Interview: Leopold Hoesch "Hat sich dieser Film nicht fast von selbst produziert?"

Köln · Der Produzent von "Nowitzki. Der perfekte Wurf" spricht im Exklusiv-Interview über unzuverlässige Basketballer, skeptische TV-Sender und den schmalen Grat zwischen Sympathie zum Protagonisten und Verfälschung seiner Geschichte.

 Leopold Hoesch (45) hat die Nowitzki-Dokumentation produziert

Leopold Hoesch (45) hat die Nowitzki-Dokumentation produziert

Foto: Broadview TV

Die Herkunft aus der Provinz, der steile Aufstieg, der nach Niederlagen privat wie beruflich schließlich perfekt endet — Dirk Nowitzkis Geschichte ist eine Steilvorlage. Gilt für Sie dasselbe wie für Nowitzkis Lehrmeister Holger Geschwindner, der von sich sagt, dass er mit seinem Schützling eigentlich gar nichts falsch machen konnte? Kurz: Hat sich dieser Film nicht fast von selbst produziert?

Hoesch (lacht): Die Antwort ist leider nein. Der Storybogen war natürlich da, das schon. Wir haben aber drei Jahre lang Material zusammengetragen. Aus diesem Wust die eine, die beste Geschichte herauszuschälen, war eine riesige Herausforderung, die uns allein im Schneideraum mehr als 150 Tage gekostet hat. Lange war auch kein deutscher Sender zur Beteiligung an diesem Film zu bewegen. Erst die letzte Schnittfassung hat den WDR so überzeugt, dass sie drei Wochen vor Kinostart eingestiegen sind.

Wie wichtig war Ihre Doku über die Klitschko-Brüder von 2011 bei der Entstehung von "Der perfekte Wurf" — als Generalprobe, Türöffner, zur Überzeugung von Nowitzki selbst und seinem Umfeld, das sehr auf Privatheit und Kontrolle seines Images bedacht ist?

Hoesch Das Umfeld von Nowitzki hört sehr gut zu und ist vor einer eigenen Meinungsbildung nicht bange. Trotz aller Unterschiede gab es auch viele Parallelen, aber Nachmachen ist eigentlich nicht ihr Leitmotiv. Schon vor "Klitschko" hatten wir über 50 Dokumentarfilme gemacht und unter anderem einen Emmy gewonnen; auch zu den Klitschkos sind wir also nicht mit leeren Händen gegangen. Gut möglich, dass wir auch mit einem Nowitzki-Film hätten starten können. Die strikte Kontrolle, die Sie ansprechen, haben wir übrigens nicht so empfunden. Dirk hat den Film erstmals bei der Premiere gesehen. Strikte Kontrolle sieht anders aus. Man hat das Gefühl, sowohl Dirk als auch sein Umfeld ruhen in sich, über Dinge wie Image macht man sich eigentlich keine Gedanken. Das Wort ist in der fast dreijährigen Zusammenarbeit nicht einmal gefallen.

Welche Zusagen mussten Sie machen, um den Film machen zu dürfen, und wie groß war der Einfluss von Nowitzkis Schwester und Managerin Silke oder Holger Geschwindner auf den Film danach noch?

Hoesch Keine. Weder Silke Nowitzki noch Holger Geschwindner sind im klassischen Sinne seine Manager. Im Grunde hat man sich zu Beginn lange unterhalten, unsere bisherige Arbeit angeschaut und dann vertraut.

Was war Ihr Ziel mit diesem Film?

Hoesch Es gab keine Aufgabenstellung in diesem Sinne. Wir wollten einfach eine gute Geschichte erzählen und einen unterhaltsamen Film machen — über einen Ausnahmeathleten, den man sonst nur ganz oberflächlich mitbekommt. Der Film versucht die DNA von Dirk Nowitzki verständlich zu machen. Wenn man die begreift, kann man alle weitere Information zu seiner Person richtig zuordnen. Würden die Menschen, die Dirk Nowitzki kennen, ihn im Film nicht wiedererkennen, hätten wir möglicherweise trotzdem einen guten Film gemacht, aber jedenfalls keinen guten Dokumentarfilm.

Wie wichtig war Vermarktbarkeit?

Hoesch Ein gut vermarktbarer Stoff lässt sich natürlich leichter realisieren. Wir haben an den Stoff und Dirks geniale Story geglaubt. Am Anfang standen wir damit aber ziemlich alleine da. Die nun 150 Kinos, die den Film in Deutschland zum Start zeigen, geben uns am Ende aber Recht. Die Förderer, allen voran die Film- und Medienstiftung NRW, SKY, WDR und BR, die sich an dem Film beteiligt haben, glauben auch, dass es der Film verdient hat, gesehen zu werden. Jetzt muss das Publikum am ersten Wochenende darüber entscheiden, ob der Film in Deutschland ein Erfolg wird.

Wie hoch war das Budget und wie viele Zuschauer peilen Sie an?

Hoesch Der Film hat etwa 2 Millionen US-Dollar gekostet. In Deutschland peilen wir ca. 150.000 Zuschauer an, jeder mehr ist sehr willkommen.

Was hebt Ihren Film von anderen Sportler-Dokumentationen ab?

Hoesch Es ist ein klassischer Dokumentarfilm ohne Synchron-Sprecher aus dem Off, der noch mal alles einordnet und verbindet was man im Bild sieht. Der Film erklärt sich aus sich selbst heraus. Die Grundlage dafür schaffen die Interviews, die wir mit NBA-Prominenz wie Kobe Bryant, Mark Cuban oder dem langjährigen NBA-Chef David Stern geführt haben. Aber deren Essenz mussten wir herausfiltern — und zuerst mussten wir dafür sorgen, dass sie überhaupt stattfanden.

Nowitzkis "Co-Stars" haben Sie also Nerven gekostet?

Hoesch Viele haben in den rund zwei Jahren Drehzeit überhaupt nie Zeit für uns gefunden. Kobe Bryant hat uns zweimal komplett versetzt. Beim dritten Mal stand er plötzlich in einem schlecht beleuchteten Hotelzimmer und wir hatten zehn Minuten. Was er dann allerdings sagte, war zu 100 Prozent auf den Punkt. Seiner Rolle als Super-Champion ist er voll gerecht geworden. Überhaupt die Natur-Coolheit der Basketballer ist absolut faszinierend, ich glaube das kommt im Film auch ganz gut rüber.

Die Menschen aus Dirk Nowitzkis privatem Umfeld dürften weniger Terminstress, gelten aber als "maulfaul"...

Hoesch Sind sie aber überhaupt nicht, ganz im Gegenteil! Die haben, alle miteinander, richtig Mutterwitz. Wenn Holger Geschwindner in Fahrt kommt, laufen ihm die Tränen vor lachen die Wangen runter. Die Leute haben echt Gemüt, und das merkt man dem Film auch an, finde ich.

Wie stehen Sie Dirk Nowitzki gegenüber?

Hoesch Wir mögen unseren Protagonisten, sonst hätten wir diesen Film auch nicht gemacht. Aber wir mögen ihn nicht, weil er unser Protagonist ist. Er ist unser Protagonist, weil wir ihn mögen. Deshalb konnten wir im Film auch mit gutem Gewissen durch die Abgründe marschieren ohne Dinge zu beschönigen, die Dirk Nowitzki und Holger Geschwindner im Laufe ihres Lebens erlebt haben. Die Verlobte wird verhaftet, der Mentor kommt ins Gefängnis, das sind ja nicht wirklich schöne Erlebnisse. Empathie mit den Protagonisten zu erzeugen gehört zum Handwerk des Unterhaltens; das ist uns, glaube ich, hier gelungen. Alle Rückschläge geben der Geschichte Tiefe und unterstützen das klassische Erzählprinzip der Heldenreise mit ihrem Happy End.

Der Fokus des Films liegt nicht auf dem Sportler Dirk Nowitzki. Die sporthistorische Bedeutung des Finalgegners von 2011 — des Retortenteams Miami Heat um den besten Spieler der Welt — wird kaum deutlich, Nowitzkis Karriere in der Nationalmannschaft nur angerissen…

Hoesch "Kill your Darlings" heißt die Devise. Filmemachen bedeutet immer Auswählen und damit vor allem Weglassen. Man könnte, zwei oder mehr Filme aus unserem Material über ihn schneiden, mit jeweils anderem Schwerpunkt. Unser Fokus liegt eben auf dem perfekten Wurf, der nur vordergründig mit Basketball zu tun hat...

...eigentlich geht es aber darum...?

Hoesch ...wie Dirk Nowitzki zusammen mit Holger Geschwindner eine perfekte Sportler-Biographie haben entstehen lassen, jeder mit seinem Mitteln, das ist in unseren Augen tatsächlich der perfekte Wurf. Diese Geschichte herauszuarbeiten war uns wichtig. Was den Sport betrifft, kommt man aber eigentlich auch ganz gut auf seine Kosten.

Woran zeigt sich das?

Hoesch Wir haben bei der amerikanischen Profiliga NBA durchgesetzt, dass wir bei mehreren Spielen mit eigenen Kameras drehen können. Das galt bis dahin als unmöglich. Amerikanische Sportligen sind nach dem Franchise-Prinzip organisiert, sie funktionieren wie Fastfood-Ketten. Extrawürste sind nicht vorgesehen, aber wir haben es quasi geschafft, im McDonald's unsere eigenen Buletten zu braten. Dadurch bekommt man mit einer digitalen 35-Millimeter-Kamera gedrehte Bilder aus dem Innenleben der NBA, die man so vorher noch nicht gesehen hat.

Letztlich fügt sich aber alles zu einem Film, der das ausgelutschteste aller Star-Klischees wiederkäut: "Er ist auf dem Boden geblieben."

Hoesch Das liegt an seiner Person. Er hat keine dominierende dunkle Seiten, dazu weder Allüren noch Abgründe. Kennen Sie "The Big Lebowski"? Wenn ich Nowitzki in einem Satz beschreiben müsste, würde ich sagen: "Dirk is the Dude" — Dirk ist einfach dieser entspannte Typ, der, wenn es drauf ankommt seinen Weg unbeirrt geht.

… und ein Teamplayer, bescheiden, loyal, Familienmensch, medienscheu — alles bewundernswert, aber auch bekannt. Ich hatte gehofft, Sie könnten das Geheimnis lüften, wo bei diesem Menschen der Haken ist? Aber außer nachvollziehbarer Überforderung und einem Anflug von Bauerntrampeligkeit bei seiner Ankunft in Dallas vor 15 Jahren und Schwächen beim Bowling und am heimischen Herd ist da nichts.

Hoesch Wir haben nichts ausgelassen, was in seiner Biographie verdient hätte, auf ein Podest gestellt zu werden. Wissen Sie, ich könnte jetzt das erste und einzige Mal in meinem ganzen Leben über diese rote Ampel fahren, aber solange ich keinen Unfall baue, hat das keine große Auswirkung. Es prägt oder definiert mich nicht. Jahre später noch darüber zu berichten wäre einfach langweilig. So haben wir uns auf die Geschichten konzentriert, die Relevanz in seinem Leben haben.

Gibt es ein ähnliches Beispiel aus Nowitzkis Vita, eine kleine Delle, die aber folgenlos blieb?

Hoesch Die Festnahme seiner damaligen Freundin Crystal Taylor als vermeintliche Betrügerin 2009. Wenn es nicht so groß durch die Medien gegangen wäre, wäre das fast ein "Non-Event" in Bezug auf unseren Film gewesen, das man auch hätte rausschneiden können, aber eben nur fast. Es war schon wichtig, diesen Teil zu erzählen, weil er zu Dirks Geschichte gehört.

Er wollte sie immerhin heiraten. Ich hatte den Eindruck, dass das eine harte Probe für Nowitzkis unbekümmerte Lebenseinstellung war, dass sein Urvertrauen beschädigt wurde.

Hoesch Wir fanden, er hat diese Krise schnell gemeistert, hat nie rumgedruckst und redet auch heute ganz offen drüber. Die einzigen Spuren davon sind die Fragen danach. Dramaturgisch hätte man das natürlich wegen des Polizei-Einsatzes in seiner Villa noch viel mehr aufbauschen können, in Realität war da aber nicht viel. Deswegen bleibt es in unserem Film eher eine Randnotiz. Taylor erwartete dann doch kein Kind von ihm — und er hat sich wenig später in die wirklich herzerwärmende Schwedin Jessica Olsson verliebt, die heute seine Ehefrau und Mutter seiner Tochter ist.

Trotz aller Zeit und Sorgfalt: Können Sie ausschließen, einer Inszenierung aufgesessen zu sein?

Hoesch Inszenierung von was oder wem? Wir haben drei Jahre lang immer wieder Zeit mit ihm verbracht. Haben seine Eltern getroffen. Die Mutter, die noch nie ein Interview gegeben hat, wäre nicht wirklich der ideale Partner, um uns ein Theaterstück vorzuspielen. Beim Versuch, 36 Jahre in 104 Minuten zu erzählen bleibt einiges auf der Strecke.

Haben Sie schon den nächsten "Kandidaten" für eine Dokumentation im Blick? Timo Boll oder Sebastian Vettel? Oder sind die zu langweilig, noch weniger "Typen" als Dirk Nowitzki?

Hoesch Den einen oder die andere haben wir im Auge, ja. Jetzt kommt es aber erst mal darauf an, ob sich das Publikum einen Ruck gibt nach Jahren der Abstinenz tatsächlich aufrafft, einen Dokumentarfilm im Kino anzuschauen. Ein so herrliches Format — leider in Deutschland total unterentwickelt. Wenn die Leute bloß wüssten, wie gut sich das danach anfühlt.

(tojo)
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