Olympia-Held Patrick Reimer "Es fühlt sich gut an, Geschichte zu schreiben"

Nürnberg · Patrick Reimer, langjähriger Profi der Düsseldorfer EG, spricht über noch nicht gemachte Hausaufgaben der Eishockey-Liga, fehlende Beachtung und seiner Begegnung mit Lindsey Vonn.

 Patrick Reimer im Spiel gegen Kanada

Patrick Reimer im Spiel gegen Kanada

Foto: afp

Patrick Reimer kam als 20-Jähriger nach Düsseldorf und reifte bei der DEG zum Nationalspieler. Der Angreifer aus Mindelheim ist nun seit 2012 Führungsspieler bei den Nürnberg Ice Tigers in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) und eine zentrale Figur in der Nationalmannschaft.

Herr Reimer, wie fühlt es sich an, ein Sport-Held zu sein?

Patrick Reimer: (lacht) Beim Bäcker lässt mich noch keiner in der Schlange vor. Und das ist auch total in Ordnung so. Ehrlich gesagt ist das für mich, und ich glaube auch für einen Großteil der anderen Jungs aus unserem Team, noch alles überhaupt nicht zu fassen. Einfach abgedreht. Aber es fühlt sich gut an, Geschichte zu schreiben.

Sie werden das Etikett "Silbermedaillengewinner" nun ein Leben lang herumtragen. Empfindet man das auch als eine Art Bürde?

Reimer: Zum Glück realisiere ich noch nicht im Ansatz die historische Dimension. Deutschland ist eine verhältnismäßig kleine Eishockeynation. Für uns war schon das Erreichen des Viertelfinales bei den Winterspielen ein unfassbarer Erfolg. Nun ist es am Ende der zweite Platz geworden — verdammt noch mal: Wir haben Silber gewonnen! Silber! Das ist eine unglaublich schöne Bürde, die bin ich gerne bereit zu tragen. Es ist doch toll, wenn es kleine Eishockeyspieler irgendwo im Land gibt, die zu einem aufschauen. Wir müssen nun versuchen, auch gute Vorbilder zu sein.

Haben Sie darüber nachgedacht, Ihre internationale Karriere zu beenden?

Reimer: Ich habe sogar sehr intensiv mit dem Gedanken gespielt. Aber ich fühle mich in der Pflicht, jetzt nach dem Erreichten nicht einfach alles liegenzulassen. Wir haben sehr viel erreicht, das wollen wir nun auch verteidigen. Wir müssen einen vernünftigen Generationenwechsel gewährleisten.

Im Finale gegen Russland saßen Sie in der Verlängerung auf der Strafbank — in dieser Zeit hat die Sbornaja den Siegtreffer erzielt. Ist man in diesem Moment der einsamste Mensch auf der ganzen Welt?

Reimer: Es hat mir für einen kurzen Moment den Boden unter den Füßen weggezogen. Du weißt natürlich, dass es ein vermutlich entscheidender Fehler gewesen sein könnte. Aber war es überhaupt meiner? Haben die Schiedsrichter richtig entschieden? Sehen Sie, ein Spiel wird durch Fehler entschieden. Es war klar, dass es irgendwann passieren würde. Ich bin mit mir total im Reinen. Es ist Sport, das sollten wir nicht vergessen.

Die Russen galten als haushoher Favorit, der aber sehr lange am Rande einer Niederlage stand.

Reimer: Und das hat man auch gemerkt. Die Russen standen unendlich unter Druck. Man hat das auf dem Eis gespürt. Sie hätten wohl selbst nicht erwartet, dass Ding noch einmal drehen zu können. Es gab hinterher ein paar Begegnungen. Wir haben uns respektvoll die Hand gegeben. Da hat uns keiner mehr von ihnen belächelt, es war ein stolzer Moment. Wir haben uns die Hand gegeben, und man hat gespürt, wie viel gegenseitige Achtung da mit im Spiel war. Und wir hatten uns nach kurzer Zeit auch wieder gefangen und gefeiert.

Einige Ihrer Mitspieler sind in den Blick von Teams aus der nordamerikanischen Profiliga NHL geraten. Fürchten Sie einen Ausverkauf?

Reimer: Nein, so schlimm wird es nicht. Aber es ist doch toll, wenn noch ein paar mehr den Sprung schaffen würden. Wir brauchen so dringend einen Superstar auf dieser Bühne, wie es Dirk Nowitzki im Basketball geschafft hat. Mit Leon Draisaitl sind wir da aber ja auf einem vielversprechenden Weg.

Sie haben den Medaillengewinn mit Lindsey Vonn gefeiert — der US-Skistar hat dabei ein Trikot von Ihnen angezogen. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?

Reimer: (lacht) Sehr witzig. Zu Hause musste ich das erstmal aufklären. Sie hatte das Trikot nicht einmal von mir. Aber natürlich war es toll, mit ihr, aber auch vielen anderen Sportlern den Erfolg feiern zu können. Die Olympischen Spiele sind schon etwas Besonderes — trotz allem, was im Hintergrund vielleicht nicht optimal läuft.

Nun läuft die Deutsche Eishockey Liga (DEL) wieder — und auch Sie stehen zwei Tage nach der Rückkehr aus Südkorea schon wieder auf dem Eis. Kommt das nicht alles etwas früh?

Reimer: Es ist nie schlecht, etwas länger ausspannen zu dürfen. Aber jetzt beginnt halt eben wieder der Alltag. Der Job in der Liga ist unsere Realität. Und eine große Verantwortung. Immerhin sind wir mit den Nürnberg Ice Tigers in der komfortablen Situation, uns schon für die Play-offs qualifiziert zu haben.

Die Euphorie rund um Eishockey ist derzeit riesengroß. Was muss passieren, damit das auch so bleibt?

Reimer: Unser größtes Manko ist die Qualität unserer Liga. Da müssen wir einfach noch deutlich besser werden. Wir müssen den deutschen Nachwuchs besser ausbilden und auch in der höchsten Spielklasse einsetzen. Wir brauchen Gesichter, mit denen wir unseren Sport verkaufen können und kein Heer von Namenlosen. Und es gehört natürlich auch dazu, dass wir Beachtung in den Medien finden.

Im frei empfangbaren Fernsehen ist Eishockey nur sehr eingeschränkt zu sehen. Müsste sich nicht daran mittelfristig etwas ändern, um überhaupt eine Chance zu haben, mehr beachtet zu werden?

Reimer: Das ist ein Jammer. Es würde uns natürlich einen gigantischen Schub geben, wenn ARD oder ZDF wenigstens eine Partie pro Spieltag übertragen würden. Ich bin mir sicher, wenn man so etwas wirklich wollen würde, dann findet sich eine Lösung. Wir sind alle auch fußballverrückt, aber es muss doch in der TV-Landschaft auch noch dauerhaft Platz für andere Sportarten sein. Fußball ist nicht alles. Aber wie gesagt — wir sollten nicht zu viel klagen, sondern unsere Hausaufgaben erledigen. Mit der Silbermedaille haben wir uns ja ein paar Fleißpünktchen fürs Klassenbuch verdient.

(gic)
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