Nationalmannschaft Auf einer Stufe mit Netzer und Beckenbauer

Düsseldorf (RPO). Die deutsche Nationalmannschaft hat sich locker für die Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine qualifiziert. Zehn Siege aus zehn Spielen bedeuten einen neuen Rekord, die Mannschaft gehört bei der Endrunde zu den Topfavoriten. Und im Vergleich zu den Mannschaften, die die bisherigen drei EM-Titel nach Deutschland holten, hat der aktuelle Kader das größte Potenzial.

EM-Quali, Deutschland - Belgien: Einzelkritik
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EM-Quali, Deutschland - Belgien: Einzelkritik

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Foto: dapd

Besser hätte die Qualifikation nicht laufen können. Der 3:1-Erfolg gegen Belgien war der zehnte Sieg im zehnten Qualifikationsspiel — zuvor war das noch keiner deutschen Nationalmannschaft gelungen. Durch die bereits bei der WM 2010 in Südafrika gezeigten Leistungen und die höchst souveräne Quali führt der Weg zum EM-Titel im kommenden Jahr nur über Deutschland.

Bundestrainer Joachim Löw dämpft allerdings die Erwartungen. "Bei uns darf niemand vollmundig durch die Gegend laufen und sagen: 'Wer will uns denn noch was?' Ich bin für Bescheidenheit und eine realistische Einschätzung. Wir sind einer von fünf, sechs Titelkandidaten — nicht mehr und nicht weniger", sagte Löw in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung: "Ich glaube, dass die EM vielleicht sogar schwieriger zu gewinnen ist als die WM." Doch Deutschland hat schon mit ganz anderen Mannschaften Titel gewonnen. RP Plus blickt auf die drei Siege bei Europameisterschaften zurück und vergleicht die Mannschaften mit der heutigen.

EM 1972 in Belgien

Sie galt als die beste Nationalmannschaft aller Zeiten — und dient der heutigen deutschen Elf neuerdings als Maßstab. Günter Netzer als genialer Spielmacher, der dem Begriff "aus der Tiefe des Raumes" seine Daseinsberechtigung gab, dahinter Franz Beckenbauer, dessen erhabene und kluge Spielweise zu seinem Spitznamen "Kaiser" beitrug, und klassische Fußball-Arbeiter, wie sie Deutschland immer gehabt hat: Hans-Georg "Katsche" Schwarzenbeck, Horst-Dieter "Eisenfuß" Höttges und Herbert "Hacki" Wimmer hielten den Kreativen den Rücken frei. Die dritte Gattung der deutschen Elf von 1972 bestand aus emsigen, schnellen Spielern, die auch gut in die heutigen modernen Fußball-Systeme hineinpassen würden: Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Jupp Heynckes. Und vorne lief ein Gerd Müller herum, der auch mit einer Augenbinde wusste, wo das Tor stand. Ähnlich wie Mario Gomez, der das Erbe Müllers im DFB-Dress und bei Bayern München derzeit vergoldet.

Das deutsche Spiel bei der EM 1972 war nahezu perfekt, die Offensive weltklasse. So war es kein Wunder, dass Deutschland den Mythos der englischen Unbesiegbarkeit im Wembley-Stadion im Viertelfinale, das vor der eigentlichen Endrunde in Belgien ausgetragen wurde, zu brechen. 3:1 gewann die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes durch Tore von Hoeneß, Netzer, und Müller. Ein überragender Sepp Maier im Tor, der damals die Ära der starken deutschen Torhüter einleitete, hielt alles, was zu halten war. Im Rückspiel erkämpfte Deutschland ein 0:0 und fuhr als Favorit zur EM. Das Weiterkommen gegen England war die Geburt einer Jahrhundert-Elf.

Mit zwei Toren brachte Müller Deutschland im Halbfinale gegen Gastgeber Belgien auf die Siegerstraße, am Ende gewann Deutschland 2:1. Im Endspiel ließ die DFB-Auswahl der Sowjetunion beim 3:0 keine Chance. Müller, Wimmer und Müller mit seinem 51. Treffer im 41. Länderspiel sicherten Deutschland den ersten Titel nach dem WM-Gewinn 1954. Zwei Jahre später holte die deutsche Elf im eigenen Land den WM-Titel. Diese Mannschaft von 1972 war ein filigranes Ungeheuer, das spielerische Glanzpunkte setzte und den Gegner mit eisernem Willen zerstörte.

EM 1980 in Italien

Von den Helden von 1972 und 1974 ist keiner mehr übrig geblieben. Beckenbauer, Müller Maier, Netzer — sie alle haben ihre Nationalmannschafts-Karriere bereits beendet. So musste der neue Bundestrainer Jupp Derwall einen Umbruch einleiten. Noch nie war eine unerfahrenere deutsche Mannschaft bei einem großen Turnier angetreten. Durchschnittlich kamen die deutschen Spieler vor der Endrunde 1980 auf 11,5 Länderspiele. Ein Witz im Vergleich zur Konkurrenz. Und dennoch hegten die Fans Hoffnungen, dass es etwas werden könnte mit dem zweiten Titel. Denn seit 1978 blieb die Mannschaft unter Derwall in 15 Spielen ungeschlagen, die letzten sieben Partien vor der EM wurden allesamt gewonnen.

Die alten Helden waren weg, neue mussten gefunden werden. Das Gerüst bildeten damals Uli Stielike, der immerhin bei Real Madrid spielte, und Karl-Heinz Rummenigge, dem nur eine Nuance zur Weltklasse fehlte. Die spielerischen Akzente sollte ein 20 Jahre alter Blondschopf setzen: Bernd Schuster lenkte das deutsche Spiel trotz seines jungen Alters und war einer der Garanten für den Gewinn des EM-Titels.

Neben Schuster feierten auch Klaus Allofs, der mit drei Toren im Gruppenspiel gegen die Niederlande Geschichte schrieb, und Horst Hrubesch ihre fußballerische Krönung. Hrubesch, der eigentlich nicht zum Kader gehören sollte und nur wegen eines Beinbruchs von Klaus Fischer dabei war, wurde im Endspiel zum Helden. Gegen Belgien erzielte er beim 2:1 beide deutschen Treffer.

Die EM 1980, die eigentlich mit dem Umbruch Derwalls zwei Jahre zuvor begonnen hatte, war die Geburt einer neuen deutschen Generation. Allofs wurde bei der EM mit drei Treffern Torschützenkönig, dahinter brillierte Bernd Schuster. Und einer feierte in Belgien sein Debüt in der Nationalelf: Der damals 19 Jahre alte Lothar Matthäus wurde im Spiel gegen die Niederlande eingewechselt. Zehn Jahre später sollte er Deutschland bei der WM in Italien zum Titel führen.

EM 1996 in England

Titel sind etwas ganz Besonderes. Titelgewinne in England aber setzen den eigentlichen Feierlichkeiten die Krone auf. Ausgerechnet im Mutterland des Fußballs holte Deutschland den dritten EM-Titel. Und ausgerechnet Gastgeber England scheiterte im Halbfinale an der Mannschaft von Bundestrainer Berti Vogts, der vor und während des gesamten Turniers mit vielen Problemen zu kämpfen hatte.

Nach einer schwachen Weltmeisterschaft 1994 beendete Vogts mit der Nicht-Nominierung die Karriere von Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus (122 Einsätze). Vogts verzichtete im Sinne der Mannschaft auf den egozentrischen Leitwolf und setzte auf Spieler, die sich in den Dienst der Mannschaft stellten. Der Satz "Die Mannschaft ist der Star" erlebte bei der EM in England seine Geburtsstunde.

Führungsspieler hatten die Deutschen trotz des Fehlens von Matthäus genug, einer stach durch seine Leistungen jedoch heraus. Matthias Sammer war Motor, Herz und Kopf der EM-Elf von 1996. Vogts ließ Sammer hinter einer Viererkette Libero spielen, Sammer interpretierte diese Aufgabe jedoch äußerst offensiv und mimte oft den Spielmacher im deutschen Team. Das war nur möglich, weil Dieter Eilts den Rotschopf absicherte. Eilts, Sammer und dahinter Andreas Köpke im Tor waren die Fixpunkte im deutschen Team. Sammer wurde nach dem Halbfinale sogar von den englischen Medien geadelt. "Ich wünschte, er wäre Engländer", schrieb ein Daily-Mirror-Kolumnist nach dem dramatischen 6:5-Sieg der Deutschen nach Elfmeterschießen gegen den Gastgeber. "Er kann wie kein Zweiter das Spiel lesen — und das in der Güteklasse von Franz Beckenbauer", schrieb die "Times".

Sammer war neben Eilts die einzige Konstante im deutschen Spiel. Bundestrainer Vogts musste wegen zahlreicher Verletzungen (Basler, Kohler, Bobic, Klinsmann) in jedem Spiel umstellen, nie stand die gleiche deutsche Elf auf dem Platz. So mussten Reservisten wie Mehmet Scholl, Stefan Kuntz oder im Finale Oliver Bierhoff, der gegen Tschechien das erste Golden Goal der Fußball-Geschichte erzielte, in die Bresche springen. Aufgrund der Verletzungsmisere nominierte Vogts einen Tag vor dem Finale sogar noch Jens Todt nach, weil er nur mit acht Feldspielern trainieren konnte. Andreas Möller und Stefan Reuter waren für das Endspiel gesperrt, zudem verletzten sich zusätzlich noch Stefan Kuntz und Thomas Helmer.

Es war der unbändige Wille und der Mannschaftsgeist, der Deutschland zum Titel geführt hat. Schön war das deutsche Spiel nicht anzusehen, spielerische Momente waren selten. Ein überragender Sammer und ein Gefüge, das sich auf dem Platz blind verstand und sich mit aller Macht um den Sieg bemühte, gab den Ausschlag für den letzten deutschen EM-Titel.

Im kommenden Jahr wird von der Arbeiter-Mentalität von 1996 nicht mehr viel übrig sein. Die deutsche Mannschaft hat sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt und sich den Respekt der Gegner erarbeitet. Nicht durch physische Stärke, sondern durch Kreativität und ein temporeiches Offensivspiel. Nur mit diesen Mitteln ist es möglich, Titelverteidiger Spanien vom Thron zu stoßen. Sollte das gelingen, darf sich die deutsche Elf von 2012 gerne mit der von 1972 vergleichen.

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