Bayer Leverkusen Gefühlschaos zwischen Lotte und London

London · Gut eine Woche liegt zwischen der Blamage im DFB-Pokal gegen Lotte und dem 1:0-Sieg gegen Tottenham im legendären Wembley-Stadion. Die Ambivalenzen der Werkself in dieser Spielzeit sind ebenso rätselhaft wie spektakulär.

Tottenham Hotspur - Bayer 04 Leverkusen: Einzelkritik
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Tottenham - Leverkusen: Einzelkritik

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Hängende Köpfe, ratlose Gesichter, jubelnde Gegner - als Bayer 04 gegen die Sportfreunde Lotte im Elfmeterschießen drei Versuche vergab, und der Drittligist nach einer Energieleistung in Unterzahl in das DFB-Pokal-Achtelfinale einzog, drohte der Werkself die Saison bereits frühzeitig zu entgleiten. In der Bundesliga hatte es vorab zwei Niederlagen gegeben. Es folgte das blamable Pokal-Aus. Trainer Roger Schmidt wurde nach dem 0:3 gegen Hoffenheim überdies zwei Spiele gesperrt. Es brodelte unterm Bayer-Kreuz. Längst hatte sich Ernüchterung breit gemacht.

Nun bietet sich ein komplett anderes Bild. Zwischen dem Tiefpunkt in Lotte und dem neuerlichen Höhepunkt in London, wo Leverkusen gegen Tottenham Hotspur 1:0 gewann, liegen nur acht Tage - ein Sinnbild für den bisher bipolaren Saisonverlauf der Werkself, der sich mit "zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt", treffend zusammenfassen lässt. Kevin Kampl erzielte das Tor des Tages (65.). In der Schlussphase musste der Slowene verletzt ausgewechselt werden - mit einer schmerzhaften Prellung am Fuß. Er wird wohl eine noch nicht zu beziffernde Pause einlegen müssen. Seine Freude über den Sieg trübte das aber nicht.

Wie schon so oft in dieser Saison - und gerade in Krisenzeiten - war auf den flinken und technisch versierten Allrounder Verlass, der sich wie wenige andere zuletzt gegen jede Niederlage gewehrt hatte. Die Anhänger lieben den gebürtigen Solinger - auch oder gerade dafür. Kampl ist ein Kind des Vereins, viele Jahre kickte er in der Jugend. Er zählt aber zu denen, die Umwege gingen und erst nach ihrer Rückkehr ihr wahres Leistungsvermögen entfachten.

Mit dem Erfolg in London machte Bayer 04 einen großen Schritt in Richtung Achtelfinale der Champions League. In der Königsklasse stehen noch das Spiel bei ZSKA Moskau (22. November) und gegen den AS Monaco in der BayArena an (7. Dezember). Als Gruppenzweiter hat die Werkself nun alles selbst in der Hand. "Natürlich kann man es genießen, wenn man die eigene Mannschaft gut Fußball spielen und kämpfen sieht", sagte Schmidt nach der Partie vor 85.512 Zuschauern im Wembley-Stadion - eine Rekordkulisse für Bayer 04. "Wir waren sehr geschlossen und hatten sehr viel Willen, das Spiel zu gewinnen. Man hat der Mannschaft in jeder Situation angemerkt, dass sie den Sieg will - und das gegen eine Mannschaft wie Tottenham Hotspur, die in der Premier League noch kein Spiel verloren hat. Das ist etwas sehr Außergewöhnliches."

Auch in der Liga ist man nach dem 2:1 in Wolfsburg auf dem aufsteigenden Ast. Nun kommt morgen der SV Darmstadt 98 in die BayArena (15.30 Uhr). Wer im Wembley-Stadion gegen Tottenham gewinnt, sollte wohl auch mit Darmstadt im eigenen Stadion klarkommen, könnte man meinen - aber der bisherige Saisonverlauf zeigt, wie trügerisch die Zwischenhochs der Werkself sein können. Nach den Siegen in Mainz und gegen Dortmund schien Ende September auch wieder alles in bester Ordnung. Es folgte der Knick nach unten mit dem Tiefpunkt in Lotte.

Die Fähigkeit, erst dann durch Leistung zu überzeugen, wenn das Wasser bis zum Hals steht, ist ebenso beeindruckend, wie rätselhaft (siehe Kommentar). Geschäftsführer Michael Schade sowie Sportchef Rudi Völler forderten nach Lotte unisono, dass Schmidt und die Mannschaft Ergebnisse liefern müssten - und genau das ist passiert. Ein Sieg morgen gegen Darmstadt vor der Länderspielpause wäre ein Beleg dafür, dass mit Bayer 04 auch in der Bundesliga wieder zu rechnen ist. "Ich finde, dass die Mannschaft sehr mutig und sehr entschlossen aufgetreten ist", bilanzierte Schmidt sichtlich zufrieden nach dem Spiel in London. "Wir sind stabil geblieben - auch in der zweiten Halbzeit. Nach dem 1:0 haben wir einige schwierige Situationen verteidigen müssen."

Stabilität und Konstanz sind indes genau die Dinge, die bisher in dieser turbulenten Spielzeit gefehlt haben. In dieser Hinsicht könnte Tottenham ein Schlüsselerlebnis für die Werkself gewesen sein.

(RP)
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