen auf bayerischen Seen. "Man muss eine Leidenschaft für Wasser und Meer entwickeln", sagt er. Steudtners Leidenschaft ließ ihn mit 16 Jahren die Schule in Franken verlassen und für ein Austauschjahr nach Hawaii zu gehen. Das Internat dort bestand aus ein paar Hütten, vermittelte Mathe und Englisch notdürftig per Fernunterricht, Lehrer vor Ort gab es nicht. Dafür Wind und Wasser und Wellen: Windsurfen bis zum Umfallen.

Steudtner stellte sich geschickt an. Um sich den Sport zu finanzieren, jobbte er als Bauarbeiter. Er lernte die Familie von Nelson Armitage, eines echten Hawaiianers kennen, die ihn aufnahm. Die Familie lehrte ihn das Big-Wave-Surfen. Er gibt sich mit dem jetzt Erreichten nicht zufrieden. Anders als 2010, als er schon einmal Saisonbester war, macht er weiter, weiter, weiter.

Der 30. November, der Tag seines wahrscheinlichen Rekords, ist schon fast verdrängt. Immer höher hinaus will. Die optimale Strömungsrichtung, leichter Wind von der Landseite — davon träumt er. Rund 20 Teams weltweit betreiben den Sport derart professionell. Dank ein paar Sponsoren und mit Vorträgen vor Managern kommt er über die Runden. Zusammen mit einem Freund betrieb er zeitweise ein kleines Unternehmen, das Türsteher vermittelte. Jetzt hat er ein Crowdfunding-Projekt aufgelegt, mit dem 37.000 Euro zusammengekommen sind. Einziger Zweck des Förderprojekts: der Weltrekord.

In Deutschland gewinnt er durch seinen Rekordritt an Popularität. Im Kölner Sport- und Olympiamuseum stehen zwei seiner Boards. Am Samstagabend ist er zu Gast im Aktuellen Sportstudio des ZDF. Er wird in einem Hotel mit Fitnessraum wohnen. Auf Luxus legt er bei seinen Reisen nicht viel Wert, wohl aber auf ein "Gym". Steudtner muss fit sein, um es mit den Gewalten der Natur aufzunehmen. Ausgeprägte Rumpf- und Beinmuskulatur sind neben dem Gleichgewichtssinn besonders wichtig, damit er sich auf dem Brett halten kann. Er stemmt Gewichte, fährt Rad, läuft. Auf seinem Smartphone ist der Übungsplan gespeichert, den ihm ein Sportwissenschaftler geschrieben hat.

Der Sport hat auch eine psychische Komponente. "Man muss die Ruhe bewahren", sagt Steudtner über die Momente, in denen die Wasserberge über ihn hereinbrechen. Mit Apnoe-Tauchen, also ohne Sauerstoffgerät, bereitet er sich vor. 40 Meter tief war er schon. Im Ruhezustand kann er fünfeinhalb Minuten lang die Luft anhalten. Big-Wave-Surfer kalkulieren ein, dass sie unter der Welle ohnmächtig werden können.

"Die Sicherheit ist für uns Thema Nummer eins", versichert der Franke. Nach eineinhalb Minuten, so der Plan, muss der Jetskifahrer aus dem Begleitteam seinen Surfer gefunden und geborgen haben. Unter dem Neoprenanzug, der ihn in erster Linie vor der Kälte schützt, trägt Steudtner eine Auftriebsweste, die denen ähnelt, die Skiläufer auf lawinengefährdetem Terrain tragen. In Portugal steht Steudtner für den Notfall medizinisches Gerät der Marine zur Verfügung. Das Restrisiko redet sich der Surfer klein. "Auf einer deutschen Autobahn ist es gefährlicher", sagt er, "da habe ich schon mehr lebensbedrohliche Situationen erlebt als auf dem Wasser."

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