Entthronter Box-Weltmeister Klitschko: "Dieser kleine Krieg ist verloren"

Düsseldorf · Wladimir Klitschko hat gegen Tyson Fury seine vier Titel im Box-Schwergewicht verloren. An Rücktritt will er noch nicht denken.

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Klitschko - Fury: der Kampf

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Foto: dpa, ve

Es ist kurz nach 1 Uhr in dieser Nacht in der Düsseldorfer Esprit-Arena. Wladimir Klitschko sitzt auf dem Podium und blickt ins Leere. Er scheint so weit entfernt von diesem Ort, an dem er Erklärungen dafür finden soll, warum er nicht mehr Box-Weltmeister im Schwergewicht ist. Klitschko wirkt nicht nur wegen der Wunde unterm linken Auge, der geklammerten rechten Augenbraue und dicker Beulen überall in seinem Gesicht angeschlagen. Er ist 39 Jahre alt. Von 68 Profikämpfen hat er 64 gewonnen, in den vergangen neuneinhalb Jahren dominierte er die Branche. Es ist also weit mehr als eine sportliche Niederlage für den Ukrainer. Sein Selbstverständnis ist tief erschüttert. Das Klitschko-Universum ist nach der eindeutigen Punktniederlage gegen den Engländer Tyson Fury aus den Fugen geraten. Eine Niederlage war in der Karriereplanung von Wladimir Klitschko nicht vorgesehen.

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Verlobte tröstet unterlegenen Wladimir Klitschko

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Foto: ap, FO

Selbst im Lager des entthronten Weltmeisters ist man sich zu diesem Zeitpunkt nicht so richtig im Klaren, wie man die Geschehnisse einordnen soll. Bernd Bönte, der Manager, verweist auf eine vertragliche Vereinbarung, in der ein Rückkampf zugesichert worden ist. Es gebe überhaupt "keine Zweifel an den Qualitäten von Wladimir", diesmal sei Fury der Bessere gewesen. Mehr, so die Botschaft, solle man da nicht reininterpretieren. Für Bönte war es "one of those nights", eine dieser Nächte, in der einfach nichts zusammenpasst. Es gab schon viele Kämpfe von Klitschko, bei denen einiges nicht gepasst hat. Die Gegner waren aber in der Regel von derartiger Harmlosigkeit, dass er auch einen miesen Arbeitsnachweis mit seiner Kraft deutlich aufwerten konnte — und seine Kontrahenten reihenweise auf die Bretter geschickt hat. Diesmal ist einer stehengeblieben und hat zurückgeschlagen.

Vitali Klitschko, sein fünf Jahre älterer Bruder, befindet sich seit 2013 offiziell im boxerischen Ruhestand. Der Bürgermeister von Kiew steht aber nach wie vor bei jedem Kampf in der Ecke von Wladimir. Irgendwann setzt sich Vitali auch auf das Podium und erzählt seine Sicht auf die Dinge. Er versucht sich zumindest in einer Aufarbeitung der Ereignisse: "Normalerweise ist mein Bruder einer der besten Techniker und er hat eine sehr gute Kondition. Heute war seine Technik nicht gut und seine Kondition auch nicht. Sehen wir Wladimir noch einmal in Topform? War es ein schlechter Tag? Oder gab es Gründe? Nur mein Bruder wird eine Antwort darauf geben können, ob das heute nur ein Ausrutscher oder ob die Niederlage kein Zufall war. Er muss sagen, ob er in sich noch dieses Feuer hat."

Wladimir sitzt einen Platz von ihm getrennt und registriert die schonungslose Kritik fast regungslos. Für ein, zwei Sekunden lächelt er, mehr aus Verlegenheit, weitere Gefühlsregungen zeigt er nicht. Er ist sich vermutlich zu diesem Zeitpunkt selbst am allerwenigsten darüber im Klaren, wie es weitergehen soll. Nach ein paar Minuten hat sich immerhin Vitali gesammelt und verkündet: "Die Show geht weiter. Alle haben gesagt, die Kämpfe seien langweilig. Jetzt hat Wladimir verloren, und das Interesse am nächsten Kampf wird der Wahnsinn."

Wladimir Klitschko wird gefragt, ob er das alles schon realisiert hat und ob es sich nicht schrecklich falsch anfühlt, mal nicht der Sieger zu sein. "Falsch war, dass ich nicht gewonnen habe", sagt er. "Alles andere braucht jetzt einfach etwas Zeit. Ja, es ist ungewohnt, nicht in der Haut des Siegers zu stecken. Ich habe mich im Spiegel gesehen. Das sieht nicht gut aus." Es ist der Moment, an dem er zeigt, was einen echten, einen großen Champion auszeichnet. "Er war besser als ich", sagt er über seinen Bezwinger. Fast schon trotzig fügt er hinzu: "Dieser kleine Krieg ist verloren, aber nicht der Krieger Wladimir! Es wird einen Rückkampf geben. Fortsetzung folgt."

Tyson Fury, zwölf Jahre jünger als Klitschko, hat sich im Augenblick seines Triumphs vor allem Bescheidenheit verordnet. "Ich würde mir wünschen, nur ein halb so guter Weltmeister wie Wladimir zu werden. Er ist der Maßstab. Ich bin die neue Generation", verkündet er. "Gott hat mir den Sieg geschenkt. Ich boxe Wlad gerne wieder, egal, ob in Japan oder Usbekistan." Finanziell hat Fury sich jedenfalls ein Polster zulegen können. Neben der Kampfbörse, rund 3,5 Millionen Euro, hat er bei einer Wette kräftig abkassiert. Er setzte auf sich selbst und hat so 283.000 Euro gewonnen. Er wird es gebrauchen können — zwei Tage vor dem Kampf hat Fury erfahren, dass er zum dritten Mal Vater wird.

(gic)
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