Essay zur Dopingproblematik Ach, Leichtathletik ...

Düsseldorf · Am Wochenende beginnt im Pekinger Vogelnest die WM . Bei wem mag sich angesichts der Dopingproblematik Vorfreude einstellen?

Auf der Leichtathletik liegt ein großer Schatten.

Auf der Leichtathletik liegt ein großer Schatten.

Foto: dpa, cjg cs

Ich liebte die Leichtathletik. Der Besuch des internationalen Sportfest des ASV Köln war für mich als Kind jedes Jahr ein Höhepunkt. Im ersten Jahr im Gymnasium habe ich ein Referat über den Hürdenläufer Harald Schmid gehalten, als die Aufgabe hieß, ein Vorbild vorzustellen. Unsere Kinder haben wir voller Überzeugung zum Training in der Leichtathletik-Abteilung unseres Turnvereins geschickt. Und vor drei Jahren bin ich mal ganz allein 600 Kilometer zum Letzigrund nach Zürich gefahren, nur um die Stimmung beim legendären Meeting aufzusaugen. Es war eine Reise zu einem Sehnsuchtsort.

Am Samstag beginnen im Pekinger Vogelneststadion die Weltmeisterschaften. Vorfreude? Null! Meine Liebe zur Leichtathletik ist erkaltet. Wenn es die beruflichen Pflichten nicht verlangen würden, dieses Top-Event des vorolympischen Sportjahres gewissenhaft zu verfolgen, würde ich mir bestimmt nicht in aller Herrgottsfrühe Vorläufe, Vorkämpfe, das ganze Vorgeplänkel eben angucken. Bei den Entscheidungen würde ich vielleicht mal reinzappen, aber meinen Tagesablauf würde ich von ihnen - anders als in den vergangenen Jahrzehnten - sicher nicht ausrichten.

Na klar, das 100-Meter-Finale der Männer schaue ich. Es sind die paar Sekunden, in denen die Erde scheinbar stillsteht. Doch jeder, der nicht komplett mit Weltfremdheit gestraft ist, weiß: Hier veralbert der Sport die Zuschauer im größtmöglichen Stil. Die Medaillengewinner im Sprint werden in gleicher Häufigkeit des Dopings überführt wie die Radrennfahrer, die sich bei der Tour de France auf dem Podium am Arc de Triomphe feiern lassen. Zyniker sagen: Ist doch ein fairer Wettkampf, sind doch alle gedopt.

Alle gedopt? Nicht nur die Sprinter? Dieses Bild entsteht angesichts der immer neuen stichhaltigen Verdachtsmomente, die die Runde machen und angesichts einer bemerkenswerten Passivität des Weltverbandes IAAF. Ich weiß, diese Einschätzung ist ungerecht gegenüber den Athleten, die sauber sind, die sich engagieren, die sich nicht damit abfinden wollen, dass ihre schöne Sportart vor die Hunde geht. Doch wie wollen sie ihren Kampf gewinnen? Der ehemalige Geher Andre Höhne, der jetzt als Trainer arbeitet, bringt das Dilemma auf den Punkt, wenn er in der ARD sagt: "Ich komme langsam in Erklärungsnot vor den Kindern und Eltern." Er könne nur noch schwerlich dafür werben, Wettkämpfe zu bestreiten und sich fair zu messen.

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Höhne, Diskuswerfer Robert Harting und der Leverkusener 800-Meter-Läufer Robin Schembera wollen ihre Blutwerte der Öffentlichkeit zugänglich machen, um zu zeigen, dass sie sauber sind. Ein guter Schritt, doch nur ein kleiner und erst wirkungsvoll, wenn viele, viele Athleten diesem Schritt zu mehr Transparenz folgen und wenn es unverdächtige Experten gibt, die die Werte deuten.

Der Ruf des Weltverbandes IAAF ähnelt dem der Mafia und der Fifa. Wie die ARD und die britische "Sunday Times" berichten, habe die IAAF die Veröffentlichung einer vor de WM 2011 im südkoreanischen Daegu durchgeführten anonymen Athletenbefragung blockiert. Das jedenfalls behauptet die Universität Tübingen, die an der Untersuchung beteiligt war. In der Studie hatten knapp ein Drittel der Teilnehmer angegeben, in den zwölf Monaten vor der WM gedopt zu haben.

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Es bedarf großer Naivität, den Spitzensport noch zu genießen. Ob es sich um Leichtathletik, um Fußball, um Wintersport oder amerikanischen Profisport handelt. Vielleicht gewinne ich diese kindliche Naivität ja zurück und pilgere noch einmal in den Letzigrund. Eher nicht.

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(RP)
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