Bayer Leverkusen Völler: "Mitleid mit Dortmund wäre heuchlerisch"

Leverkusen · Rudi Völler, der Sportdirektor von Bayer 04 Leverkusen, spricht mit unserer Redaktion über die Lage in der Liga, die angestrebte Vertragsverlängerung mit Karim Bellarabi und seine Diät-Pläne.

 Gesprächsrunde in Düsseldorf kurz vor dem Weihnachtsfest: Bayer-04-Sportdirektor Rudi Völler (li.) mit den RP-Redakteuren Stefanie Sandmeier und Patrick Scherer.

Gesprächsrunde in Düsseldorf kurz vor dem Weihnachtsfest: Bayer-04-Sportdirektor Rudi Völler (li.) mit den RP-Redakteuren Stefanie Sandmeier und Patrick Scherer.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Herr Völler, haben Sie ein bisschen Angst vor den Weihnachtstagen?

Rudi Völler Weil die Hosen dann nicht mehr zugehen oder warum?

Ja, es war zu lesen, dass Sie planen, fünf Kilo abzunehmen...

Völler (lacht) So streng bin ich mit mir dann doch nicht, dass ich mit dem Abspecken um die Weihnachtszeit beginne. Aber ich habe schon den persönlichen Ehrgeiz, dass ich alle Hosen zubekomme und auch die enger geschnittenen Hemden tragen kann. Man sieht es mir nicht an, aber ein paar Kilo müssen schon runter.

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Das ist also der persönliche Vorsatz für 2015. Wie sieht es im Beruf aus?

Völler Alle Saisonziele sind noch zu erreichen. Aber wir reden auch nichts schön. Über die nackten Zahlen gibt es nichts zu diskutieren. Dass wir in der Liga der Dritte mit der geringsten Punktzahl seit vielen Jahren sind, ist halt so. In der Champions League kommen wir kontinuierlich ins Achtelfinale. Das ist keine Selbstverständlichkeit, das ist ein großer Erfolg. Klar: Mit dem kleinen Wermutstropfen, dass wir nicht Gruppenerster geworden sind.

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Foto: Screenshot Youtube

Wie bewerten Sie die erste Hinrunde mit Roger Schmidt als Bayer-04-Coach?

Völler Zum Großteil haben die Leistungen gestimmt. Wir waren eigentlich immer die Mannschaft, die mehr Torchancen hatte. Und das ist ja meist ein gutes Zeichen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass du dann auch als Sieger vom Platz gehst. Wir hatten da aber viele Unentschieden dabei, bei denen wir den Sieg leichtfertig hergeschenkt haben. Das sind die vier bis sechs Punkte, die fehlen. In der Vorrunde der vergangenen Saison haben wir sensationell viele Punkte geholt. Da waren aber auch viele Spiele dabei, bei denen wir unwahrscheinlich effektiv waren und Bernd Leno der beste Spieler auf dem Platz war. Das ist grundsätzlich kein gutes Zeichen. Effektivität gilt ja im Sport als positives Wort. Das sehe ich anders. Im Grunde heißt es: Es war nicht doll, aber man hat aus zwei Chancen zwei Tore gemacht.

Verstehen Sie da Ihren Trainer, der oft persönlich beleidigt wirkt, wenn eine gegnerische Mannschaft nur Fußball verhindert?

Völler Ich weiß ja, wie er es meint. Er meint es ja gar nicht so böse. Es ist eben sein Credo, so spielen zu wollen. Da ist es ihm egal, ob er Münster, Paderborn, Salzburg oder eben Leverkusen trainiert. Eines ist klar: Er bleibt seinem System und seiner Denkweise treu. Das wollte er auch nach dem Köln-Spiel so ausdrücken. Und dieser Fußball macht ja unseren Leuten Spaß. Wir hatten viele Spiele, bei denen einem das Herz aufgeht. Hin und wieder hat das Ergebnis nicht gestimmt. Da lasse ich mich jetzt auch nicht von dem dritten Platz beeindrucken. Ich bin aber viel optimistischer als in den vergangenen Jahren. 2013 sind wir mit zwei Niederlagen in die Weihnachtspause gegangen, ich hatte schon ein bisschen Bauchschmerzen und mir gedacht, dass die Rückrunde kompliziert wird.

Jetzt ist es anders?

Völler Definitiv. Man kann einige Dinge kritisch sehen. Da hieß es immer, das System wäre vogelwild, da rennen alle nach vorne, hinten fallen die Tore. Aber jetzt stehen wir viel besser, kassieren kaum noch Tore aus dem Spiel heraus. Selbst die Bayern haben gegen uns einen Eckball gebraucht.

Durch die ersten erfolgreichen Spiele und den super Start ist ein Hype um Schmidt und sein System entstanden. War der vielleicht zu heftig?

Völler Dafür bin ich viel zu lange im Geschäft dabei. Da kam vieles zusammen: neuer Trainer, neues Konzept, nach neun Sekunden ein Tor in Dortmund, gegen Kopenhagen auch kurz nach Anpfiff. Dass das alles dann hochgejubelt wird, gehört dazu. Ich gehe damit sehr unaufgeregt um, weil ich weiß, dass auch andere Zeiten kommen können. Aber die Art und Weise, wie Roger Schmidt spielen lässt und wie er mit den Spielern umgeht, begeistert uns alle.

Die Spieler haben uns bestätigt, dass das neue Pressing-System durchaus kraftraubend ist. Sind für das Erreichen der Ziele Zugänge im Winter nötig oder ist der Kader breit genug aufgestellt?

Völler Nein, der ist breit genug. Wir sind ein Verein, der nicht wie Bayern München seinen Kader einfach mal so von 22 auf 26 Spieler ausbauen könnte, egal, was es kostet. So geht es bei uns nicht. Wenn wir Spieler holen, müssen wir auch jemanden verkaufen. Wir haben für den Sommer auch Spieler auf dem Zettel, die wir haben wollen, aber dann müssen wir einen anderen abgeben. Da geht es nicht nur um Ablösesummen, sondern auch um Gehaltsetats. Das muss stimmig sein. Da muss man rechnen. Es hängt natürlich auch davon ab, ob wir wieder in die Champions League kommen. Auch wenn es am Ende der Hinrunde etwas dünn war, haben wir genug gute Spieler. Das lag ja nicht zuletzt auch an den verletzten Spielern, die aber im Januar wieder zurückkehren: Stefan Reinartz, Giulio Donati oder Kyriakos Papadopoulos.

Aber mit zwei, drei Verletzten muss man immer rechnen...

Völler Ja, die Anzahl der Verletzten war auch nicht schlimm. Aber das Problem ist, dass sich bei uns die Verletzungen auf eine oder zwei Positionen konzentriert haben. Wenn sich das verteilen würde auf verschiedene Mannschaftsteile, ist das immer aufzufangen. Wenn man aber unseren Kader anschaut, wenn alle fit sind, sind wir in der Breite besser aufgestellt als in den vergangenen Jahren.

Wenn sich aber auf den defensiven Außenbahnen eine Möglichkeit im Winter ergibt, jemanden zu holen, wäre das eine Option?

Völler Es wird oft gesagt: Rechter Verteidiger, linker Verteidiger - da braucht ihr noch einen. Aber: Wendell hat ja extrem viel Luft nach oben. Der hat großes Potenzial. Was der mit dem Bällchen macht, erinnert mich immer ein bisschen an Zé Roberto. Tin Jedvaj war gegen Frankfurt nicht so gut drauf, wird aber noch richtig gute Spiele für uns machen. Giulio Donati kommt zurück. Sebastian Boenisch hat Erfahrung. Wir können in diesem Bereich rotieren.

Und das reicht auf dem Niveau?

Völler Wir sind unter den letzten 16 Teams in der Champions League.

Wie sieht die Prognose in der Liga aus?

Völler Wolfsburg als Zweiter hinter Bayern ist der erwartet schwere Konkurrent, aber die sind noch nicht weg. Bei uns ist noch Luft nach oben. Wir müssen aber auch nach hinten gucken. Es sind nur zwei Punkte bis Platz sieben. Das sehe ich schon realistisch.

Levin Öztunali wird nach Bremen verliehen, soll somit also der nächste Christoph Kramer werden?

Völler Wir haben mit Levin, seinem Vater und dem Berater besprochen, was für die persönliche Entwicklung Sinn macht. Mit reinem Training wird man nicht besser. Chris Kramer ist das gelebte Beispiel unseres Konzepts. Es gibt Spieler, die wir ausleihen und die nicht wieder kommen, aber wir wollen auf wichtigen Spielern die Hand drauf haben.

Gibt es da noch weitere Spieler, Robbie Kruse etwa, die abgegeben werden könnten?

Völler Nein. Im Grunde war Levin der Einzige in dem großen Kader, bei dem wir gesagt haben: Den leihen wir jetzt aus, aber holen dafür keinen dazu.

Das Thema Kramer haben Sie mit der Vertragsverlängerung bis 2019 endgültig beendet. Ein schönes Weihnachtsgeschenk?

Völler Ja. Die Aussagen von Christoph waren in den letzten Wochen sicherlich ein bisschen wild. Aber wir haben es ja immer gesagt, dass er zurückkommen wird.

Bei Karim Bellarabi streben Sie ebenfalls eine Verlängerung des bis 2017 laufenden Vertrages zu leistungsgerechteren Konditionen an. Liegt der auch schon unterm Weihnachtsbaum?

Völler Da stehen Gespräche im Januar an. Einen Zeitrahmen gibt es nicht. Wir brauchen bei Karim keinen Druck aufbauen. Er hat sich bessere Konditionen verdient.

Ist Bellarabi für Sie der Spieler der Hinrunde?

Völler Ja, doch - zumindest der ersten Hälfte der Hinrunde. Am Ende hat man gemerkt, dass ihm die Weihnachtspause gut tut. Dass er zum Nationalspieler wurde, damit hätte wirklich keiner gerechnet. Es ist sensationell gelaufen. Wer bei uns ein bisschen zu kurz kommt, ist für mich Emir Spahic - auch im Verbund mit Ömer Toprak. Emir hat durch die Vertragsverlängerung noch mal einen Schub bekommen. Bei ihm kann man sich unheimlich gut geschicktes Zweikampfverhalten abschauen.

Simon Rolfes beendet etwas überraschend seine Karriere zum Saisonende. Ein Führungsspieler auf und neben dem Platz geht. Wer kann die Rolle ausfüllen?

Völler Lars Bender ist sein Vertreter als Kapitän und macht das hervorragend, geht immer vorne weg und ist dann auch noch ein Jahr älter. Und dann kommt Kramer. Kramer und Bender in der Zentrale - ich kann mir Schlimmeres vorstellen. Dann haben wir Calhanoglu, Castro, Son und auch Julian Brandt. Es gibt viele Vereine, die Julian ausleihen wollten. Aber den geben wir natürlich nicht her.

Dortmund hat bestimmt auch wegen Brandt angefragt, oder?

Völler Jeder weiß, dass wir ihn sowieso nicht hergeben. Aber Dortmund hat jetzt aus seiner sportlichen Notsituation heraus Kevin Kampl verpflichtet über eine Ausstiegsklausel von 12 Millionen Euro. Was völlig in Ordnung ist. Auch wir waren an Kevin interessiert - aber erst im Sommer, da wäre er erheblich günstiger gewesen. Zusammen mit dem Gehalt war dieser Transfer für uns im Winter nicht machbar.

Haben Sie Mitleid mit Dortmund oder sind Sie froh um einen Konkurrenten weniger?

Völler Mitleid wäre heuchlerisch. Ich bin überrascht. Ich bin froh, nicht, dass sie so weit hinten stehen, sondern vielmehr, dass wir so weit vor ihnen stehen. Wir wollten vor der Saison den Abstand auf Dortmund verkürzen, das ist natürlich gelungen. Aber Dortmund ist ja, und das ist ja das Unfassbare, gefühlt immer noch die zweitbeste Mannschaft in Deutschland.

Ist es nicht frustrierend, dass man den Abstand auf Bayern München nicht mehr verkürzen kann?

Völler Der wirtschaftliche Unterschied war schon immer so, dass Bayern immer etwas besser dastand. Aber früher waren das vielleicht 20 oder 30 Prozent mehr Personalkosten. Das ist eine Spanne, die der eine oder andere Verein durch pfiffiges Scouting, einen bestimmten Trainer oder gezielte Spielerverpflichtungen ein bisschen schließen konnte. Das haben viele geschafft. Nun ist es anders. Bayern hat sein Geld immer noch nicht gestohlen, es durch tolle Vereinsführung verdient. Mittlerweile ist der wirtschaftliche Unterschied aber so, dass sie mehr als das Doppelte für Personal ausgeben, als das, was wir bezahlen. Die Lücke kann man nicht mehr schließen.

Kann man die Schale also mindestens bis 2017 schon gravieren?

Völler Das weiß ich nicht. Es gibt Schöneres, als dass der Erste so durchmarschiert. Aber man hat trotzdem nicht das Gefühl, dass es langweilig wird. Es ist so spannend zwischen Platz zwei und 17. Die Hälfte der Bundesliga kann noch absteigen. Der Kampf um die Plätze für Europa League und Champions League ist irre eng. Klar, die Meisterschale ist das Wichtigste. Aber: Auch wenn es keinen Pokal oder eine Urkunde gibt, die Champions League zu erreichen, ist mittlerweile auch ein kleiner Titel.

Sie hatten zuletzt wieder einen Disput mit Sky-Experte Markus Merk. Wird Ihnen von Fußballkennern teilweise zu viel Hetze betrieben?

Völler Im Grunde hängt das mit der Medienberichterstattung zusammen. Es gibt jetzt zum Beispiel einen 24-Stunden-Sender, der alles sendet. Aber das ist gut für das Produkt Fußball. Und wenn da mal ein bisschen Feuer drin ist wie bei mir und Markus Merk, sehe ich das nicht als dramatisch an. Wenn mir was nicht gefällt, sage ich das auch.

Gab es früher nicht sogar noch mehr Spektakel?

Völler Das kann man nicht vergleichen. Das war eine andere Generation. Da waren Aussagen von Spielern und Trainern dabei, die könnte man heute nicht mehr raushauen. Man kann ein bisschen gegensteuern und eine andere Meinung haben. Aber es ist alles gläsern geworden. Es muss schon Substanz haben, sonst wird man unglaubwürdig.

Wären Sie gerne noch Spieler heute?

Völler Ich habe zu Simon Rolfes gesagt: ,Bist du dir sicher, dass du aufhören willst?' Bei allen Plänen, die man hat, es gibt nichts Schöneres. Ich will die Zeit aber nicht zurückdrehen.

Entsenden Sie eigentlich gerne Spieler zu den Nationalmannschaften?

Völler Für die Spieler ist das natürlich toll. Als Vereinsverantwortlicher sieht man das bei dem engen Terminplan manchmal mit gemischten Gefühlen.

Wie sieht es im Fall Ömer Toprak und Hakan Calhanoglu aus, die derzeit wegen der schier unglaublichen Auseinandersetzung mit Gökhan Töre nicht für die türkische Elf berufen werden?

Völler Ich habe mal mit dem türkischen Trainer [Fatih Terim; Anm. d. Red.] vor längerer Zeit ein gutes Telefongespräch geführt, um zu vermitteln. Leider gab es danach keinen Kontakt mehr. Ich kenne auch Gökhan Töre, der ja bei uns im Verein war, und bin da weniger als Vereinsvertreter, sondern mehr als Schlichter unterwegs. Ich versuche zu helfen, dass es für alle Beteiligten vernünftig weitergeht.

Zum Schluss eine Prognose: Wie wird die deutsche Nationalmannschaft die Mini-Krise in der Qualifikation für die Europameisterschaft im Jahr 2015 meistern?

Völler Entspannt! Klar, dass die Qualifikation so holprig gelaufen ist, damit musste man vorher nicht unbedingt rechnen. Aber durch die Qualität im Kader und die Konstellation der vielen EM-Teilnehmer gibt es da kein Risiko. Wir werden uns als Gruppenerster qualifizieren und 2016 eine gute Europameisterschaft spielen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN PATRICK SCHERER UND STEFANIE SANDMEIER.

(RP)
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