WM-Kampf in Düsseldorf Wladimir Klitschko: "Deutschland hat mich adoptiert"

Düsseldorf · Der Box-Weltmeister im Schwergewicht spricht vor seinem Kampf heute gegen Tyson Fury über sein Image als Langweiler und seine Heimatgefühle.

Fragen und Antworten zum Klitschko-Kampf
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Foto: afp, PST/bb

Wladimir Klitschko macht sich über die wirklich essenziellen Probleme eines Enddreißigers Gedanken. "Ich bekomme immer mehr graue Haare", sagt der 39-Jährige während des Interviews. "Falls es Sie beruhigt, es liegt nicht an Ihren Fragen." Der Ukrainer ist zu einer globalen Sportmarke aufgestiegen. Seit elf Jahren ist er nun im Box-Schwergewicht ungeschlagen. Heute (ab 22 Uhr/RTL) trifft er in Düsseldorf auf den Engländer Tyson Fury.

Herr Klitschko, sind Sie ein Langweiler?

Klitschko Mutiger Start in das Gespräch.

Der Mut hält sich bei dieser Frage in engen Grenzen. Sie werden diese Einschätzung nicht zum ersten Mal gehört haben.

Klitschko Genau. Und sie wird nicht richtiger, je öfter ich sie höre. Sehen Sie, ich kämpfe in Düsseldorf zum siebten Mal in einem großen Stadion. Es werden auch diesmal fast 50.000 Fans dabeisein. Meine Kämpfe werden in 150 Länder übertragen, alleine bei RTL sehen Millionen Zuschauer zu. So langweilig kann ich nicht sein. Aber ich werde nicht verhindern können, wenn es zu solchen Diskussionen kommt.

Ihr Herausforderer, der Engländer Tyson Fury, sagt über Sie: "Er ist wie ein Roboter. Viele in Europa wünschen nichts sehnlicher, als dich zu Boden gehen zu sehen." Sie nehmen doch solche Sprüche nicht wirklich ernst?

Klitschko Ich höre schon ganz genau hin. Tyson Fury hört sich gerne reden. Nicht immer findet er die richtigen Worte. Ob ich ihn ernst nehme? Natürlich! Es geht mir um Respekt. Man kann Sprüche machen. Das Boxgeschäft lebt auch davon, dass wir eine gute Show bieten. Das war schon immer so und wird sich auch nicht ändern. Aber alles hat seine Grenzen.

Sie haben angekündigt, Fury therapieren zu wollen. Wie muss man sich so eine Sitzung bei Ihnen vorstellen?

Klitschko Sie ist sehr wirkungsvoll und dauert in der Regel nur ein paar Runden. Tyson Fury bekommt meine Antworten im Ring. Er wird danach ein anderer, ein besserer Mensch sein. Davon bin ich überzeugt.

Sie sind in Kasachstan geboren, in der Ukraine aufgewachsen, haben als Sportler in Deutschland den Durchbruch geschafft und leben nun zeitweise auch in den USA. Was bedeutet der Begriff "Heimat" für Sie?

Klitschko Heimat hat für mich nichts mit dem Pass zu tun. Es geht um Verbindungen mit Orten und Menschen. Deutschland hat meinen Bruder Vitali und mich damals mit offenen Armen empfangen, wir sind Teil der Gesellschaft geworden und quasi adoptiert worden. Es ist ein schönes Gefühl, verschiedene Rückzugsorte zu haben.

Millionen Flüchtlinge suchen in Europa derzeit eine neue Heimat. Der Kontinent fühlt sich mit dem Zustrom überfordert. Geht Europa mit dem Problem richtig um?

Klitschko Alle Flüchtlinge wollen nach Deutschland. Das zeigt einfach, was dieses Land auszeichnet. Es hat eines der besten Sozialsysteme, verfügt über einen Rechtsstaat und eine Demokratie, von der man in vielen anderen Staaten weit entfernt ist. Es hat sich durch viele Krisen in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Europäische Union viele Schwachstellen hat. Viele Mitgliedsländer sind mit sich selbst beschäftigt und weniger mit der Frage, wie man gemeinsam Lösungen finden kann. Gerade jetzt wäre es aber wichtig, dass besonders Europa mit einer Stimme spricht. Die Welt spielt verrückt. Überall gibt es Unruheherde, Elend und Bedrohung durch Terrorismus.

Haben Sie Angst vor dieser Welt?

Klitschko Die aktuellen Entwicklungen machen mich nachdenklich.

Sind Sie froh, Ihrer elf Monate alten Tochter Kaya das alles noch nicht erklären zu müssen?

Klitschko Das wird irgendwann der Fall sein, und ich werde dann hoffentlich Antworten auf ihre Fragen haben.

Denken Sie manchmal zu viel nach?

Klitschko Kann sein. Es ist ja nichts Schlechtes, sich über Dinge Gedanken zu machen und nicht einfach loszumarschieren. Im Ring kann das durchaus ein Nachteil sein. Ich bin von meinem früheren Trainer Emanuel Steward oft dafür kritisiert worden. Wenn du eine Sekunde zögerst, kann es sein, dass du den Moment verpasst. Es kann eine ganze Weile dauern, bis sich wieder eine Chance bietet für einen geeigneten Angriff. Da ist dann Geduld gefragt.

Kann man den perfekten Schlag trainieren?

Klitschko Nur zu einem gewissen Teil. Entweder man hat das Talent oder nicht. Das hat etwas mit Körperstrukturen zu tun und mit Einstellung.

Kann man als Profiboxer langfristige Pläne machen?

Klitschko Es gibt einige Dinge, die ich noch erreichen möchte. Ich weiß nicht, wie lange ich mich auf diesem Niveau noch bewegen werde. Gerade fühlt sich alles sehr gut an. Die Motivation klopft aber leider nicht an und sagt dir, wann es sich ändern könnte. Ich genieße den Moment.

Gianni Costa führt das Gespräch.

(RP)
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