Ex-Profi Rolfes im Interview "Der Videobeweis ist nicht aufzuhalten"

Düsseldorf · Der frühere Leverkusener Profi Simon Rolfes ist heute Spielerberater und Inhaber der Torlinientechnologie-Firma GoalControl. Die Debatte um den Videoschiedsrichter sieht er entspannt. Er sagt, "esports" zeige dem Fußball, wie die Zukunft aussieht.

 Simon Rolfes. (Archivbild)

Simon Rolfes. (Archivbild)

Foto: Anne Orthen

Simon Rolfes ist im dritten Jahr Ex-Profi. Langweilig wird dem früheren Leverkusener aber nicht. Der 35-Jährige führt eine Spielerberatung und übernahm im Mai die Aachener Torlinientechnik-Firma GoalControl. Wir haben Rolfes zum Interview getroffen.

Herr Rolfes, wie lautet die passende Berufsbezeichnung für Sie nach Ihrem Karriereende? Unternehmer? Firmeninhaber? Berater?

Rolfes Das passt alles irgendwie. Unternehmer passt aber wahrscheinlich am besten.

Was steht denn auf der Visitenkarte?

Rolfes Managing Partner.

Wie fühlt sich die neue Rolle an? Immerhin bewegen Sie sich weiterhin im Fußball-Kosmos.

Rolfes Als Spieler hat man ein sehr klar umrissenes Netzwerk. Im Verein sind es Trainer, Ärzte, Physiotherapeuten, außerhalb Berater und Journalisten. Das war es dann aber auch schon. Von den Kontakten, mit den ich heute zu tun habe, habe ich vielleicht 30 Prozent während meiner Profizeit geknüpft und 70 Prozent in den vergangenen zweieinhalb Jahren. Das ist extrem spannend, aber eben kolossal anders als mein früheres Leben.

Haben Sie sich als Profi manchmal intellektuell unterfordert gefühlt?

Rolfes Sagen wir mal so: Ich hatte schon immer den Drang, dass da noch mehr sein muss im Leben. Und das ist gar keine Kritik am Profidasein. Es ist fantastatisch, Profi zu sein, es gibt so viele fantastische Momente. Aber ich habe mich vom Kopf her nicht ausgelastet gefühlt. Und ich merke ja jetzt, dass du im "normalen" Berufsleben viel mehr gefordert wirst, vielfältiger, als Persönlichkeit vor allem. Als Spieler hast du eigentlich nur den Druck, dass du am Wochenende 90 Minuten lang liefern musst. Der kann aber auch belasten.

Und was für einen Druck haben Sie heute?

Rolfes Jetzt ist es anders. Du hast nicht diesen einen Erfolgsmoment, dieses Adrenalin wie bei einem Tor oder einem Sieg, und das steht am nächsten Tag auch in der Zeitung. Jetzt arbeitest du jeden Tag an Projekten, und wenn sie klappen, freut sich deine Frau mit dir, aber es steht tags darauf nicht in der Zeitung.

Wie wichtig war für das neue Leben die Eintrittskarte "Ex-Profi"?

Rolfes Die ist schon wichtig. Du bist einfach Teil der Branche, einer übersichtlichen Branche. Da öffnen sich viele Türen viel leichter, das muss ich schon sagen. Für die Abschlussarbeit meines Uefa-Studiums habe ich neun Vereine in Europa besucht. Barcelona, Atletico Madrid, Bilbao, Tottenham, Eindhoven, Salzburg, Leipzig, Dortmund und Gladbach. Als ich bei denen angefragt habe, kannten sie mich entweder, oder ich kannte einen dazwischen.

Gibt es einen Alltag?

Rolfes Natürlich dreht er sich vor allem um die beiden Bereiche Spielerberatung und Goal Control. Aber ein konkreter Alltag lässt sich nicht beschreiben, das ändert sich von Woche zu Woche.

Stichwort Goal Control. Wie muss man sich den Wettbewerb mit dem Konkurrenten HawkEye vorstellen, der die Bundesliga-Tore überwacht?

Rolfes Es ist ein junger Markt mit einer spannenden Konstellation, weil es ja weltweit nur zwei Anbieter für die Technologie gibt, die zudem per Lizenz geschützt sind. Bisher leisten sich ja nur die Top-Ligen die Technologie, aber grundsätzlich erobert Technologie immer mehr den Fußball. Die Frage ist nur, in welcher Geschwindigkeit. Aber dass die Ligen sich vor der Technik schützen können, wird nicht funktionieren. Die Menschen wollen überall technologische Lösungen, auch im Fußball.

Geschwindigkeit ist eine gute Überleitung zum Videobeweis. Der ist in der Bundesliga sehr umstritten. Eben weil der DFB zu schnell vorgegangen ist?

Rolfes Nein, das glaube ich nicht. Auch der Weg mit dem Operation Center in Köln ist der richtige Weg, da mussten DFB und DFL einfach Pionier sein. Dass am Anfang auch darüber diskutiert wird, war klar. Womit ich ein Problem habe: Ich weiß selbst nicht mehr, welche Entscheidung über den Videobeweis geregelt werden soll. Man hätte sich erstmal nur auf glasklare Fehlentscheidungen konzentrieren sollen, aber man ist zu schnell in die Graubereiche rein. Und über die diskutieren wir jetzt jede Woche. Deswegen muss neu justiert werden, und dann wird das auch laufen.

Also wird der Videobeweis definitiv erhalten bleiben?

Rolfes Ja, auf jeden Fall! Das ist nicht mehr aufzuhalten. In Italien läuft es super. Da sind alle zufrieden. Auch weil Juventus Turin dadurch nicht immer bevorteilt wird (lacht). Nein, Spaß beiseite. Hier wird das alles sehr negativ gesehen.

Ist es also ein Mentalitätsproblem von uns Deutschen?

Rolfes Man könnte es ja auch so sehen: Die DFL versucht mit diesem Projekt Weltmarktführer zu werden. Das sollte man schon positiv hervorheben. Die große Problemstellung ist natürlich: Wann greift der Assistent ein? Da wollen wir vielleicht auch zu perfekt sein.

Ist das momentan eine Phase, aus der Firmen wie Ihre viel lernen können?

Rolfes Unsere Technologie hat natürlich den Vorteil, dass das Signal in unter einer Sekunde an den Schiedsrichter gesendet wird. Das bekommt keiner mit. Beim VAR wartet der Zuschauer. Wenn der Zuschauer aus seinem normalen Verhalten herausgerissen wird, muss man sehr sensibel sein, wie man ihm die neue Technologie schmackhaft macht. Diese Wartepause wird noch lange polarisieren.

Das muss der deutsche Zuschauer aber aushalten?

Rolfes Ja. Aber die Pause bis zur Entscheidung muss kürzer werden. Die Prozesse und die Technik müssen nach und nach optimiert werden.

Wird die Diskussion über den VAR abebben?

Rolfes Sie ebbt ja jetzt schon ein bisschen ab. Es ist doch keinem 15-Jährigen mehr zu vermitteln, dass eine Technik nicht gut sein soll. Es ist nicht das Problem, dass es zu viel Technik im Fußball gibt. Die Frage muss doch eher lauten: Wie nehmen wir die technikaffine Jugend mit? Die wachsende "esports"-Branche zeigt doch, wohin der Trend geht.

Wie war denn das Echo auf Ihr Engagement bei Goal Control?

Rolfes Einige Bekannte waren schon überrascht. Im Gegensatz zu meinem langfristigen Projekt in der Spielerberatung ist Goal Control natürlich greifbarer. Wir sind einer von zwei Anbietern auf der Welt. Das ist schon spannend.

Gibt es eine Kampfansage Richtung HawkEye?

Rolfes Mal schauen. Wir versuchen natürlich Weltmarktführer zu werden. Dazu brauchen wir immer die neueste und beste Technologie. Mit der RWTH Aachen haben wir im Ingenieur- und Informatikbereich einen guten Standort. Irgendwann werden dann ja auch die Rechte in der Bundesliga neu vergeben. Wann das sein wird, steht noch nicht fest. Natürlich wäre es schön, wenn wir dann den Zuschlag bekommen.

Was ist schnelllebiger: der Fußball oder die Technikbranche?

Rolfes Die Technikbranche. Es ist schon irre, wie kurzlebig manche Technologien sind.

Wie detailliert ist Ihr Technikverständnis?

Rolfes Ich bin kein Programmierer, aber ich interessiere mich sehr für technische Entwicklungen. Der Fußball ist in dieser Hinsicht noch sehr traditionell und kann von anderen Industriezweigen lernen.

Wie viel Technik verträgt die Trainingssteuerung?

Rolfes Generell sind die technischen Möglichkeiten grenzenlos. Es gibt selbstfahrende Autos, da sollte die Überwachung eines Trainingsplatzes ein Kinderspiel sein. Es wird spannend zu beobachten, wo genau Technik genutzt wird. Das weiß noch keiner so genau.

Gibt es die Gefahr, dass so genannte Soft Skills wie etwa Spielwitz bei zu vielen technischen Analysen auf der Strecke bleiben?

Rolfes Ja, deswegen muss Technologie smart sein — als ein unterstützendes Mittel, das sehr schnell die richtigen und wichtigen Daten liefert und gar nicht so viel Raum einnimmt. Das passiert momentan aber nicht. Die Soft Skills gehen unter, weil alle zeitlich sehr lange damit beschäftigt sind, irgendwelche Daten auszuwerten. Die Analytik unterdrückt das Gespür, die Intuition.

Wie sieht die Zukunftsvision in dieser Hinsicht aus?

Rolfes Die Technik wird die Daten schneller liefern und damit wird sich auch der Trainertypus verändern.. Ich hoffe, der Trainer der Zukunft hat dank Technik wieder mehr Zeit, um auf sein Gefühl zu hören. Die großen Spiele werden doch nicht nur entschieden, weil Räume richtig besetzt werden. Sie werden am Ende auch dadurch entschieden, dass einer auf den anderen losmarschiert und das Eins-gegen-eins-Duell gewinnt.

IOC, Russland, Fifa, DFB — das Bild des großen Sports hat durch Skandale gelitten. Wie kann der Sport das korrigieren?

Rolfes Der Sport muss sich nicht weiter kommerzialisieren, er muss sich weiter professionalisieren. Es wäre schön, wenn Menschen den Sport nicht nur konsumieren würden, sondern ihn wieder vermehrt selbst betreiben. Andere Sportarten haben da große Probleme. Der Fußball aber auch.

Stefan Klüttermann und Patrick Scherer führten das Gespräch.

(klü/erer)
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