Solingen/Reykjavik Das kleine Land der Alleskönner

Solingen/Reykjavik · Islands Fußballer haben sich für die EM qualifiziert, die Basketballer ärgern bei der Europameisterschaft in Berlin die Großen, und die Handballer sind sowieso klasse. Das 330 000-Einwohner-Land verblüfft die Sportwelt.

Seine Bekanntheit als Fußballnation verdankte Island bislang dem deutschen Teamchef Rudi Völler, dem Fernsehmoderator Waldemar Hartmann und "drei Weizen", die jener "Waldi" getrunken haben soll. Ein 0:0 der deutschen Elf im Reykjaviker Stadion Laugardalsvöllur war die Basis des elfminütigen Scheißdreck-Käse-Standfußball-Wutausbruchs im September 2003, in dem sich Völler bei Gott, der Welt, Gurus und Ex-Gurus über die geringe Wertschätzung für sein Team beklagte.

Fast auf den Tag genau zwölf Jahre später hat Island wieder 0:0 gespielt. Dieses Mal hieß der Gegner Kasachstan. Ein Wutausbruch der Marke Völler ist vom kasachischen Trainer Juri Krasnoschan nicht überliefert, wohl aber, dass es in Reykjavik wieder laut wurde. Die Party dauerte die ganze Nacht. Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson sagte: "Ich erwarte nicht, das irgendjemand versuchen wird, die Menschen ins Bett zu bringen." Die Fußballer von der knapp vor dem Polarkreis gelegenen und für eine schwere Wirtschaftskrise und Vulkanausbrüche bekannte Insel haben sich zum ersten Mal für eine Fußball-EM qualifiziert.

Die Sportler des kleinen Landes, das mit 330 000 Einwohnern nur so groß wie Bonn oder Bielefeld ist, verblüffen. Die Handballer gehören seit Jahrzehnten zur erweiterten Weltspitze. Nun machen die Basketballer bei der EM in Berlin auf sich aufmerksam. Die mit NBA-Stars gespickten Teams Deutschland und Italien hatten einige Mühe mit den "Isis". "Es gibt auch im Basketball keine Kleinen mehr", sagte Ingo Weiß, der Präsident des Deutschen Basketball-Bundes.

Die fundierte Trainerausbildung, die exzellente Sportstätten-Infrastruktur und die Tatsache, dass Nationalspieler in den Ballsportarten oft schon seit Kinder- und Jugendtagen zusammen in einem Team spielen, sind Gründe für die erstaunlichen Auftritte. Hochqualifizierte Trainer sind sogar ein Exportschlager des Landes. Der Isländer Dagur Sigurdsson ist für die deutsche Handball-Nationalmannschaft verantwortlich, sein Landsmann Alfred Gislason trainiert Rekordmeister THW Kiel. In den Füchsen Berlin und dem SC Magdeburg setzen zwei weitere namhafte deutsche Klubs auf Coaches von der Insel.

Arnor Thor Gunnarsson, Rechtsaußen des Handball-Bundesligisten Bergischer HC, erklärt: "Wir haben ein gutes Jugendtraining in allen Bereichen und generell eine gute Mentalität." Sein Mitspieler, der Torwart Björgvin Gustavsson, ergänzt: "Es fehlt uns überall ein bisschen an Größe, das müssen wir ausgleichen, indem wir mehr reinwerfen. Unser Land ist auch kleiner als viele andere, daher müssen wir zusammenstehen und immer Gas geben."

Entscheidend für den Entwicklungsschub im Fußball war der Bau von zehn Hallen vor 15 Jahren. Ganzjähriges Training ist seitdem flächendeckend möglich. Namhafte Spieler wie der frühere Stuttgarter Asgeir Sigurvinsson und Ex-Herthaner Eyjölfur Sverrisson arbeiten im Nachwuchsbereich als Trainer. Wissenschaftliche Unterstützung ist selbstverständlich. 2012 qualifizierte sich Island erstmals für die EM der U 21. Zwei Jahre zuvor hatten die Junioren ihre deutschen Altersgenossen um die späteren Weltmeister Mats Hummels und Benedikt Höwedes mit 4:1 geschlagen. Auf dem Weg zur WM im vergangenen Jahr in Brasilien waren die Isländer erst in den Play-offs an Kroatien gescheitert.

Mit Blick auf die EM im kommenden Jahr in Frankreich macht sich Zuversicht, ja Euphorie bei den Isländern breit. Handball-Torwart Gustavsson: "Ich traue den Fußballern mittlerweile alles zu, auch bei der EM. Das ist eine junge Truppe, mit Herz und Selbstvertrauen kannst du alles schaffen."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort