Chinas Nationalheld Ma Long Der Tischtennis-Kaiser

Bremen · 100 Millionen Chinesen fiebern mit, wenn Ma Long (29) aufschlägt. Gestern hat er die German Open gewonnen. Wer ist dieser Nationalheld, der die Tischtennis-Weltspitze dominiert? Eine Begegnung in Bremen.

 Ma Long (r.) macht ein Selfie mit Xu Xin, den er gerade im Finale der German Open mit 4:1 besiegt hat.

Ma Long (r.) macht ein Selfie mit Xu Xin, den er gerade im Finale der German Open mit 4:1 besiegt hat.

Foto: dpa, hak

100 Millionen Chinesen fiebern mit, wenn Ma Long (29) aufschlägt. Am Sonntag hat er die German Open gewonnen. Wer ist dieser Nationalheld, der die Tischtennis-Weltspitze dominiert? Eine Begegnung in Bremen.

Als Ma Long den Matchball zum 4:1 gegen Timo Boll verwandelt, ballt der Chinese kurz die Faust. Bei den German Open hat er sich gerade mit der Nummer eins der Welt, Boll, ein hochklassiges Viertelfinalduell geliefert. Ma dreht ein 4:9 im vierten Satz, dann ein 5:10 im fünften Durchgang. Doch er jubelt nicht laut. Er klatscht mit allen ab und winkt trotz Weltklasse-Leistung eher schüchtern gen Tribüne.

Wäre Ma Long ein Fußballprofi, Bremens früherer Trainer Thomas Schaaf hätte seine Freude an dem 29-Jährigen gehabt: ruhig, bodenständig, voll auf Erfolg aus. Das Bremer Publikum in der ÖVB-Arena honoriert das. Obwohl "ihr Timo" gerade ausgeschieden ist, applaudieren rund 5000 Fans dem Chinesen. Für Ma war dieser Halbfinaleinzug harte Arbeit. Er sinkt auf einen Stuhl, vergräbt die filigranen Hände und das Gesicht im Handtuch. Sekunden nach dem Triumph wirkt dieser Nationalheld und derzeit wohl beste Tischtennisspieler der Welt mal nicht wie ein Roboter.

Fast zwei Jahre lang stand er ununterbrochen an der Spitze der Weltrangliste. Erst Dimitrij Ovtcharov gelang es, ihn im Februar abzulösen. Eine Handgelenksverletzung und die Berechnung der Weltrangliste, die Ausfallzeiten bestraft, warfen Long zurück. Fortan galten Boll und Ovtcharov nicht mehr nur als ärgste Herausforderer der traditionell übermächtigen Chinesen. Sie hatten sie laut Rangliste hinter sich gelassen. "Das hat die Chinesen massiv geärgert", sagt Thomas Weikert, Präsident des Internationalen Tischtennisverbandes, "darum waren sie hier in Bremen von Beginn an heiß".

In der Mixed Zone wartet nach dem Viertelfinale eine Handvoll Journalisten aus China. Daheim dürften wieder Hundert Millionen Fans mitgefiebert haben. Die Euphorie ist den Medienleuten anzumerken, einer macht gleich ein Selfie mit Ma. Er nimmt das hin. Dem Sender "CCTV" beantwortet er dann exakt eine Frage und entschwindet, ohne die beiden ausländischen Journalisten eines Blickes zu würdigen. Ma Long lässt das ungelöste Rätsel seiner Gefühlswelt zurück.

In der chinesischen Provinz Anshan im Norden Chinas gewann er seinen allerersten Titel, das hat er dem "New York Times Travel Magazine" verraten. Im Alter von zwei oder drei Jahren war das, genau wisse er das nicht mehr. Wie passend für den Athleten, der sich an Niederlagen klar erinnern kann, an Siege aber meist nicht. Mit elf Jahren verließ er die Heimat, ging ins 100 Kilometer entfernte Shenyang und dann nach Peking. Ma zog aus, um der beste Spieler der Welt zu werden. Es gibt Bilder davon, wie er als Schüler mit einem Orden für "harte Arbeit" geehrt wird. Er lächelt schüchtern, als sei ihm Aufmerksamkeit schon damals unangenehm gewesen.

"Mein Trainer zwang mich, im Spiel laut zu jubeln"

"Ich fühlte mich nie danach, im Spiel laut zu jubeln. Mein Trainer zwang mich aber, und ich tat es widerwillig", sagt Ma. Der Olympiasieger und Doppel-Weltmeister rangiert seit mehr als zehn Jahren in den Top Ten der Welt. Er ist der Roger Federer des Tischtennis - nur jünger. Ma Longs Spiel lebt von seinem Selbstbewusstsein. Einst fehlte ihm die mentale Stärke. Doch der Superstar hat sich weiterentwickelt.

Ma Long weiß mittlerweile die harte Offensive durch weiche Spinbälle zu ersetzen, immer wenn er spürt, dass der Gegenüber nach eigenen Angriffen giert. Im Halbfinale beim 4:2 gegen Chun Ting Won (4:2) war das so, gegen Boll auch schon. "Der Gegner braucht meist zwei Sätze, um sich an Schnelligkeit und Spielsystem von Ma Long zu gewöhnen", sagte Boll. "Aber wenn man zwei Sätze hinten ist, kann man ihn kaum noch schlagen."

Die Finalshow in Bremen gehörte denn auch ganz den Chinesen. 4:1 siegte Ma gegen Xu Xin, die Nummer fünf der Setzliste. Ma Long feuerte sich ungewöhnlich häufig selbst an. Als er sich mit seinem fünften German-Open-Titel krönte, da entfuhr ihm ein lautes "Cho!" - und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

(ball)
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