Paralympics 2016 Die Medaillenschmiede

Leverkusen · Leverkusener Athleten trumpfen bei den Paralympics in Rio de Janeiro auf. Ein Erfolg zunehmender Professionalisierung.

Paralympics 2016: Die deutschen Medaillen-Gewinner
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Die deutschen Medaillen-Gewinner

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Jörg Frischmann hat das Olympiastadion von Rio lieb gewonnen. Viel mehr als die Sportstätten hat er von der Stadt seit dem Beginn der Paralympics noch nicht gesehen. Sightseeing will er nachholen, wenn die Wettkämpfe vorbei sind. Dann hat auch der Geschäftsführer der Behindertensportabteilung von Bayer Leverkusen Zeit, das Erlebte Revue passieren zu lassen.

Schon jetzt ist Frischmann vom Abschneiden seiner Athleten begeistert. Das Gros der 18 Sportler startet in der Leichtathletik und erwies sich als zuverlässiger Medaillenlieferant. "Wir haben in dieser Konstellation sicher ein Jahrhundert-Team zusammen", sagt der 52-Jährige, der sich über die Medaillen, Bestleistungen und Rekorde freut. Von morgens bis abends ist "Frischi", wie ihn seine Athleten nennen, an ihrer Seite. Er berät, hilft und dokumentiert, was sich in Rio ereignet. Täglich schickt er Fotos in die Heimat.

Frischmann fühlt sich bestätigt. Die Medaillen sind eine logische Konsequenz der Infrastruktur in Leverkusen. "Vom Olympiastützpunkt über den Verein bis hin zum Landesverband (BRSNB) und dem DBS ziehen alle an einem Strang. Die Sportler haben bei uns beste Bedingungen", sagt er. Die Gold-Staffel über 4x100-Meter zum Beispiel profitierte davon, dass Markus Rehm, David Behre, Johannes Floors und Felix Streng wöchentlich gemeinsam trainieren können. Der TSV Bayer stellte zehn der 38 deutschen Leichtathleten, vereint dabei mit Sportlern wie Vanessa Low, Franziska Liebhardt oder Heinrich Popow die Gesichter der Szene.

Hierzulande gibt es vier paralympische Trainingsstützpunkte für Leichtathletik: Berlin, Saarbrücken, Cottbus, Leverkusen. Frischmann, fünfmaliger Paralympics-Teilnehmer, leitet seit rund 20 Jahren die Geschicke der Abteilung. Er hat den Weg zur Professionalisierung vorangetrieben. Zum Konzept gehört, dass Behinderte und Nichtbehinderte zusammen trainieren. Die Infrastruktur sucht ihresgleichen. "Die Schwerpunktsetzung auf den Bereich der Körperbehinderten und speziell der Amputierten zahlt sich aus. An keinem Standort der Welt gibt es so viel Kompetenz rund um das Thema Prothese", sagt Frischmann. So wurde Anfang des Jahres auf der Anlage eine Filiale des langjährigen Partners APT eröffnet. Dort arbeitet etwa Heinrich Popow als Orthopädie-Techniker und bastelt am Material der Kollegen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Stützpunkten arbeitet beim TSV viel hauptamtliches Personal. In der Leichtathletik gibt es zwei volle Stellen, im Schwimmen und Sitzvolleyball je eine halbe. Finanziert werden die Trainer über die Sportstiftung NRW, den DBS, BRSNB sowie den Verein. Die Bayer AG macht es möglich. Auch der Olympiastützpunkt hilft. Ein Förderverein wurde gegründet, der den Nachwuchs unterstützt.

Bei der Förderung der Athleten sind der DSB mit dem Top-Team, die Sporthilfe und die Sportstiftung NRW wichtige Partner. "Allerdings ist immer noch Luft nach oben", sagt Frischmann. "So werden mangels Mitteln nicht alle Sportler auf internationalem Niveau über die Sportstiftung gefördert." Das stößt dem Geschäftsführer bitter auf, der sich seit Jahren für eine gerechtere Behandlung einsetzt. "Medaillen sollten bei der Förderung berücksichtigt werden. Uns laufen trotz der Erfolge keine Sponsoren hinterher. Der Behindertensport in Deutschland hat nicht das nötige Standing."

In Leverkusen wird daher versucht, den Sportlern über die duale Karriere - mit der Eliteschule des Sports, der Sportler-Klasse der Bayer AG und weiteren Partnern - ein optimales Miteinander von Schule oder Beruf und Sport zu ermöglichen. Leiterin des Sportinternats ist Ex-Speerwerferin Steffi Nerius, die Rehm und Liebhardt zu Gold führte. Der Verein hat ein klares Konzept bei der Nachwuchssuche und sichtet bei Bedarf bundesweit. Regelmäßig besuchen Athleten überdies Unfallopfer. Ein Netzwerk mit Krankenhäusern hilft dabei.

Frischmann wünscht sich, dass die Paralympics noch einmal einen Schub bringen und mehr behinderte Kinder und Jugendliche zum Sport finden. Denn den meisten seiner Top-Athleten ebnete dieser den Weg in ein aktiveres Leben.

(RP)
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