Bayer Leverkusen Rotthaus: "Bayer 04 muss noch internationaler werden"

Leverkusen · Leverkusens Direktor Marketing & Kommunikation Jochen A. Rotthaus spricht über die Notwenigkeit von Auslandsreisen, neue Asien-Pläne und Bayers Social-Media-Strategie.

 Bayer Leverkusens Direktor Marketing & Kommunikation: Jochen A. Rotthaus.

Bayer Leverkusens Direktor Marketing & Kommunikation: Jochen A. Rotthaus.

Foto: Hans Jürgen Bauer

Herr Rotthaus, haben Sie sich schon Ihr neues Trikot für die kommende Saison gesichert?

Jochen A. Rotthaus (lacht) Davon können Sie ausgehen.

Freuen Sie sich auf den Verkaufsstart am Montag? Nach dem Wechsel des Ausrüsters war der Aufschrei der Fans zwischenzeitlich groß.

Rotthaus Ich finde es verständlich, dass es Menschen gibt, die das Ende der fast 40-jährigen Partnerschaft mit Adidas bedauern. Wir im Marketing leben von Kommunikation, wenn es diesen Austausch nicht gäbe, wäre etwas nicht richtig. Die Leute, die kritisch waren, haben inzwischen aber gemerkt, dass sie von Jako ein tolles neues Produkt bekommen. Die Reaktionen sind beinahe durchweg positiv. Den Fans gefällt das Design, und sie werden sehen, dass auch die Qualität stimmt.

Daneben galt es, einen neuen Trikotsponsor zu finden. Auch kein einfaches Thema, wie sich zeigte. Manchem Außenstehenden dauerte die Findungsphase etwas zu lange. Ein Vorwurf: Bayer 04 sei zu unattraktiv.

Rotthaus Ich verstehe jeden Fan, dem die Dinge nicht schnell genug gehen. Fußball ist fast ausschließlich emotional. Jeder hat eine Meinung - sei es zur Taktik, Aufstellung oder eben der Gestaltung des Trikots. Wir haben viele Wochen vor dem Saisonstart mit Barmenia einen attraktiven Partner, noch dazu ein deutsches Unternehmen aus dem regionalen Umfeld präsentiert, das mit seinem Wertekanon mit dem von Bayer 04 übereinstimmt. Zusammen mit unserem neuen Ausrüster haben wir - so viel kann ich sagen - zwei inhaltlich und wirtschaftlich hervorragende Deals abgeschlossen.

Der Fußball gilt im deutschen Sport noch als die "heilige Kuh".

Rotthaus Im harten Alltag ist es aber nicht so, dass ein Champions-League-Teilnehmer wie Bayer Leverkusen nur mit dem Finger zu schnipsen braucht und es Hauptsponsoren regnet. Das gilt für keinen Verein. Sponsoring, also die Vermarktung unserer Werberechte, ist seit Jahren spürbar schwieriger geworden. Der lokale Markt ist mehr oder weniger abgegrast. Der Kuchen wird internationaler - das hat die Liga erkannt und ist deshalb bestrebt, ihre Internationalisierungsstrategie voranzutreiben, um neue Märkte zu erschließen.

Bayer 04 ist auf den Zug aufgesprungen, war zuletzt zwei Mal im Winter in Orlando. Vor allem Chicharito hat mit seiner Bekanntheit die Menschen mit südamerikanischen Wurzeln dort begeistert. Was hat das dem Verein gebracht?

Rotthaus Wir können auf das, was in den vergangenen Monaten passiert ist, zufrieden zurückschauen. Wenn wir physisch in Länder wie die USA reisen, dann ist es wichtig, die Menschen vor Ort zu erreichen und vor allem für Nachhaltigkeit zu sorgen. Das ist uns, wie ich finde, gut gelungen. Wir haben viel getrommelt - vor allem über die sozialen Medien. Die Resonanz zeigt, dass wir die Leute da ansprechen, wo sie angesprochen werden wollen.

Können Sie das ausführen?

Rotthaus Wir haben uns im Bereich der digitalen Kommunikation neu strukturiert und große Anstrengungen unternommen. Unsere digitale Reichweite haben wir dadurch enorm steigern können. Allein von Januar bis Mai verzeichnen wir eine Steigerungsrate auf Facebook von 126 Prozent. Über Facebook, Twitter und Instagram folgen uns rund 2,8 Millionen Menschen. Vor einem Jahr lagen wir im Bereich Social Media noch im unteren Mittelfeld der Liga. Inzwischen liegen wir in der Spitzengruppe.

Heißt, die Vereine messen sich nicht mehr nur am Tabellenstand, sondern auch über Follower?

Rotthaus Das Kräftemessen findet sicher nicht mehr nur auf dem Platz statt. Es ist eine neue Disziplin entstanden, dass Klubs ihre Follower-, Likes- und Fanzahlen vergleichen. Entscheidender Faktor ist dabei das ,Engagement' - also die Frage, wie intensiv die Fans mit den Social Media Inhalten von Bayer 04 interagieren, wie viel Leben in unseren Plattformen steckt. In diesem Ranking liegen wir in der Bundesliga auf Platz vier hinter Bayern München, Borussia Dortmund und Schalke 04, sogar mit Sichtweite auf Platz drei. Ich sehe uns da als eine der digitalen Lokomotiven der Bundesliga. Aktuell sind wir sogar der erfolgreichste "Snapchater".

"Clicks" bringen aber noch kein Geld.

Rotthaus Digitale Reichweite ist sicher eine schwer zu greifende Währung. Über die digitalen Kanäle gelingt es uns, unschlagbar schnell und grenzenlos mit Menschen in Kontakt zu treten, noch dazu auf innovative und kreative Weise. Das nutzen wir aus. Wir brauchen keinen Brief mehr zu verschicken, wir drücken auf einen Knopf und erreichen die Menschen sofort in vielen Sprachen mit hochwertigem Inhalt. Wir senden digital Botschaften über Bayer 04. Das ist zu unserer Stärke geworden.

Bayer 04 hat unter anderem einen eigenen amerikanischen und mexikanischen Twitterkanal. Wie ist die Resonanz?

Rotthaus Wir arbeiten mit Agenturen vor Ort zusammen, die uns helfen, das anzubieten, was die Menschen interessiert. Wir passen Bildbotschaften an die Mentalität und die Gepflogenheiten der Leute an. Unser Maskottchen Brian the Lion war beispielsweise bei der Copa America unterwegs. Die Leute fanden das witzig, haben Fotos geliked und wurden auf diesem Weg auf den Verein aufmerksam. Letztlich geht es darum, Fans mit exklusiven Inhalten emotional zu erreichen und möglichst langfristig an Bayer 04 zu binden. Das Schöne dabei ist: Man bekommt sofort eine Rückmeldung. Für das Foto unserer Spieler als Star-Wars-Figuren wurden beispielsweise 1,2 Millionen Zugriffe registriert. Das ist eine beeindruckende Zahl.

Wann glauben Sie, kann Bayer 04 im Ausland monetär davon profitieren?

Rotthaus Man darf nicht so naiv sein zu denken, dass es reicht, zweimal nach Amerika zu reisen, um ein halbes Jahr später 50.000 Trikots mehr zu verkaufen - oder dass es auf einmal Geld vom Himmel regnet. Das war bei keinem Klub der Welt so. Man braucht einen langen Atem und muss die Ärmel hochkrempeln, das haben Engländer schon vor 15 Jahren gemacht. Heute ernten sie die Früchte. Selbst bei den Bayern sieht man jetzt mit zeitlicher Verzögerung, dass die ersten Erlöse kommen, aber auch Bayern hat viel dafür getan. Und die besitzen eine ganz andere Markenstärke.

Bayern München eröffnet in China und den in den USA Büros. Ist das auch denkbar für Bayer 04?

Rotthaus Streng genommen haben wir über unsere Konzernmutter schon jetzt weltweit Büros und mit ihr im Rücken die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Internationalisierung von Bayer 04. Für uns ist es elementar wichtig, dass wir aufgrund der hohen Bekanntheit des Mutterkonzerns und der Dachmarke in Asien und den USA die Synergieeffekte nutzen können. Es ist gut, dass Bayern wie so oft als Lokomotive vorangeht, die Erfahrungen zeigen aber auch, dass es nicht von heute auf morgen geht. Im digitalen Bereich arbeiten wir mit der gleichen Agentur zusammen. Die hat mit den Bayern jahrelang das China-Geschäft vorbereitet. Wir werden uns das anschauen und prüfen, was Sinn macht. Wir sind im Prozess, über Asien nachzudenken, aber wir machen das besonnen, gemeinsam, Schritt für Schritt.

Heißt, Asien ist trotz des Ausstiegs von LG weiter Thema?

Rotthaus Asien ist neben den USA mit Südamerika einer der beiden großen Wachstumsmärkte für uns. In China ist die Bayer AG sehr bekannt, unsere Bekanntheitswerte als Verein sind dort schon jetzt auf einem sehr vielversprechenden Niveau. Unsere Reise nach Südkorea damals war ein großer Erfolg, insofern ist es durchaus denkbar, dass wir in naher Zukunft wieder eine Reise nach Asien machen werden.

Bayer 04 bezieht in diesem Sommer wieder sein Trainingslager in Zell am See. Mainz 05 reist zum Colorado-Cup. Ist eine solche Reise künftig auch für den Sommer angedacht?

Rotthaus Das muss in den sportlichen Plan passen. Wenn wir mit einer solchen Reise auch in finanzieller Hinsicht etwas für die Marke und Reichweite sowie die Fanbasis tun können, werden wir das gut überlegen und sicher auch tun. Darüber diskutieren wir zusammen mit Michael Schade, Rudi Völler, Roger Schmidt und Jonas Boldt sehr offen.

Kann man sich als Bundesligist überhaupt gegen solche Reisen verwehren?

Rotthaus Ich kann nicht für andere Vereine sprechen. Man muss solche Reisen abwägen, das tun wir auch. Bayer 04 ist ein Wirtschaftsunternehmen. An der Digitalisierung und Markenpflege führt kein Weg vorbei. Dieses Bewusstsein ist bei allen vorhanden. Kerngeschäft ist der Fußball, dem müssen wir alles andere unterordnen. Dennoch brauchen wir beim Thema Marke und Reichweite Steigerungen, sonst herrscht ein Missverhältnis. Wenn jede Seite gut argumentiert, wird eine gemeinsame Überzeugung daraus, und am Ende ziehen alle an einem Strang.

Der Fußball-Romantiker muss sich umstellen.

Rotthaus Man muss der globalen Welt Rechnung tragen. Das ist aber auch das Spannende - und ist letztlich nichts anderes als bei Transfers. Wenn ich die Reiseroute von Jonas Boldt sehe, wie er mit einer großen Findungsstärke und Akribie Spieler weltweit entdeckt, sieht man doch, dass man dafür weite Wege in Kauf nehmen muss. Dann kommen aber Typen wie Charles Aránguiz und Chicharito dabei heraus, die dann in Leverkusen spielen. Wir müssen über die Grenzen kommunizieren und internationaler werden. Unsere Mannschaft ist es längst.

Wenn Chicharito bleibt, ist das die halbe Miete für die nächste Orlando-Reise.

Rotthaus Er ist sportlich und aus Marketingsicht mit seiner Strahlkraft und Bekanntheit sicher ein Glücksfall. Er war eine Art Türöffner, aber beim Gang in die USA wurde uns trotzdem nichts geschenkt. Die Reichweiten, die erhöhte, internationale Aufmerksamkeit haben wir uns auch über ein klar strukturiertes, kluges und kreatives Vorgehen erarbeitet. Das muss sich in den nächsten Jahren verfestigen, damit Bayer 04 attraktiver wird für internationale Partner, damit wir mehr Trikots verkaufen und noch mehr Menschen in unserer Community aufnehmen und sie zu Fans machen können. Zu Chicharito speziell: Es gelingt uns immer mehr, uns unabhängig von ihm zu machen. Wir wollen in der Lage sein, die Menschen bei uns zu halten, auch wenn er irgendwann nicht mehr bei uns spielt. Es werden dann sicher nicht alle bei uns bleiben - aber die, die bleiben, tun es, weil sie uns als Verein schätzen gelernt haben und gut finden, was wir tun.

Ihrer Meinung nach ist die Nachhaltigkeit also gelungen?

Rotthaus Ich bin überzeugt, dass wir wieder etwas draufsetzen können, wenn wir am 4. Januar nach Orlando zurückkommen. Es wissen inzwischen viel mehr Menschen, dass es uns gibt. Und genauso, wie die Mannschaft an ihrer Fitness für die Rückrunde arbeiten wird, werden wir drumherum zehn Tage daran arbeiten, dass weitere Bayer 04-Sympathisanten dazukommen.

Sehen Sie Steigerungsmöglichkeiten?

Rotthaus Auf jeden Fall. Bayern und Dortmund haben erste größere internationale Partner. Wir sind noch nicht im sechsten Gang, vielleicht im zweiten oder dritten, aber wir werden weiter hochschalten.

Beschäftigt Bayer 04 sich mit eGaming und denken Sie darüber nach, junge Gamer zu sponsern?

Rotthaus Die digitale Transformation stellt viele Unternehmen weltweit vor große Herausforderungen. Wir als Bayer 04 haben uns auf die Fahne geschrieben, offen zu sein für die Chancen, die sich daraus ergeben. Das ist uns bislang gut gelungen. Das Thema E-Sport und seine Entwicklung beobachten wir selbstverständlich genau, aber auch mit kritischer Distanz. Wir wollen erst ein Gefühl dafür haben, ob und inwieweit es Sinn macht, auch auf diesen Zug aufzuspringen.

(RP)
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