Kolumne: Gegenpressing Der Sport leidet unter einer Demokratie-Allergie

Düsseldorf · Wir haben nur eine Chance auf Olympia, wenn wir bei den Themen Menschenrechte und Demokratie ein Auge zudrücken, meint ein Insider. Dann verzichten wir doch lieber auf eine Bewerbung.

 RP-Redakteur Martin Beils.

RP-Redakteur Martin Beils.

Foto: Phil Ninh

Der Spitzensport bekommt mehr Geld vom Bundesinnenministerium. Rund 150 Millionen Euro stehen künftig pro Jahr zur Verfügung, das sind 15 Millionen mehr als bislang, und das ist eine sinnvolle Geldausgabe. Deutschland investiert in leistungsbereite Menschen, in Vorbilder für eine Gesellschaft, die zur Faulheit neigt. In eine Gesellschaft, in der es tatsächlich Schüler gibt, die nach dem Abitur statt eines sozialen oder eines Auslandsjahres ein "Fifa-Jahr" einlegen wollen. Damit meinen sie kein Praktikum beim Fußbal-Weltverband Fifa (da könnte man ja tatsächlich ein paar Tipps, Tricks und Schweinereien fürs raue Leben mitnehmen). Mit "Fifa-Jahr" ist ein Jahr gemeint, in dem es einzig und allein darum geht, durch Dauerdaddelei die Fähigkeiten beim Fußballspiel "Fifa" auf der Playstation zu verbessern.

Also: Toll, dass aus dem Bundeshaushalt mehr Geld in den richtigen Sport, nicht in den vermeintlichen Sport an der Spielekonsole (manche Leute reden dabei von E-Sport und halten das wirklich für Sport) fließt! Weniger toll ist, was für Gestalten in den Sphären Einfluss nehmen, die im großen Sport die Weichen stellen. Demokratie-Allergie ist dort weit verbreitet, wie erstaunlich unverblümte Aussagen in dieser Woche zeigten.

Walther Tröger, 85 Jahre alt und Ehrenmitglied des Internationalen Olympischen Komitees, riet in einem Interview mit dem Sportinformationsdienst dazu, das Demokratie- und Menschenrechtsverständnis zu überdenken. Berliner und Hamburger, so sagte er, sollten "demütig genug sein, sich keine Gedanken über andere zu machen, die sie nichts angehen". Er meinte, dass eine deutsche Olympiabewerbung nur Aussicht habe, wenn man es nicht so genau nimmt mit den Demokratiedefiziten in vielen Winkeln der Welt und sich stattdessen Liebkind macht bei den vielen schrägen Vögeln im IOC. Im IOC säßen Mitglieder aus Ländern, "die unter ganz anderen Verhältnissen leben und ganz anders mit Menschenrechtsfragen umgehen als wir. Es ist einfach so, dass viele im IOC anders denken".

Und das sollen wir nun so hinnehmen? Nicht dagegen die Stimme erheben, wenn ausgegrenzt, wenn diskriminiert, wenn gefoltert wird? Wegen der Erfolgschancen einer Olympiabewerbung nichts sehen, nichts hören, nichts sagen? Ungeheuerlich.

Doch nicht nur der betagte Ehren-IOCler Tröger will es mit der Demokratie nicht übertreiben, auch Präsident Thomas Bach hält nicht viel von allzuviel Einfluss durchs gemeine Volk. Im "Bild"-Interview wählte das FDP-Mitglied eine rhetorische Frage, um seine Abneigung gegen Basisdemokratie deutlich zu machen: "Ist ein Bürgerbegehren tauglich, um ein Großprojekt zu legitimieren?"

Thomas Bach ahnt, dass es weder in Hamburg noch in Berlin eine überzeugende Mehrheit für Olympia 2024 oder 2028 geben wird. Wenn das so käme , wäre das zwar schade, aber so geht nun einmal Demokratie. Und die ist sicherlich ein höheres Gut als ein noch so tolles Sportfest.

Wenn Olympia nur möglich ist, wenn man bei den Themen Menschenrechte und Demokratie ein Auge zudrückt, dann sind die Spiele in Deutschland ohnehin nicht gut aufgehoben.

Ihre Meinung? Schreiben Sie dem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort