Bayer Leverkusen Bayers Dilemma mit der eigenen Nische

Leverkusen · Dem Werksklub gelingt es nur selten, die eigene Zielsetzung, die Leistung der Mannschaft, die Erwartungshaltung des Umfeldes und die finanziellen Möglichkeiten zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen. Dieses Ungleichgewicht bietet ständige Angriffsflächen.

 Finanzielle Grenzen, zurückhaltende Zielsetzung, gestiegene Erwartungen und die Leistung der Mannschaft – diese vier Komponenten sind bei Bayer 04 fast nie deckungsgleich.

Finanzielle Grenzen, zurückhaltende Zielsetzung, gestiegene Erwartungen und die Leistung der Mannschaft – diese vier Komponenten sind bei Bayer 04 fast nie deckungsgleich.

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"Was ist Bayer 04?" Die Antwort auf diese vermeintlich simple Frage ist nicht so einfach. Weil es diese eine Antwort nicht gibt. Stattdessen existieren verschiedene Antwortmöglichkeiten, die je nach Saisonzeitpunkt zutreffen können und deren ständig wechselnde Abfolge es für Beteiligte wie Außenstehende schwierig macht, die vom Verein so wiederholt betonte "eigene Nische" mit verlässlichem Inhalt zu füllen. Es ist ein Dilemma. Eines, das in Leverkusen schon geraume Jahre vorherrscht. Die eigene Zielsetzung, die Leistung der Mannschaft, die Erwartungshaltung des Umfeldes und die finanziellen Möglichkeiten ergeben in der öffentlichen Darstellung nur ganz selten ein stimmiges Gesamtbild. Mindestens ein Punkt passt nie zu den anderen. Es ist dieses Ungleichgewicht, durch das Bayer 04 Kritikern ständige Angriffsflächen bietet und das die eigene Außendarstellung schwammig erscheinen lässt.

"Was ist Bayer 04? Ein finanzstraker Werksklub. Ja, klar. Aber ist Werksklub heute noch gleich Werksklub, wenn die Bayer AG der eigenen Fußball GmbH jährlich fixe 25 Millionen Euro zur Verfügung stellt und VW seinem VfL Wolfsburg für eine ähnliche Summe im Winter mal eben einen Kevin de Bruyne spendiert? Das in Fußball-Deutschland vor allem um die Jahrtausendwende eingebrannte Bild vom Bayer 04 mit dem potenten Werk im Rücken macht es dem Verein heute schwer, zurückhaltende Ziele zu formulieren und auf die finanziellen Spielräume anderer Spitzenteams hinzuweisen. Derartige Einwände von Leverkusener Verantwortlichen verhallen meist ungehört.

Dabei liegt Leverkusen vom Umsatz her deutlich hinter Klubs wie den Bayern, Dortmund, Schalke, und Hamburg, vom Gehaltsniveau her auch deutlich hinter Wolfsburg. Ein Sidney Sam soll ab Sommer in Gelsenkirchen bis zu 3,5 Millionen Euro im Jahr verdienen — ein Gehalt, das Bayer nicht mal ansatzweise bereit war zu zahlen. Allerdings muss an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass der Ballack-Deal 2010 nicht gerade dazu beitrug, in der Öffentlichkeit das Bild vom Werk, das am Ende eben doch beliebig die Schatulle öffnet, verblassen zu lassen. Aus diesem Dilemma heraus ergibt sich für manchen die Frage: Warum legt der Konzern nicht einfach dauerhaft Millionen drauf?

"Was ist Bayer 04?" Ein Champions-League-Kandidat? Ja, wenn es gut läuft. Ein Europa-League-Kandidat? Ja, vor der Saison immer, und wenn es zwischenzeitlich schlecht läuft, auch. Das Problem an der zweigleisigen Zielsetzung à la "Europa League ist das Mindestziel, Champions League ist das Wunschziel": Sie spiegelt zu einem beliebigen Zeitpunkt der Saison fast nie die momentane Erwartungshaltung des Umfeldes wider. Die konstant guten Spielzeiten seit 2009/2010 mit Platz vier, zwei, fünf und drei "torpedieren" jede zurückhaltende Erwartungshaltung. Und wenn dann nach einer famosen Hinrunde, einem "Fast-Freilos" für die Königsklasse, dieser Tage wieder mal das Minimalziel Europa League aus der Schublade geholt wird, statt die Mannschaft in die Pflicht zu nehmen, dann deuten das viele Anhänger und Beobachter eben wieder mal als Freifahrtschein für die Profis. Die Folge: Es sprießen bestens bekannte Vorwürfe von Phlegma und Komfortzone. Hinzu kommt: Europa League funktioniert in Leverkusen nicht: Das Stadion ist halbleer, die Reisen sind weit, die Verdienstmöglichkeiten sind gering und bedeuten ein Jahr lang vor allem einen Rückschritt gegenüber der in der Champions League spielenden Konkurrenz.

"Was ist Bayer 04?" Vielleicht muss die Antwort lauten: ein Werksklub, der aber von den finanziellen Möglichkeiten trotzdem nie unter die ersten vier kommen dürfte. Ein Verein, der dank guter Arbeit im Verein und weniger Ausrutschern als die Konkurrenz letztlich aber doch zu regelmäßig unter diesen Top-Vier rangiert, um die Plätze fünf und sechs dem Umfeld als erstrebenswertes Ziel schmackhaft machen zu können. Das ist ein Dilemma. Und dieses Dilemma ist wohl die Leverkusener Nische.

(RP)
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