Heiko Herrlich im Interview "Manchmal mache ich Fehler"

Leverkusen · Heiko Herrlich ist ein geduldiger Mensch. Für das vereinbarte Gespräch mit dem Cheftrainer von Bayer 04 waren aus Termingründen nur 25 Minuten angedacht - am Ende nimmt sich der 46-Jährige fast eine Stunde Zeit.

Heiko Herrlich: Torjäger, Aufstiegstrainer, Leverkusen-Coach
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Das ist Heiko Herrlich

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Herrlich wägte viele seiner Worte ab, holt weit aus, um seinen Standpunkt über seinen Beruf zu erklären. Am Samstag (18.30 Uhr/Live-Ticker) trifft seine Werkself auf Borussia Mönchengladbach.

Herr Herrlich, Sie sind ein gläubiger Mensch. Beten Sie für Siege Ihrer Mannschaft?

Herrlich Letztlich kommt es doch so, wie es der liebe Gott vorhat. Ich bete vielmehr dafür, dass alle gesund bleiben. Ich bete auch für den Gegner und für die Kraft, in schwierigen Situationen ruhig zu bleiben. Manchmal werde ich erhört, manchmal mache ich Fehler.

Beim letzten Spiel in Mönchengladbach hat Ihr Hinfaller den Pokalsieg der Werkself überschattet und für viele Diskussionen gesorgt. Sie mussten 12.000 Euro Strafe zahlen.

Herrlich Sehen sie, in der Situation wollte ich das Spiel langsam machen und habe den Ball unnötigerweise durch meine Beine rollen lassen. Schon das hätte ich mir sparen können, das andere sowieso. Ich habe mich direkt danach entschuldigt und zu Recht Hohn und Spott ertragen. Auch in meinem privaten Umfeld kam das gar nicht gut an. Aber ich habe die Strafe bezahlt. Damit ist das Thema für mich erledigt.

Viele Fans aus Mönchengladbach dürften das anders sehen.

Herrlich Ich gehe schon davon aus, dass auch morgen einige pfeifen werden. Mir tut die Aktion leid, und ich werde versuchen, mich am Riemen zu reißen. Die Zuschauer kommen nicht wegen der Trainer oder Schiedsrichter ins Stadion, sondern wegen der Spieler. Deswegen sollten sich Trainer auch so verhalten, dass sie im Hintergrund stehen. Ich habe daraus gelernt.

Fühlen Sie sich manchmal einsam in ihrem Job?

Herrlich Nein. Ich habe ein gutes Team um mich herum und bekomme jede Unterstützung, die ich brauche. Natürlich bin ich mir aber der Mechanismen im Profi-Fußball bewusst: Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, ist der Trainer der Erste, der infrage gestellt wird.

Nach ihrem Engagement in Bochum 2009 haben Sie es über die Stationen Unterhaching, München und Regensburg zurück in die Erste Liga geschafft. Wie wichtig waren die Erfahrungen in den unteren Klassen und im Jugendbereich?

Herrlich Ich bin dankbar, dass ich überhaupt im Fußball arbeiten darf. Für mich hat es nie eine Rolle gespielt, ob ich die U 19 in Dortmund, die U 17 in München, einen Regional- oder Drittligisten gecoacht habe. Ich habe nicht darauf hingearbeitet, wieder in der Ersten Liga zu sein. Das hat sich so ergeben.

Ihr Job ist dennoch heiß begehrt. Schließlich gibt es nur 18 Stellen.

Herrlich Den Job als Bundesligatrainer könnten sicher viele in Deutschland machen. Egal, ob im Nachwuchsbereich oder in der Regionalliga - es gibt so viele gute Leute. Auch in Illertissen wissen sie, wie man eine Viererkette organisiert.

In Leon Bailey haben Sie einen der zurzeit aufregendsten Spieler der Liga in Ihren Reihen. Wie abhängig ist Bayer 04 vom Jamaikaner?

Herrlich Mich hat es nicht überrascht, dass wir am vergangenen Wochenende auch ohne ihn in Wolfsburg gewonnen haben. Wir haben mehrere Spieler im Kader, die den Unterschied ausmachen können.

Trotzdem - mit acht Toren und sechs Vorlagen gehört Bailey schon jetzt zu den Topscorern der Liga. Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Herrlich Er ist ein absoluter Teamplayer und sich nicht zu schade, wie andere auch nach dem Training die Hütchen einzusammeln. Das ist zwar nicht der entscheidende Gradmesser, aber auch dort ordnet er sich dem Teamgedanken unter. Es ist nicht einfach, mit dem Hype umzugehen, aber er hat ihn sich hart erarbeitet. Ich habe das Gefühl, dass er geerdet ist und weiß, worauf es ankommt. Leon ist sich bewusst, dass die positiven Schlagzeilen ihn nicht zu einem besseren Spieler machen.

Sind es also vielmehr die Rückschläge, aus denen er lernen und sich entwickeln muss?

Herrlich Ja, aber das ist normal. Er hat ein paar Tore geschossen, die so spektakulär waren, dass man ihm bereits Weltklasse attestiert hat. Er ist 20 Jahre alt - wie soll er mit so einem Prädikat umgehen? Ein Weltklasse-Spieler zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass er seine Mitspieler besser macht. Ich hatte das Privileg, mit einigen zusammenzuarbeiten: Jorginho, Matthias Sammer oder auch Toni Kroos, den ich als Trainer begleiten durfte. Man muss Leon Bailey auch mal ein schlechtes Spiel zugestehen oder dass er mal genervt ist, wenn ihm alles zu viel wird. Das heißt nicht, dass er abgehoben ist.

Sprechen Sie oft über die Erlebnisse aus Ihrer Profi-Karriere?

Herrlich Das gehört zu meinem Fundus. Ich erzähle oft von Fehlern, die ich gemacht habe. Ich kann sie nicht mehr korrigieren, aber ich kann meinen Spielern selbstkritisch davon berichten. Ich habe dem Team vor der Saison acht Gebote mitgegeben. Eines davon lautet: "Der Gewinner vergleicht seine Leistung mit seinen Zielen, der Verlierer seine Leistung mit denen anderer Leute." Wenn du alles gegeben, alles versucht hast, kannst du auch ein Gewinner sein, ohne gewonnen zu haben.

Ihren Spielern wollen Sie mit dem gleichen Respekt wie Ihrem eigenen Sohn gegenübertreten. Sind Sie Trainer und Vaterfigur zugleich?

Herrlich Klar müssen die Spieler spüren, dass ich immer für sie da bin, aber hier bei Bayer 04 muss ein Leistungsklima herrschen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: In der ersten Länderspielpause haben wir in einem Testspiel 1:2 gegen Bochum verloren. Für das eigentlich freie Wochenende hatten die Spieler schon Flüge gebucht, aber ich habe sie am Samstag trainieren lassen. In der darauffolgenden Pause kam Fortuna Köln zum Test nach Leverkusen. Vor dieser Partie habe ich in Kevin Volland und Karim Bellarabi zwei Spieler bestimmt, die als Einzige am Wochenende hätten trainieren müssen, wenn wir auch dieses Spiel verloren hätten.

Am Ende siegte Ihr Team 4:0 und blieb bis zum Rückrundenauftakt gegen München ungeschlagen.

Herrlich Die Freizeit der Spieler ist die härteste Währung. Ich muss auch hart zu ihnen sein. Als ich ihnen den freien Tag gestrichen habe, wusste ich, dass der Punkt gekommen war, an dem ich sie hätte verlieren können. Am Ende muss man mehr richtige als falsche Entscheidungen treffen - darauf kommt es an.

SEBASTIAN BERGMANN UND GIANNI COSTA FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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