Neuss Auf das Pferd gekommen

Neuss · Die Voltigiergruppe des RSV Neuss-Grimlinghausen gehört auch bei der EM in Aachen wieder zu den Favoriten auf den Titel.

Die EM in Aachen (11. bis 23. August) ist der Saison-Höhepunkt des Pferdesports. Mit dabei: Die Voltigierer des RSV Neuss-Grimlinghausen. Die Pferdeakrobaten, die auf ihrer Hannoveraner-Stute Delia FRH waghalsige Kunststücke zeigen, sind der Weltmarktführer und vertreten Deutschland mit ihrem Team seit fünf Jahren ununterbrochen auf Championaten. Seit wenigen Wochen sind sie Millionäre.

Allerdings nicht in finanzieller Sicht, sondern in Bezug auf die Klickzahlen im Internet. Das Video der Kür, mit der sich das Team von Trainerin Jessica Lichtenberg Ende Juni beim Qualifikationsturnier im niedersächsischen Verden das EM-Ticket sicherte, wurde auf Facebook veröffentlicht - und innerhalb von nur wenigen Tagen als erstes Voltigier-Video überhaupt über eine Millionen Mal angesehen. Mittlerweile steht das vierminütige Werk, in dem die Sportler zu Klängen des Filmepos "Interstellar"die Rückkehr auf die Erde darstellen, im Netz bei 2,3 Millionen Klicks und wurde über 1100 Mal kommentiert.

"Die Voltigierer sind zweifelsohne die heimlichen Online-Stars des Pferdesports", sagt Lichtenberg. Zum Vergleich: Das meistgesehene YouTube-Video von Dressur-Wunderhengst Totilas wurde nur 1,1 Millionen Mal angeklickt. "Dicke Werbedeals" habe das Neusser Team (noch) nicht. Angesichts des Interesses "sehe ich da aber definitiv Potenzial", betont die 34-jährige Eventmanagerin, die weltweit als Referentin gefragt ist.

"Das Standing innerhalb des Reitsports ist enorm gestiegen", sagt die Wahl-Kölnerin, die mit ihrem Team schon in Katar mit Showaufführungen begeisterte. Obwohl die aktuellen Welt- und Europameister und Seriensieger der Deutschen Meisterschaften (zuletzt neun Mal in Folge) ihre Passion mit täglichem Training auf leistungssportlicher Ebene betreiben, können die Athleten von ihrem Sport nicht leben. "Wir haben alle einen Beruf, machen eine ganz normale Ausbildung oder ein Studium und leisten uns nebenbei unseren Sport", erzählt Lichtenberg.

Die Situation in Neuss ist im Vergleich zu vielen anderen Vereinen dank der Partner für Sport und Bildung vergleichsweise komfortabel. Das Erfolgspferd Delia FRH wurde beispielsweise von besagter Initiative regionaler Firmen zur Förderung des Leistungssports finanziert. Dennoch zahlen die RSV-Akrobaten für ihre internationalen Turnierauftritte noch immer drauf. "Geld verdienen lässt sich mit Voltigieren noch nicht", sagte Lichtenberg.

Das Selbstbewusstsein bei den Rheinländern ist vor dem Championat groß. Dennoch sind die Athleten vom Neusser Nixhof nicht die einzigen Favoriten. Die Schweizer Konkurrenten aus Lütisburg (Weltmeister 2012) und die Österreicher aus Wildegg (Europameister 2009) wollen die Neusser an jenem Ort bezwingen, an dem sie seit jeher ihre größten Erfolge feiern durften. Beim Aachener CHIO sind sie seit Jahren Seriensieger. Unvergessen bleibt auch der Titelgewinn bei den Weltreiterspielen 2006. Vier der neun Teammitglieder (darunter auch die jetzige Co-Trainerin Elisabeth Simon) waren damals schon dabei. Für Jessica Lichtenberg, die in der kommenden Saison vermutlich eine (Baby-)Pause einlegen wird, schließt sich in Aachen ein Kreis. "Das war und ist einfach eine atemberaubende Kulisse."

Die emotionale Einstimmung mit dem gesamten deutschen Team und den Bundestrainern Ulla Ramge und Kai Vorberg im westfälischen Warendorf haben die Neusser bereits hinter sich, inklusive einem Medien- und Interviewtraining - denn von erhöhtem Interesse für die Lokalmatadoren ist definitiv auszugehen. Nun geht es nach Aussage von Lichtenberg noch einmal an die physischen sowie mentalen Belastungsgrenzen. Abwechslung bringt ein Exkurs zum Kickboxen. "Im Voltigieren hast du sonst nie einen Gegner vor der Nase. Ich möchte, dass sie den Kopf noch mal frei bekommen", sagt Lichtenberg.

Am 2. August steigt dann ab 14 Uhr auf dem heimischen Nixhof die öffentliche Generalprobe.

(RP)
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