Besuch auf Heynckes' Bauernhof "Ich glaube, dass mich nichts mehr erschüttern kann"

Fischeln/Schwalmtal · Jupp Heynckes hat den FC Bayern München innerhalb von drei Monaten wieder in die Spur gebracht. Derzeit tankt er in der Heimat Kraft für das neue Jahr. Ein Besuch in Schwalmtal.

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Foto: dpa/Pedro Portal

Der bekannteste Hund im deutschen Fußball lebt in Fischeln. Das ist ein Ortsteil von Schwalmtal, ein bisschen am Ende der kleinen niederrheinischen Welt. 130 Menschen gibt es dort, einige Pferde, von denen die Hinterlassenschaften auf der Dorfstraße zeugen, zahlreiche Katzen - und Cando, den berühmten Hund. Seine Bekanntheit verdankt der Schäferhund einer anderen Berühmtheit im Fußball, seinem Herrn, dem Fußballtrainer Jupp Heynckes (72). Das ist der Mann, der in gerade mal drei Monaten den FC Bayern München wieder richtig in die Erfolgsspur gebracht hat.

Jetzt sitzt er in seinem Arbeitszimmer in Fischeln, hinter sich einen Trophäenschrank mit Andenken an ein langes Leben im Fußball, Nachbildungen der Meisterschale, des DFB-Pokals und der Champions-League-Trophäe, zu seinen Füßen Cando. "Er geht mir nicht von der Seite", sagt Heynckes.

Der Trainer macht Weihnachtsurlaub in der Heimat, und Cando ahnt wahrscheinlich, dass sein großer zweibeiniger Freund bald wieder weg sein wird. Als Heynckes in die Küche geht, um ein Glas Wasser zu holen, schaut der Hund jedenfalls skeptisch. Vielleicht erinnert er sich daran, wie sein Herr im Herbst auf einmal nicht mehr da war. Heynckes ließ sich von seinem alten Freund Uli Hoeneß überreden, den Alltag als Rentner im Schwalmtal gegen den Trainerjob im fernen München zu tauschen. Und Cando trauerte. Er wollte nicht mal mehr fressen. Der Schäferhund wurde zum Thema bei den Pressekonferenzen der Bayern.

Gefühle spielten eine Rolle, wo es doch allein ums kühle Geschäft zu gehen schien. Heynckes bringt viel Menschlichkeit zurück zum FC Bayern, was vermutlich vor allem Hoeneß freut, der das Fußball-Unternehmen immer als eine Art Familienbetrieb betrachtet hat. "Mir", beteuert Heynckes, "ist eine angenehme Atmosphäre wichtig." Aber er ist auf keinen Fall der Gute-Laune-Onkel vom Niederrhein, der mit den Spielern gemütliche Bingo-Abende veranstaltet. "Man braucht Regeln und Disziplin im Leben", betont der 72-Jährige, "auf allen Ebenen. Und besonders in einer Fußballmannschaft." Denn das Geheimnis einer funktionierenden Mannschaft sei nicht allein die Klasse der einzelnen Akteure, "sondern der Zusammenhalt, das Innenleben einer Mannschaft. Eine Mannschaft ist dann gut, wenn alle Rädchen ineinandergreifen". Und da meint er nicht nur die Mannschaft, die auf dem Rasen steht. "Für mich ist das Team hinter dem Team genauso wichtig, die Trainer, die medizinische Abteilung", erklärt Heynckes.

"Ich kann das Innenleben stark beeinflussen"

Damit all diese Rädchen ineinandergreifen, müsse "der äußere Rahmen stimmen", sagt der Trainer. Den Rahmen hat er seit Oktober ganz offenbar geschaffen. Und das ist vielleicht der einzige Anteil an der ungeheuerlichen Siegesserie der Bayern, den er sich selbst zuerkennt. "Ich kann das Innenleben stark beeinflussen", sagt er. Dafür hat er von Anfang an viele Gespräche geführt und "Grundsatzreden" gehalten. Seine Spieler haben offenbar schnell verstanden, was ihr neuer Trainer will. "Ich gebe ihnen Vertrauen", sagt er. Und sie geben Vertrauen zurück. Eine nur scheinbar einfache Wissenschaft.

Heynckes beherrscht sie perfekt. "Aber auch ich musste in meinem Trainerleben lernen", bekennt er. Und er meint nicht nur die taktischen Dinge, die fußballerischen Auffassungen von Kollegen. "Da habe ich immer genau hingeschaut", erklärt Heynckes, "wie lässt Johan Cruyff spielen, wie Arrigo Sacchi, wie Ernst Happel." Er hat auch bei Hennes Weisweiler hingeschaut, dem großen Mönchengladbacher Trainer, bei dem eine ganze Generation hochbegabter Spieler in den 1960er und 1970er Jahren in die Schule ging - er selbst, Günter Netzer, Berti Vogts, Herbert "Hacki" Wimmer, Rainer Bonhof, Allan Simonsen, Horst Köppel; Namen, die am Niederrhein noch heute geradezu ehrfürchtig aufgezählt werden. Das führte zu seiner Vorstellung vom Fußball, andere würden es Philosophie nennen.

Das waren 1987 die Bundesliga-Trainer beim Bayern-Debüt von Jupp Heynckes
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Das waren die Trainer beim Bayern-Debüt von Heynckes

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Foto: dpa, sk

Zur Arbeitsweise des Trainers Jupp Heynckes gehört aber mehr als das Wissen um Systeme, Übungsformen und taktische Ausrichtung. Heynckes bringt seine Vorstellung vom Miteinander mit. Da wird's mit der Philosophie schon richtiger. Hier findet er den Grund für Erfolge - wie jene beim einzigen Triple-Sieg der Bayern-Geschichte 2013 und für die Serie in den drei Monaten nach der Amtsübernahme in diesem Jahr. "Der Erfolg", sagt er, "das bin ja nicht ich, das sind alle zusammen. Ich bin ja nur der Verantwortliche, der die Richtung angibt, der das mit Leben füllt." Nur.

Er verlangt nicht wenig. Heynckes sagt zwar: "Ich weiß, dass es keine Perfektion gibt." Er will dennoch möglichst nahe heranreichen. Das war schon immer so. Als Spieler war er ein unersättlicher Torjäger, als Trainer ist er nie richtig zufrieden, denn es geht ja immer noch ein bisschen besser. Auf dem Trainingsplatz ist er besessen von den Kleinigkeiten, er korrigiert Passfolgen, die Haltung zum Ball, die Bewegungen. Er erklärt das auch: "Als Fußballer brauchst du die Automatismen. Auch wenn es nie auszuschließen ist, dass sich mal zwei gegenseitig umrennen, sollte das selten vorkommen." Und wer falsch zum Ball steht, hemmt die ganze Spielentwicklung. Das erfordert geduldige Arbeit. Er findet diese Detailarbeit überhaupt nicht anstrengend. "Ich habe es immer verstanden, die Arbeit zu kanalisieren", sagt er, "auch bei meinem grenzenlosen Ehrgeiz."

Auf dem Trainingsplatz ist der Fußballlehrer Heynckes in seinem Element. Genau wie sein Assistent Peter Hermann. "Er ist mein kongenialer Partner", versichert Heynckes, "und wir sind echte Freunde geworden." Den Freund ließ er bei Fortuna Düsseldorf loseisen, den Bayern war die Verpflichtung fast zwei Millionen Euro wert, und es ist ein offenes Geheimnis, dass Heynckes den Vertrag für Hermann zur Bedingung gemacht hat, als er im Oktober zurück an die Säbener Straße kam.

Es haben sich viele gefragt, warum er sich diese Rückkehr in den Zirkus Profifußball nach vier Jahren eines rundum angenehmen Lebens auf seinem umgebauten Bauernhof angetan hat. Bei vielen schwang der Zweifel mit, ob er den Anforderungen noch gewachsen sei im stolzen Alter von 72 Jahren, ob der Abstand nicht zu groß sei, und ob die Gesundheit da auf Dauer mitmachen würde - ganz zu schweigen von den Ansprüchen, die Cando wortlos mit traurigem Blick aus dunklen Augen oder die Familie mit einer Sammlung aller Bedenken stellen würden.

Heynckes hat nie gezweifelt. Das beteuert er jedenfalls: "Ich hätte das nicht gemacht, wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, physisch und psychisch in der Lage zu sein." Und er wirkt auch nicht so, als leide er in irgendeiner Form. Er ist ziemlich gut gelaunt. Vermutlich ist er der entspannteste Heynckes, den die Fußballwelt je gesehen hat. Er will das gar nicht beurteilen. Aber er sagt: "Ich muss niemandem mehr etwas beweisen, und ich muss keinem Image gerecht werden. Es war immer meine Stärke, authentisch zu sein."

Authentisch ist er auch in seinen Forderungen. Und da lässt er sich von der bemerkenswerten Bilanz seit seiner Rückkehr nicht blenden. "Wir haben in der Bundesliga zwar einen komfortablen Vorsprung", sagt er, "aber es gilt da noch einige Dinge zu perfektionieren. Wenn wir an die europäische Krone denken, dann müssen wir sagen: Da sind wir noch nicht so weit. Da gibt es noch einiges zu verbessern. Das werde ich den Spielern deutlich zu verstehen geben." Natürlich reicht es ihm nicht, den Klub in der Bundesliga in die Spur gebracht zu haben. Sein Ziel: "Wir wollen in der Champions League so weit wie möglich kommen, auch wenn uns andere Mannschaften in wirtschaftlicher Hinsicht weit voraus sind." Er hat ja nicht zufällig über den grenzenlosen Ehrgeiz gesprochen.

Den Blick für die Wirklichkeit verstellt der jedoch nicht. In dieser Wirklichkeit kommt das Scheitern ebenso vor wie die Aussicht auf den größtmöglichen Erfolg. Aus der Ruhe bringt ihn weder das eine noch das andere. "Ich kann den Menschen nur raten, auf vieles gelassener zu reagieren", sagt er, "ich glaube, dass mich nichts mehr erschüttern kann." Selbst ein neuerlicher Sieg in der Champions League nicht. Kein Wunder, denn er weiß, wer Europas Krone gewinnen wird: "Das Team, das als Mannschaft besser funktioniert als alle anderen. Auf die Homogenität und Harmonie kommt es an."

In dieser Hinsicht hat er bei den Bayern die richtigen Stellschrauben bereits gefunden. Und er wird sein Team in den drei Wettbewerben der Rückrunde wunderbar bei Laune halten können. "Ich werde rotieren, das geht gar nicht anders", sagt Heynckes. So erfährt jeder seine Wertschätzung - nicht nur in Einzelgesprächen.

Heynckes hat in diesem Vierteljahr so vieles, vielleicht alles richtig gemacht. Da wundert es niemanden, dass Präsident Uli Hoeneß immer wieder mal sehr zart den Ballon mit der Aufschrift "Weiterverpflichtung" steigen lässt. Dazu will Heynckes nichts mehr sagen. "Wir haben eine Vereinbarung" - das ist alles. Diese Vereinbarung reicht vom Oktober 2017 bis Juni 2018. Mehr wäre mit Cando wahrscheinlich auch nicht zu machen. Bis zur Haustür geht er vorsichtshalber mit. Man kann ja nie wissen.

(pet)
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