Vierschanzentournee Anders Jacobsen, der fliegende Klempner

Seefeld/Düsseldorf · Der Norweger gilt nach zwei Springen als klarer Favorit der Vierschanzentournee. Heute wird die Qualifikation für den Wettbewerb in Innsbruck ausgetragen.

Vierschanzentournee 12/13: Das 2. Springen
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Vierschanzentournee 12/13: Das 2. Springen

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Anders Jacobsen steht auf einem Flur des Hotels Alpendorf im Tiroler Seefeld. Kameras nehmen die Nummer eins der Vierschanzentournee ins Visier, Mikrofone recken sich ihm entgegen. Jacobsen ist gekleidet wie Udo Jürgens, wenn er zur Zugabe auf die Bühne kommt und weibliche Fans mehrerer Generationen bis nah an die Ohnmacht treibt: Er trägt nur einen weißen Bademantel.

Beim Skispringer Anders Jacobsen ist die Kleidung Ausdruck von Lässigkeit, wie sie vielen Nordeuropäern zueigen ist, und wie sie einem gebührt, der der Konkurrenz mal eben gezeigt hat, was er nach einem Jahr freiwilliger Pause noch drauf hat. Der schmale Sportler kommt gerade aus der Kältekammer.

Bei 110 Grad minus — das ist selbst für einen kälteerprobten Norweger ziemlich frisch — sollten sich die vom schnellen Rhythmus der ersten Tourneetage strapazierten Muskeln erholen. Die Methode zur Regeneration ist bewährt, unter anderem beugt sie Muskelkater vor. Unvergessen sind die Bilder des französischen Fußballstars Franck Ribéry, der bei der Europameisterschaft im Sommer in einem Kältefass steckte.

"Es war unglaublich kalt", sagte Jacobsen nach drei Minuten dieser Kryotherapie, bei der er nur mit Unterhose, Gesichtsmaske, Handschuhen und robusten Winterstiefeln bekleidet in der Kältekammer umherging, "es fiel mir schwer zu atmen, der ganze Körper wurde steif. Ich war froh, dass ich mich anschließend auf ein warmes Wasserbett legen konnte." Jacobsen, 27, hat die Wettbewerbe in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen vor dem österreichischen Supermann Gregor Schlierenzauer gewonnen. Entspannt und voller Selbstvertrauen bereitet er sich auf den dritten Wettbewerb auf dem Bergisel über Innsbruck (Qualifikation, heute ab 13.45 Uhr, ARD) vor.

"Fairy tail" (Märchen) und "awesome" (hier: überwältigend) sind derzeit seine Lieblingsvokabeln, wenn er in einem durch untertitelte amerikanische Filme geprägten Englisch über seine aktuellen Erfolge plaudert. Mitstreiter und Konkurrenten bewundern ihn. Die "Kanonenkugel von Hønefoss " nennen ihn die Teamkameraden. Wie eine Fledermaus fliege er, sagen viele. Der deutsche Bundestrainer vergleicht ihn — passend zur Weihnachtszeit — mit einem Engel. Elf Jahre nach Sven Hannawald hat der Norweger die Chance, als zweiter Athlet in der 61-jährigen Geschichte der Tournee alle vier Wettbewerbe innerhalb eines Jahres zu gewinnen.

Als er 2006/07 bei seinem Debüt auf der Tournee schon einmal den Gesamtsieg holte, gewann er in Innsbruck. Das Dreikönigsspringen in Bischofshofen schloss er als Zweiter ab — hinter Gregor Schlierenzauer. Anders als Schlierenzauer, bei dem schon in jungen Jahren klar war, dass er seinen Lebensunterhalt als Skispringer würde bestreiten können, erlernte Jacobsen nach der Schule einen grundsoliden Beruf. Er wurde Klempner.

Doch nach spätem Start in den leistungsorientierten Sport stellten sich unter Norwegens finnischem Nationaltrainer Mika Kojonkoski schnell Erfolge ein. Auf acht Weltcupsiege bringt es Jacobsen bis heute, sein Lebenslauf verzeichnet acht WM-Medaillen und Olympia-Bronze mit dem Team 2010 in Vancouver.

Doch ein Jahr später kam es zum Bruch. Er heiratete Birgitta, wurde Vater von Isak und verlor den Spaß am Sport. Vor allem die monatelange Herumreiserei, das Leben im Hotel empfand er als Belastung, wie er jetzt sagte.

Seit ein paar Monaten habe er wieder neue Lebensfreude gewonnen. Der Österreicher Alexander Stöckl, im zweiten Winter nun Norwegens Chefcoach der Skispringer, holte ihn wieder ins Aufgebot und führte ihn zurück in die Weltklasse. Nicht ohne Stolz sagt Altmeister Toni Innauer, dass er Stöckl mit Nachdruck darauf hingewiesen habe, sich intensiv um Jacobsen zu kümmern.

(RP/can)
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