Carlo Ancelotti in der Kritik Plan B? Den Bayern fehlt Plan A

Düsseldorf · Der FC Bayern München hechelt seinen eigenen Ansprüchen hinterher. Ergebnistechnisch, vor allem aber spielerisch. Der Klub hat unter Carlo Ancelotti seine Identität verloren, seit Jahren ist erstmals keine Handschrift erkennbar. Um seinen Job muss der Trainer dennoch nicht bangen.

 Carlo Ancelotti ist ratlos.

Carlo Ancelotti ist ratlos.

Foto: afp, PST

Nach über einem Jahr gemeinsamer Arbeit muss man festhalten: Es läuft nicht rund zwischen dem FC Bayern und seinem leitenden Angestellten Carlo Ancelotti. Und eigentlich lief es nie rund. In der ersten Saison konnte der Italiener zwar von der Schwäche der Konkurrenz und einigen glücklichen Ergebnissen profitieren und die Meisterschaft ungefährdet einfahren, doch was das Spielerische und Taktische bei den Bayern angeht, ist es schon mindestens bemerkenswert, mit welchem Tempo Ancelotti aus einem der stärksten Teams Europas eine nur selten in der Bundesliga überzeugende Mannschaft geformt hat.

Taktik nicht erkennbar

Bemängelten Experten unter Ancelottis Vorgänger Pep Guardiola leidenschaftlich einen fehlenden Plan B, lässt sich nach rund 14 Monaten Amtszeit des Italieners an der Säbener Straße feststellen, dass der Rekordmeister nicht einmal mehr über einen funktionierenden Plan A verfügt. Bei den Bayern scheint derzeit alles auf die größere individuelle Klasse des Personals auf dem Rasen ausgelegt zu sein. Taktisch ist die größte Überraschung, dass es eigentlich keine erkennbare Taktik gibt. Allenfalls die ständigen — und selten brauchbaren — Flanken aus dem Halbfeld sind erkennbar neu im Repertoire des FC Bayern.

Die Bayern haben mit dem 0:2 in Hoffenheim bereits am 3. Bundesliga-Spieltag ihre erste Niederlage der Saison eingesteckt. An sich ist das kein Weltuntergang, doch der Negativtrend des Rekordmeisters ist deutlich erkennbar. Im Vorjahr verlor Ancelotti mit den Bayern erstmals am 11. Spieltag (0:1 in Dortmund), in den drei Spielzeiten unter Guardiola verlor der FCB erst am 29. Spieltag (13/14, 0:1 in Augsburg), am 18. Spieltag (14/15, 1:4 in Wolfsburg) und am 15. Spieltag (15/16, 1:3 in Mönchengladbach). Mit Jupp Heynckes auf der Trainerbank verloren die Bayern in der Triple-Saison 12/13 zuletzt an einem einstelligen Spieltag. Am 9. Spieltag verlor der Rekordmeister gegen Bayer Leverkusen 1:2 in der heimischen Allianz Arena — es sollte jedoch die einzige Niederlage der Saison bleiben.

Von so einem Lauf ist derzeit nicht auszugehen. Zu ideenlos, zu leidenschaftslos und zu statisch präsentieren sich die Bayern unter Ancelotti. Längst hat kaum noch eine Mannschaft aus der Bundesliga Angst vor dem Rekordmeister, doch in der vergangenen Spielzeit wurschtelte sich Ancelottis Mannschaft noch irgendwie zum Titel. Den Bayern-Bossen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge schien das nicht entgangen zu sein. Sie installierten in Willy Sagnol einen zusätzlichen Co-Trainer und in Hasan Salihamidzic einen neuen Sportdirektor. Böse Zungen behaupten, dass beide als eine Art Aufpasser für den Trainer verpflichtet wurden. Noch bösere Zungen behaupten, dass die Publikumslieblinge jedoch nur als bessere Maskottchen dienen sollen.

Die Fehler des Vorstands

Doch nicht nur Ancelotti muss sich Vorwürfe gefallen lassen. Auch der Vorstand muss sich und seine Arbeit hinterfragen. Hätten Hoeneß und Rummenigge nicht schon nach der abgelaufenen Saison erkennen können, dass Ancelotti nicht zu den Bayern passt? Die Anzeichen, dass der FC Bayern seine spielerische Identität, die ihm erst 2009 ein gewisser Louis van Gaal eingehaucht hatte, unter Ancelotti verloren hat, sind schließlich bereits seit Monaten zu erkennen.

Ist Berufsanfänger Salihamidzic der richtige Nachfolger für Matthias Sammer als Sportdirektor? Oder ist "Brazzo" einfach nur dankbar und damit nicht so schwierig im internen Umgang? Wie schwer wiegt der Abgang von Michael Reschke, der für die Transfers beim Rekordmeister verantwortlich war und plötzlich unbedingt zum Aufsteiger aus Stuttgart wechseln wollte und dem keine Steine in den Weg gelegt wurden? Das sind weitere Fragen, denen sich der Vorstand stellen muss.

Dass die Bayern überhaupt noch mit dem italienischen Übungsleiter in die neue Saison gegangen sind liegt wohl daran, dass Rummenigge sich hätte eingestehen müssen, dass seine Verpflichtung ein Fehlgriff gewesen sei. Das fürstliche Jahresgehalt Ancelottis in Höhe von 15 Millionen Euro dürfte auch eine Rolle spielen. Der Vertrag läuft noch bis zum Sommer 2019, eine Abfindung käme dem FC Bayern teuer zu stehen.

Was Tuchel und Nagelsmann unterscheidet

Und welche Alternativen hätten die Bayern überhaupt für den Trainerposten? Der einzige namhafte Trainer, der auch verfügbar wäre, heißt Thomas Tuchel. Der modelt derzeit aber lieber für das "Zeit"-Magazin in New York und trinkt beim zweitägigen "Image-Aufbau-Interview" mitten in Manhattan locker-lässig Gin Tonic, statt im Trainingsanzug Fußballer auf Fehler in der Dreierkette oder im Umschaltspiel hinzuweisen. Bei Tuchel gibt es zudem Fragezeichen hinsichtlich seiner Menschenführung. Nicht jeder BVB-Profi soll gut mit Tuchel ausgekommen sein, auch mit Mats Hummels, mittlerweile Abwehrchef bei den Bayern, gab es schon öffentliche Differenzen. Seine ernährungswissenschaftlichen Ansätze sind zudem nicht bei allen BVB-Profis auf Gegenliebe gestoßen.

Wahrscheinlicher ist die Variante, die seit Monaten schon hinter vorgehaltener Hand in Bundesligakreisen erzählt wird: Die Bayern haben als Ancelotti-Nachfolger längst Hoffenheims Julian Nagelsmann im Blick und dem jungen und erfolgreichen Trainer auch schon persönlich das Interesse signalisiert. Den Gerüchten zufolge sollen die Bayern-Verantwortlichen den Plan gefasst haben, nach der laufenden Spielzeit den Trainer auszutauschen. Klub und Ancelotti könnten so ihr Gesicht wahren und einen einvernehmlichen Schlussstrich nach zwei Jahren ziehen. Nagelsmann, der im Alltag als weitaus umgänglicher gilt als Tuchel, soll dann den längst überfälligen Umbruch bei den Bayern einleiten. Der Trainer scheint sich schon auf seine Zeit in München vorzubereiten, baut dort derzeit sogar schon ein Haus.

Sowohl Nagelsmann als auch Tuchel haben in ihrer Karriere schon bewiesen, dass sie Spieler besser machen können. Tuchel, ein Bewunderer Guardiolas Arbeit, hat diese Qualität sogar schon auf höchstem Niveau nachgewiesen. Der ehemalige Mainzer und Dortmunder Trainer wird jedoch mit Sicherheit nicht für ein paar Monate den Platzhalter für Nagelsmann spielen. Ancelotti, der eher als Verwalter gilt, hat in München derweil noch keinen Spieler besser gemacht. Ganz im Gegenteil: Säulen wie Thomas Müller oder David Alaba laufen ihrer Form seit Monaten schon hinterher.

Ein Trainerwechsel kommt derzeit dennoch nicht in Frage. Auch weil es keine adäquate Sofort-Alternative gibt. Bayerns kurzfristiger Plan heißt: Augen zu und durchwurschteln. Mit Ancelotti. Und ohne Hoffnung auf schönen Fußball.

(can)
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