Nach Rücktritt von Präsident Rüdiger Tretow: Deutscher Schwimm-Verband in schwerer Seenot

Erfurt/Hamburg (dpa). Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) ist sieben Wochen nach Olympia in schwere Seenot geraten. Am Samstag verließ Präsident Rüdiger Tretow das schlingernde Schiff. „In ausführlicher Diskussion über die Lage des DSV nach den Olympischen Spielen in Sydney gelangte der bisherige Präsident zu der Auffassung, mit seinem Führungsstil gescheitert zu sein“, teilte der Restvorstand des DSV mit, nachdem Tretow auf der Sitzung des Hauptausschusses in Erfurt das Handtuch geworfen hatte. Tretow: „Auf Grund des unerwünschten Führungsstils hat man mir nahe gelegt, mein Amt zurückzugeben.“ Er vermutete „System dahinter“. Der Verband dümpelt manövrierunfähig in unruhigem Gewässer: Führungslos, kopflos, bedeutungslos.

Nach dem sportlichen Debakel von Sydney ist die gesamte Führungsspitze von Bord gespült worden. Vor einem Monat hatte bereits der für den Leistungssport zuständige Vizepräsident Sven Baumgarten seinen Job aufgekündigt, Teamchef Winfried Leopold war vor einer Woche entmachtet worden. Bis zum DSV-Verbandstag im März in Mannheim übernahm die bisherige Vizepräsidentin Christa Thiel (Wiesbaden) das Ruder. Ein Beirat soll sie unterstützen, eine Findungskommission den Tretow-Nachfolger suchen.

Mit Rüdiger Tretow ging nach Harm Beyer, Bodo Hollemann und Klaus Henter bereits der vierte DSV-Präsident vorzeitig von Bord. „Die Landesverbände erwarten sich einen anderen Führungsstil, einen autoritären Führungsstil. Das kann ich als Pädagoge nicht gutheißen“, stellte Tretow fest. Der 26-köpfige Hauptausschuss mit den Landespräsidenten und den Leitern der Fachsparten habe ihm „deutlich zu verstehen gegeben“, dass er nicht mehr erwünscht sei. „Da hat auch keiner widersprochen.“ Tretow zog resigniert die Konsequenzen, „enttäuscht, vor allem, wie das gelaufen ist. Aber auch mit Erleichterung, weil eine ganze Menge Druck von mir genommen ist“.

Überraschender Rücktritt

„Olympische Spiele sind für Präsidenten des DSV immer ein Knackpunkt gewesen“, hat Tretow erkannt, der vor vier Jahren den in Atlanta nach verbalen Auseinandersetzungen mit den Sportlern entnervten Klaus Henter abgelöst hatte. Drei Bronze-Medaillen für die Schwimmer in Sydney waren zu wenig. Tretow und der DSV sahen sich harter Kritik des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) ausgesetzt. Die Sportler, die der Konkurrenz in Sydney hilflos hinterher schwammen, hatten noch vor Ort Trainer und Funktionäre des DSV als Schuldige ausgemacht und personelle Konsequenzen gefordert.

An Tretow hatten sie dabei nicht unbedingt gedacht. „Er war ein Präsident, der in der Vergangenheit unheimlich an sich gearbeitet hat“, sagte Schwimmstar Franziska van Almsick, als sie am Samstag von dem überraschenden Rücktritt des Verbandspräsidenten erfuhr. „Ich habe ihn eigentlich sehr gemocht. Aber vielleicht sind Dinge nur zu ändern, wenn man sie radikal verändert, wenn man keine Kompromisse eingeht.“

Der DSV geht schweren Zeiten entgegen. Der Ruf des Verbandes ist stark beschädigt, die Verbands- und Trainer-Strukturen sind veraltet, die Finanzlage ist alles andere als rosig. Tretow: „Der DSV muss davon wegkommen, nach Olympia immer den Präsidenten auszuwechseln. Das kann es doch nicht sein.“

(RPO Archiv)
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