Bayern-Coach in der Kritik Ancelotti hält sein April-Versprechen nicht

Düsseldorf · Trainer Carlo Ancelotti steht beim FC Bayern München in der Kritik. Das Halbfinale im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund wird für den gemütlichen Italiener zum wegweisenden Spiel.

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Spielerisch schwache Leistungen, formschwache Profis, kein vorhandener Plan B, taktische Fehler beim Aus in der Champions League, Stagnation der Talente und ein bislang enttäuschender April, lange Zeit als der "Ancelotti-Monat" propagiert — die Liste der Unzulänglichkeiten ist lang. Die Bayern gehen angeschlagen in das Pokal-Halbfnale gegen den BVB.

Als in der laufenden Saison trotz guter Ergebnisse im Herbst erstmals Kritik an Ancelotti in München geäußert wurde, vertröstete der 57 Jahre alte Trainer Vorstand und Öffentlichkeit mit dem Hinweis auf die entscheidenden Monate März und April. Schließlich komme es erst gegen Saisonende darauf an, die Bestform zu erreichen. Präsident Uli Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge wird diese Vorstellung gefallen haben, nachdem die Bayern in den vergangenen drei Jahren in der Bundesliga zwar schon vorzeitig den Titel eingefahren, nach dem Spannungsabfall in der Liga aber jeweils den Einzug ins Finale der Champions League verpasst hatten.

Und die Vorstellung war nicht absurd, hatte Ancelotti in der Vergangenheit mit Real Madrid und dem AC Mailand dieses Kunststück tatsächlich doch schon vollbracht und als einziger Trainer drei Mal die Champions League gewonnen. Doch ausgerechnet im April läuft es für den Coach nicht. Zwei deutlichen Siegen in der Bundesliga gegen Augsburg und Dortmund stehen zwei Unentschieden gegen Leverkusen und Mainz und das Aus in der "Königsklasse" gegen Real Madrid gegenüber. Die Stimmung bei den Bayern ist im Keller. Die Leistungssteuerung des Italieners hat nicht wie versprochen funktioniert. Und jetzt steht am Mittwoch das Halbfinale gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokal an. Auch wenn es kein Endspiel für Ancelotti ist, hat dieses Kräftemessen schon eine wegweisende Wirkung. Das Ergebnis bestimmt die Bewertung seiner ersten Saison maßgeblich.

Um seinen Arbeitsplatz muss Ancelotti nicht zittern

Ein Aus im Pokal würde die Saisonleistung der Bayern und des Italieners weiter schmälern, jedoch wäre Ancelottis Arbeitsplatz wohl dennoch relativ sicher. Sollte der FC Bayern jedoch in den kommenden Wochen auch noch die Meisterschaft verspielen, müsste er sich Sorgen machen. Bei noch ausstehenden vier Spielen mit den Heimspielen gegen Darmstadt und Freiburg und einem Vorsprung von acht Punkten und dem deutlich besseren Torverhältnis gegenüber Verfolger RB Leipzig jedoch ein eher theoretisches Szenario. Ancelotti wird mit den Bayern in seiner ersten Saison Meister werden. Etwas, das ihm mit Juventus Turin, dem AC Mailand, Paris Saint-Germain und Real Madrid nicht gelang. Dass dieser Erfolg dennoch ein wenig glanzlos wirkt, wird ihn nicht weiter stören. In seiner Biografie schreibt er nicht umsonst: "Mein Arsch ist erdbebensicher." Ein Einzug ins Pokalfinale — am besten mit dem Double als Krönung — würde ihn in seiner Arbeit jedoch weiter bestärken und die Kritiker leiser werden lassen.

Die Gegenwart ist das eine Problem des Rekordmeisters, die Zukunft das andere. Ancelotti hat dem großen Ziel, den Gewinn der Champions League, die Entwicklung der jungen Spieler untergeordnet. Er hat es nicht geschafft, Joshua Kimmich, Renato Sanches oder Kingsley Coman genügend Spielanteile zu verschaffen, sodass diese großen Talente in schöner Regelmäßigkeit überfordert wirken, wenn der Italiener sie doch einmal braucht. Kimmich und Coman erhalten deutlich weniger Einsätze als noch in der Vorsaison, die Folge: Das Selbstvertrauen der Shootingstars ist dahin.

Noch verheerender ist die Entwicklung des portugiesischen Europameisters Renato Sanches. Der 19-Jährige wirkt nicht nur nervös und fahrig im Bayern-Mittelfeld, sondern komplett überfordert auf seiner ersten Auslandsstation in seinem erst zweiten Profijahr. Ancelotti muss sich vorwerfen lassen, diese jungen Spieler im ersten Jahr nicht genügend gefördert zu haben. Vor ein paar Tagen versprach er dem Trio auf einer Pressekonferenz mehr Spielzeit in der Zukunft: "Wir haben tolle junge Spieler. Coman, Kimmich, Sanches — wir bauen in der Zukunft auf sie." Dass diese Zukunft noch nicht begonnen hat, zeigte die Startaufstellung gegen Mainz, in die es keiner der Youngster schaffte. Der deutsche Nationalspieler Kimmich, mit dem Ancelotti als Nachfolger für Philipp Lahm als Rechtsverteidiger plant, kam im Laufe des Spiels für den verletzten David Alaba als Innenverteidiger in die Partie, obwohl Lahm geschont wurde. Coman ersetzte zur Pause seinen Landsmann Franck Ribéry auf dem linken Flügel, während Sanches, der beste U21-Spieler Europas, mal wieder nur die Zuschauerrolle blieb.

Doch es sind nicht nur die Spieler aus der vermeintlichen zweiten Reihe, die sich unter Ancelotti in dieser Saison nicht weiterentwickelten. Linksverteidiger Alaba spielt seit Monaten unter seinen Möglichkeiten, Thomas Müller ist gar nur noch ein Schatten seiner selbst und sitzt unter Ancelotti in fast allen wichtigen Spielen zu Beginn nur noch auf der Ersatzbank. Ancelotti hat außerdem die Anfälligkeiten in der Bayern-Defensive trotz Verpflichtung von Mats Hummels nicht komplett lösen können und taktisch agieren die Münchner unter seiner Regie nicht immer auf Augenhöhe mit dem Gegner. Der Italiener vertraut auf die individuelle Stärke seiner Stars — und fährt damit national sogar ganz gut, wenn man den Ergebnissen traut. In der Bundesliga reichen oft die ein, zwei Geniestreiche von Thiago, Arjen Robben oder Robert Lewandowski, um ein Spiel zu entscheiden. International machen sie allerdings nicht immer den Unterschied aus.

Umbruch auf Raten

Den Bayern steht ein personeller Umbruch auf Raten ins Haus. Xabi Alonso und Lahm beenden ihre Karriere im Sommer, Ribéry (34) und Robben (33) gehört nicht mehr die Zukunft, sie sind aber momentan immer noch nicht zu ersetzen. Bislang stehen die Hoffenheimer Nationalspieler Niklas Süle und Sebastian Rudy als Zugänge fest. Beide sind kurzfristig jedoch eher als Verstärkung der Kaderbreite gedacht, Süle wird zugetraut, langfristig in die Fußstapfen von Hummels und Jerome Boateng zu treten. Nach den Erfahrungen mit Kimmich, Coman und Sanches wachsen jedoch an der Säbener Straße die Zweifel, ob Ancelotti für diese Aufgabe der richtige Trainer ist. Der Italiener ist mehr ein Verwalter als ein Innovator. Er hält die Stars bei Laune, hat aber wenig Erfahrung in der Entwicklung von Talenten. Überhaupt scheint die Planung für die Zukunft noch nicht besonders weit zu sein. "Wir haben noch nicht über die nächste Saison gesprochen", sagte Ancelotti jüngst. Man werde noch darüber reden, wie man den Kader verbessern könne. Die Mannschaft werde aber gut sein, versicherte er. Das klingt nicht gerade nach einem Masterplan.

Auf dem Platz fehlt dem FC Bayern derweil ein Plan B, wenn die Schlüsselspieler nicht zum Faktor werden. Die Taktik des Rekordmeisters ist für jeden Gegner leicht zu durchschauen, selbst in der Bundesliga rechnen sich diese mittlerweile wieder Chancen gegen die Bayern aus. Die Zeiten, in denen die anderen Teams schon vor dem Spiel kapitulierten und lediglich noch über die Höhe der Niederlage diskutiert wurde, sind eindeutig vorbei. Ancelotti bleibt seiner Taktik eigentlich immer treu, stellt auch bei Rückständen nur selten um. Gegen Abstiegskandidat Mainz spielten die Bayern erneut lange uninspiriert und ideenlos, wurden lediglich nach Kontern gefährlich. Der spielerische Rückschritt im Vergleich zum Fußball unter Jupp Heynckes oder Pep Guardiola ist nicht zu übersehen.

Bedenklich stimmt deshalb auch die Analyse der Bayern-Oberen zum Champions-League-Aus. Rummenigge und Ancelotti arbeiteten sich emotional an den Schiedsrichterentscheidungen ab, vergaßen aber zu erwähnen, dass nur aufgrund der fahrlässigen Chancenverwertung Reals im Hinspiel und einiger spektakulärer Paraden Manuel Neuers überhaupt die Verlängerung im Rückspiel in Madrid erreicht wurde. Die Treffer fielen durch Elfmeter und Eigentor für die Bayern eher glücklich und waren nicht das Resultat spielerischer Überlegenheit. Ancelottis riskanter Plan, Arturo Vidal nicht auszuwechseln, ging nicht auf.

Anstatt an den eigenen Defiziten zu arbeiten, wälzen die Bayern die Gründe für das Scheitern auf andere ab. Sollten sie im Halbfinale am BVB scheitern, wären sie wohl dazu gezwungen, sich etwas kritischer mit der gesamten Saison auseinanderzusetzen. Auch Ancelotti müsste das dann tun.

(can)
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