Bayer Leverkusen Bernd Leno — Einer der Zweitbesten

Leverkusen · Vor dem Champions-League-Spiel bei Atletico Madrid spricht der Torhüter über den derzeitigen Lauf mit Leverkusen. Bayer will am Dienstagabend seinen 1:0-Vorsprung im Rückspiel in Madrid verteidigen und ins Viertelfinale einziehen. Helfen soll dabei Bernd Leno, der wettbewerbsübergreifend seit 480 Minuten kein Tor mehr kassiert hat.

Champions League – Noten Bayer 04 Leverkusen gegen Atlético Madrid
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Bayer - Atletico: Einzelkritik

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Ist Ihnen bewusst, dass Leverkusen seit 2002 wieder im Viertelfinale der Königsklasse steht, wenn Sie das Tor ein weiteres Mal sauber halten?

Leno Wir sind uns bewusst, dass wir nach dem 1:0-Hinspielerfolg eine Riesenchance aufs Weiterkommen haben. Wenn wir ein Tor auswärts schießen, braucht Madrid schon drei. Ich bin guter Dinge, dass wir einen guten Konter abschließen oder vielleicht ein Standardtor erzielen können. Scheiden wir aus, wäre das auf jeden Fall eine Enttäuschung.

Ist es eher realistisch, dass Sie kein Tor kassieren oder Bayer 04 eines schießt?

Leno Ich hoffe, beides tritt ein. Unsere gefährlichen Kanonen in der Offensive können jederzeit ein Tor erzielen. Auswärts in München haben wir gegen das vielleicht beste Team der Welt nur ein Gegentor kassiert. In der ersten Hälfte hat Bayern nur einmal auf unser Tor geschossen. Ich bin überzeugt, dass wir auch in Madrid bestehen können.

480 Minuten ohne Gegentor, Ihr Selbstbewusstsein muss vor dem Spiel in Madrid riesig sein.

Leno Das ist genauso so groß wie das der gesamten Mannschaft. Dass wir fünf Mal in Folge zu Null geblieben sind, daran haben wir alle unseren Anteil. Man muss dabei unsere Entwicklung sehen. Die Rückrunde hat nicht so wie erhofft für uns begonnen. Wir hatten unglückliche Spiele mit schlechten Ergebnissen. Inzwischen haben wir eine gute Balance im Spiel gefunden. Das ist nicht nur mein Verdienst.

Was meinen Sie damit?

Leno Obwohl unsere Leistung nicht immer top war, haben wir die Spiele zuletzt kontrolliert. Wichtig ist, aus einer kompakten Defensive heraus zu agieren. Diesbezüglich haben wir einen enormen Schritt nach vorne gemacht. Dabei muss es nicht immer Spektakel sein. Das zählt am Ende des Tages sowieso nicht. Da sind Punkte wichtig, und im aktuellen Fall, das Weiterkommen in der Champions League.

In der Hinrunde spielte Bayer 04 attraktiver, in der Rückserie effektiver. Ist das der Preis, wenn man Erfolg haben will in einer langen Saison?

Leno Es wirkt vielleicht so, als würden wir das Spektakel suchen, aber das wollen wir nicht. Ziel ist es, aus einer stabilen Defensive heraus zu spielen. In einer langen Saison ist die Defensive die Basis. Wenn man wenig Tore kassiert und vor allem zu Null spielt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, Erfolg zu haben. Zumal wir eine herausragende Offensive haben. Ob das Kießling, Son, Bellarabi oder Calhanoglu ist — jeder Einzelne hat die individuelle Qualität, zu jeder Zeit ein Tor zu erzielen.

Sie haben Ihr Team zuletzt stets beim Stande von 0:0 mit guten Paraden vor einem Rückstand bewahrt. Hat sich mal jemand bei Ihnen bedankt?

Leno (lacht) Nein, aber bedanken muss sich die Mannschaft auch nicht. Die Abwehrspieler vor mir kämpfen dafür, dass ich wenig zu tun habe. Wenn doch Bälle aufs Tor kommen, gehört es zu meinem Job, diese abzuwehren.

Ihre Fehler sind meist folgenschwer, das ist die Last eines Torhüters. Auch Sie sind in dieser Saison nicht frei davon. Sie wirken trotzdem nie nervös oder unsicher. Wie schaffen Sie das?

Leno Das hat, denke ich, mit dem Menschen Bernd Leno zu tun. Ich bin auch im Alltag überhaupt kein hektischer Typ. Das überträgt sich auf mein Spiel. Ich breche nicht gleich in Panik aus. Unsere Leistung gegen Wolfsburg zum Beispiel war wirklich katastrophal. Man hatte den Eindruck, dass wir Karneval feiern waren. Da hat die Mannschaft gemerkt: So kann es nicht gehen. Wir haben die Partie analysiert und die Kurve bekommen. Das ging mir und meinen Leistungen auch so.

Heißt, ein guter Torhüter zweifelt nicht an sich?

Leno Wenn ich Fehler mache, betreibe ich keinen Aktionismus und versuche, krampfhaft etwas zu ändern. Ich glaube, es zeichnet mich aus, dass ich nicht zu viel nachdenke. Dann kam das Atletico-Spiel und die fünf Spiele ohne Gegentor. Das war gut.

Wie bereiten Sie sich auf Spiele vor, nutzen Sie einen Mentaltrainer?

Leno Einen Mentaltrainer oder ähnliches habe ich nicht, und will ich auch nicht. Da kommt man zu viel ins Grübeln, und das will ich nicht. Ich glaube an mich und meine Fähigkeiten. Das musste ich früh lernen und hat sich entwickelt. Ich wurde schon mit 17 Jahren in der 3. Liga einfach ins Tor gestellt und habe versucht, trotz meines jungen Alters, mein Spiel zu machen. Es hilft, die eigene Leistung regelmäßig zu analysieren und davon zu lernen.

Wie reflektieren Sie Ihre Leistung?

Leno Mein größter Kritiker ist mein Vater. Aber natürlich analysiere ich meine Spiele per Video mit unserem Torwarttrainer David Thiel. Ich will noch mehr herauskitzeln. Mittlerweile ist die Torhüterposition zu einer der wichtigsten Positionen geworden. Der Keeper spielt mehr mit denn je. Manuel Neuer hat es bei der WM vorgemacht. Wie er im Algerien-Spiel rauslief, hat mich beeindruckt. Das birgt ein Risiko, aber es ist nicht mehr so, dass ein Torhüter nur auf der Linie klebt und auf den Ball wartet. Man muss die Chance zerstören, bevor sie entsteht.

Was meinen Sie damit?

Leno Wir spielen in Leverkusen sehr offensiv, stehen sehr hoch, heißt für mich, dass ich vorausschauender und aktiver am Spiel teilnehmen muss. Diesbezüglich habe ich mich enorm verbessert, aber es gibt noch Luft nach oben. Von Neuer kann man sich einiges abschauen.

Hat es Sie geärgert, dass er nicht Welttorhüter wurde?

Leno Wir haben diese Wahl mit der deutschen Brille gesehen. Wie will man einen Torhüter mit Spielern wie Messi und Ronaldo vergleichen, die permanent Tore schießen? Ich hätte es ihm gegönnt, habe aber nicht geglaubt, dass er es schafft.

Ihr letzter Kontakt zu Bundestorwart-Trainer Andreas Köpke war im Oktober. Was sagte er Ihnen mit Blick auf die Nationalmannschaft?

Leno Dass ich auf einem guten Weg bin. Dass meine Spielweise der Philosophie im DFB entspricht.

Aber es gab noch keine Einladung zum Länderspiel?

Leno Bis jetzt nicht.

Sie müssten doch Neujahrsgrüße erhalten haben. Sie sind seit Wochen in bestechender Form. Macht es traurig, nicht beachtet zu werden?

Leno Neujahrsgrüße gab es keine, und dieses Jahr hat sich auch noch niemand bei mir gemeldet. Ich brauche dieses ständige Telefonieren auch nicht. Geschweige denn, dass ich ständig auf mein Handy schaue, ob der Bundestrainer anruft. Für mich ist es wichtig, im Verein Leistung zu bringen. Mehr kann ich nicht beeinflussen. Wenn ich gut genug halte, bin ich schon irgendwann im A-Nationalteam dabei.

Auf welcher Stufe sehen Sie sich in Konkurrenz zu Roman Weidenfeller, Ron-Robert Zieler oder Marc-André ter Stegen?

Leno Hinter Manuel Neuer sehe ich mich nicht schlechter als die anderen. Auf der Torhüterposition war es schon immer ein enger Kampf.

Sie werden in loser Regelmäßigkeit mit einem Wechsel in die Premier League in Verbindung gebracht.

Leno Das ist eine interessante Liga. Ich habe aber bis 2018 einen Vertrag in Leverkusen und bin erst 23 Jahre alt. Klar weiß ich nicht, was mit 28 ist. Wie schnell Dinge gehen können, habe ich schon erlebt. Ich war in Stuttgart nur die Nummer drei. Irgendwann kam der Anruf und binnen drei Tagen stand ich in der Startelf von Bayer 04. Einen Monat später spielte ich zum ersten Mal Champions League. Im Moment ist ein Wechsel aber kein Thema.

STEFANIE SANDMEIER UND PATRICK SCHERER FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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