Bayer Leverkusen "Schmidt braucht keinen Plan B"

Leverkusen · Momo Akhondi, Experte beim Taktik-Portal "Spielverlagerung" verfolgt die Arbeit von Bayer 04-Trainer Roger Schmidt bereits seit dessen Zeit bei RB Salzburg. Er spricht über mögliche Ursachen der sportlichen Talfahrt und was ihn am System des 48-Jährigen fasziniert.

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Foto: AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA

Sie sagen, momentan haben Sie nicht mehr das Gefühl, Bayer 04 sei das gleiche Team der Vorsaison. Warum?

Momo Akhondi Ich stütze mich auf die Aussagen des Trainers, der bereits nach dem 0:3 gegen den BVB sagte, dass seine Mannschaft zu ihrem Spiel zurückfinden muss. Die Mannschaft schafft es derzeit nicht, als Einheit aufzutreten und kommt in vielen Situationen einen Schritt zu spät. Trotzdem wird noch versucht, Druck auf den Ballführenden auszuüben - dann wird es manchmal ein wenig chaotisch.

Gehört das Chaos nicht ein Stück weit zu Schmidts System dazu?

Akhondi Nein, das System ist äußerst komplex, anspruchsvoll und sehr gut durchdacht. Dabei will man in vielen Bereichen einfach noch extremer agieren als der Gegner. Wenn dies einzelne Spieler falsch umsetzen und nicht die Leistung bringen, die Schmidt von ihnen erwartet, wird es schwierig. In manchen Phasen erscheint es dann willkürlich, was auf dem Platz geschieht. Man muss dazu sagen, dass Schmidt für seine Methodik und die Art, wie er ein Training aufbaut, weltweit angesehen ist. Das macht er außergewöhnlich gut. Er spielt eben ein System, in dem es auf Höchstleistungen jedes Einzelnen ankommt.

Sie haben sich mit Schmidt ausgetauscht, wie er seine Spielweise definiert. Was hat er Ihnen verraten?

Akhondi Das sprengt den Rahmen (lacht). Auf jeden Fall legt er Wert auf offensives Pressing - möglichst weit vorne. Zudem soll der Ball auf die Außenpositionen gelenkt werden. Die Spieler, die pressen, müssen gut abgesichert sein, damit man - egal, in welche Richtung sich der Gegner befreien will - vorbereitet ist.

Muss Schmidt lernen, von seinem Spielstil ein wenig abzuweichen?

Akhondi Die Frage ist, wo er Kompromisse eingehen kann? Medial wird sein System oft simpel heruntergebrochen und so verkauft, als sei die Spielidee von Grund auf mangelhaft. Dabei ist es eben nicht nur blindes Dem-Ball-Hinterherlaufen.

Wie lassen sich die durchwachsenen Ergebnisse in der laufenden Saison erklären?

Akhondi Leverkusen agiert in Ballbesitz wenig spektakulär und hat entsprechend Probleme in der Offensive. Trotzdem schafft man es, meist defensiv nur sehr wenig zuzulassen. Oft entscheidet die Schwäche bei Standardsituationen knappe Spiele gegen Bayer. Man kann also ein Stück weit von Pech sprechen. Ich denke aber auch, dass aufgrund der vielen Verletzten und der Englischen Wochen die Spieler auch ein psychologisches Problem haben. Man merkt, dass sie unbedingt zu ihrem Spiel zurückfinden wollen und dabei verkrampfen. Es wäre eine Überlegung, Tempo und Stress auf dem Platz ein Stück weit rauszunehmen, um dem Team mentale Ruhe zurückzugeben. Einfach gesagt, weniger perfekt sein zu wollen.

Fehlt ein Plan B?

Akhondi Trainer wie Schmidt zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Plan A so gut ist, dass kein Plan B nötig ist. Zudem muss man sich auch die Frage stellen, wann Plan A ausgereift genug ist, um einen zweiten zu entwickeln? Wie definiert man überhaupt diesen Plan B? Wenn man vier Pläne hat, die jedoch allesamt halbgar sind, dann ist das auch nicht gut. Auf gewisse Situationen zu reagieren, würde ich eher als eine Verfeinerung von Plan A bezeichnen.

Sie sehen ein Problem mit Kevin Kampl auf der Doppelsechs, dabei ist er bisher doch eine der wenigen Konstanten in dieser Saison.

Akhondi Das Problem ist zweischneidig. Zum einen ist er ein wichtiges Element im Angriffsspiel. Daher, dass er so weiträumig agiert und auf vielen Positionen zu finden ist, destabilisiert er jedoch die Ordnung im Moment des Ballverlustes.

Wer über Schmidts System spricht, kommt am Gegenpressing nicht vorbei. Was ist ein gutes Gegenpressing?

Akhondi Vereinfacht gesagt: wenn der Gegner nicht kontern kann. Wenn man den Ball verlieren kann, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Für ein dominantes Spiel ist das unumgänglich, weil man nicht unnötige Wege nach hinten gehen möchte. Das ist natürlich sehr schwer und kraftintensiv.

Ist das die Erklärung für die Verletzten?

Akhondi Ich bin sehr überrascht, dass es derzeit so viele Verletze gibt. Das war schon in der Vorbereitung zu spüren, als die Mannschaft noch nicht im Drei-Tage-Rhythmus spielen musste. In der vergangenen Saison war Bayer 04 noch eines der Teams mit den wenigsten Verletzungssorgen. Das lag vor allem an der guten Prophylaxe von Co-Trainer Oliver Bartlett. Dass wichtige Säulen fehlen, erschwert die sportliche Situation natürlich zunehmend.

Fehlt dem Kader die nötige Breite, um die Ausfälle zu kompensieren?

Akhondi In dieser Saison schon - vor allem auf der Außenverteidiger- und Sechserposition. Schmidt hatte in seiner Laufbahn jedoch immer recht dünne Kader. Das hat aufgrund weniger Verletzungen auch immer gut geklappt. Er wurde damals in Salzburg kritisiert, weil er kaum rotierte. Das war aber überhaupt nicht nötig, obwohl das Team beinahe alle drei Tage spielte. Die Frage ist, ob es in dieser Saison einfach Pech ist, oder ob etwas falsch gemacht wurde in der Vorbereitung.

Wie erklären Sie sich die extremen Leistungsschwankungen?

Akhondi Ich weiß, das klingt jetzt sehr kritisch, aber meiner Meinung nach zeigt Bayer 04 in dieser Saison Leistungen auf konstant niedrigem Niveau. Die Mannschaft kann nämlich viel mehr. Wirklich überzeugende Spiele waren das Rückspiel in der Champions-League-Qualifikation gegen Lazio Rom und gegen Werder Bremen. In diesen Partien trat die Mannschaft über die volle Distanz gefestigt auf.

Liegt es daran, dass das System durchschaut wurde?

Akhondi Nein, nach gewisser Zeit ist es normal, dass die Gegner versuchen, sich auf das Leverkusener Spiel besser vorzubereiten. Kein Bundesliga-Trainer wird jemals vor einer Partie gegen Bayer 04 sagen: Die spielen perfekt - schicken wir mal die B-Elf hin.

Simon Janßen führte das Gespräch.

(RP)
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