Teamorder in der Formel 1 Die Leiden des zweiten Mannes

Sotschi/Düsseldorf · In Erinnerung bleiben in der Formel 1 die Fahrer, die Weltmeister werden. Wichtiger für die Teams ist aber der Titelgewinn bei den Konstrukteuren. Deshalb wird schon mal per Stallorder die Reihenfolge im Rennen bestimmt.

 Lewis Hamilton im Gespräch mit Teamkollege Valtteri Bottas.

Lewis Hamilton im Gespräch mit Teamkollege Valtteri Bottas.

Foto: dpa, fr mr nic hpl

Seit 2013 gehört Valtteri Bottas zum kleinen Kreis der Formel-1-Piloten. Vier der aktuell 20 Fahrer haben sich bereits mindestens einmal den Traum erfüllt, den auch der 27 Jahre alte Finne hat - Weltmeister in der Automobil-Königsklasse zu werden: Sebastian Vettel (vier Titel), Lewis Hamilton (drei), Fernando Alonso (zwei), Kimi Räikkönen (ein). So groß wie jetzt war die Chance des Finnen noch nie, trotzdem scheint er von der Erfüllung seiner Sehnsucht immer noch weit entfernt zu sein.

Bottas wechselte als Nachfolger von Weltmeister Nico Rosberg von Williams zu Mercedes. Seit 2014 dominierten die Silberpfeile die Formel 1. Die Frage war selten, "ob" ein Mercedes gewinnen würde, sondern "wer" - und "wie oft" Hamilton oder Rosberg. Doch in dieser Saison haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Ferrari ist auf Augenhöhe. Den Luxus, relativ entspannt dem Duell ihrer Fahrer zuzusehen, haben Mercedes-Teamchef Toto Wolff und seine Mitstreiter nicht mehr. Der Grundsatz der Chancengleichheit, sich beide Fahrer auf der Strecke austoben zu lassen, gilt so lange, wie der Erfolg des Rennstalls nicht gefährdet ist. Einerseits Teamplayer sein, andererseits egoistisch im Kampf um die Fahrer-WM - das ist der Spagat, den Piloten und Teamverantwortliche schaffen müssen.

"Dieser Rennstall hatte noch nie einen Fahrer Nummer eins und Nummer zwei, und das ist auch nicht der Plan", sagte Bottas vor dem vierten WM-Lauf am kommenden Sonntag in Sotschi (14 Uhr/Live-Ticker). Vor zwei Wochen spürte er erstmals, was es heißt, der neue Mann an der Seite eines dreimaligen Champions zu sein. "Halte Lewis nicht auf!", lautete die unmissverständliche Ansage vom Kommandostand an Bottas. Der Finne hatte im Qualifying Platz eins belegt und war erster Verfolger von Sebastian Vettel. Doch die Chefstrategen trauten Hamilton nach Auswertung der Daten eher zu, den Ferrari-Star noch abzufangen. "Wenn der Moment kommt, an dem man erkennt, dass man das Rennen verlieren wird, wenn man nichts ändert, muss man unpopuläre Entscheidungen treffen", sagte Wolff. Der Sieger hieß - Vettel.

Bottas gab sich nach außen recht entspannt. "Das Team muss Entscheidungen treffen, um die maximale Anzahl von Punkten zu holen. Wenn ich deshalb angewiesen werde, Platz zu machen, dann werde ich das tun. Aber ich arbeite daran, nicht in diese Position zu kommen", sagte der 27-Jährige. Eine Einstellung, die bei den Verantwortlichen gut ankommt, die aber nicht jeder beherzigt. Vettel und Hamilton gehören zu den Spezies, die Aufforderungen vom Kommandostand schon mal ignorieren.

Teamorder, in der Formel 1 verpönt und fast acht Jahre bis 2010 sogar verboten, war und ist ein Mittel, erfolgreich zu sein. Und es wird, mehr oder weniger offensichtlich, angewandt. Bitter wird es für einen Fahrer, wenn er nur noch die Helferrolle spielen darf. Wie einst bei Ferrari. Berühmt ist der Satz des damaligen Teamchefs Jean Todt. "Let Michael pass for the championship", forderte der Franzose, heute Präsident des Automobil-Weltverbandes (Fia), Rubens Barrichello beim Grand Prix von Österreich 2001 auf. Der Brasilianer ließ Michael Schumacher beim fünften von 17 WM-Läufen vorbei auf Platz zwei. Der Kerpener (42 Punkte) büßte nur vier Zähler auf David Coulthard (38) im McLaren-Mercedes ein. Der Schotte war am Saisonende WM-Zweiter - mit 65:123 Punkten deklassiert.

Noch frustrierender war es ein Jahr später. Eigentlich war ein Platztausch ausgeschlossen worden, falls der Südamerikaner auf Platz eins liegen würde. Doch es geschah erneut in Österreich. Schumacher hatte vier der fünf Saisonrennen gewonnen, dennoch musste Barrichello seinen Sieg opfern. Er tat es spektakulär, bremste erst kurz vor dem Ziel und wartete, bis sein Teamkollege an ihm vorbeifuhr. Bei der Siegerehrung schob Schumacher den Deprimierten aufs oberste Podest. Wegen Missachtung der Siegerehrung musste Ferrari eine Million Dollar zahlen. Nach elf der 17 WM-Rennen war Schumachers WM-Triumph schon perfekt.

Auch 2010 spielte Ferrari die Hauptrolle beim geschenkten Sieg. Felipe Massa (Brasilien) musste in Hockenheim dem zweimaligen Champion Fernando Alonso Platz machen. Dem Spanier half dies nicht. Am Saisonende ließ sich Red-Bull-Fahrer Sebastian Vettel erstmals als Weltmeister feiern.

(RP)
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