Formel-1-Weltmeister fährt hinterher Vettel muss die größte Krise seiner Karriere meistern

Shanghai · Das Wunderkind fährt plötzlich nur noch hinterher: Weltmeister Sebastian Vettel muss die größte Krise seiner Karriere meistern, um ein ganz Großer zu werden.

Sebastian Vettel nach Platz fünf in China gefrustet
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Vettel-Frust nach Platz fünf in China

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Nichts wie weg. Nach der ultimativen Schmach eilte Sebastian Vettel zum Flughafen, schnell nach Hause in die Schweiz, auf seinen Bauernhof, zu seiner Hanna, DVDs schauen, die Ruhe genießen. Das liebt Vettel. Niederlagen wie die in China hasst er. "Ich komme im Moment mit dem Bock noch nicht klar", schimpfte der Red-Bull-Pilot auf sein Auto namens "Suzie".

Das Wunderkind von einst fährt plötzlich nur noch hinterher und wird sogar von seinem neuen Teamkollegen Daniel Ricciardo vorgeführt. Das nagt an den Nerven. Bisher ging es für Vettel nur steil bergauf, Siege, Titel und Rekorde sammelte der Zimmermanns-Sohn wie andere Leute Briefmarken. Nun steckt der viermalige Weltmeister plötzlich in der größten Krise seiner Karriere. Seine heile Formel-1-Welt gerät ins Wanken. "Er ist sehr verwöhnt aus der Vergangenheit. Er hat mit dem Auto das Fahren verlernt", sagt RTL-Experte und Rennlegende Niki Lauda.

Der Druck auf Vettel steigt, er steht vor seiner Reifeprüfung: Kann der Heppenheimer nur mit einem überlegenen Auto als Gewinner ins Ziel fahren, wie es ihm zahlreiche Kritiker immer wieder vorwerfen? Oder schafft er die Wende und steigt damit zu einem ganz Großen der PS-Zunft auf? Wie Michael Schumacher, der einst aus einem Ferrari, der nicht viel mehr war als eine Seifenkiste, eine Rakete machte. "Generell kann man das Fahren nicht verlernen", sagt Vettel.

Formel 1: Pressestimmen zum Großen Preis von China
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Pressestimmen zum Großen Preis von China

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Vettels Selbstbewusstsein leidet

Doch die Pleiten machen ihm zu schaffen, sein Selbstbewusstsein ist erschüttert, in Shanghai spazierte er mit hängenden Schultern durch das Fahrerlager, während Ricciardo jedem sein Zahnpasta-Lächeln präsentierte. Und jetzt droht Vettel auch noch den Rückhalt im Team zu verlieren.

In der 25. Runde von Shanghai traute er jedenfalls seinen Ohren kaum. "Let Daniel pass, please - lass Daniel durch, bitte", lautete die Ansage vom Red-Bull-Kommandostand. Wie bitte? Er, der Star, der viermalige Weltmeister, der Dominator der vergangenen Jahre sollte den dauergrinsenden Ricciardo, seinen Teamkollegen, den Nobody aus Down Under kampflos vorbeiwinken! Welch ein Affront, was für eine Demütigung, ungeheuerlich. Majestätsbeleidigung.

"Ich musste einsehen, dass es wenig Sinn machte, dagegenzuhalten", sagte Vettel. Wenn man nur Siege gewohnt ist, sind Niederlagen kaum zu ertragen. Am Ende wurde er nicht nur erneut von Sieger Lewis Hamilton und dessen Mercedes-Kollegen Nico Rosberg abgehängt, als Fünfter trudelte er auch erst knapp 25 Sekunden hinter dem Vierten Ricciardo ins Ziel. Damit ist Vettels schlechtester Saisonstart seit sechs Jahren endgültig perfekt.

Aber was noch viel schlimmer ist: Ricciardo tanzt der vermeintlichen Nummer eins auf der Nase rum, er zeigt keine Ehrfurcht, rüttelt an der Vormachtstellung Vettels und hat ihm nun schon zwei Mal nacheinander im Qualifying und im Rennen die Show gestohlen.

Verbale Ohrfeiger von Red-Bull-Teamchef

"Das Teamduell beurteilen wir derzeit nicht", sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko. Übersetzt heißt das: Vettel muss sich seinen Status als Leader erst wieder erarbeiten. Und Teamchef Christian Horner verteilte ebenfalls eine verbale Ohrfeige: "Daniel kommt mit dem Auto besser klar, er hat einen super Job gemacht."

Schumacher, Juan Manuel Fangio, Alain Prost, Ayrton Senna - an diesen Legenden wird Vettel seit seinen Siegesserien gemessen. Typen, die ihre Ära prägten und im Fahrerlager als Autoritäten respektiert waren. Vettel gilt bei vielen seiner Kollegen hingegen als verwöhnter Günstling, dessen Erfolge von einem Brausehersteller alimentiert wurden. Mitleid kann er jedenfalls nicht erwarten, wieder nach vorne zu kommen, "wird kein Spaziergang", sagt er: "Ich bin nicht da, wo ich sein will. Aber das Jahr ist noch lang, alles ist möglich." Die Reifeprüfung hat begonnen.

(sid)
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