Höhenflug des BVB Das Comeback des Bayern-Verfolgers

Dortmund · Trainer Thomas Tuchel hat Borussia Dortmund in einem halben Jahr wieder auf den angestammten Platz geführt. Er reformierte den fußballerischen Stil, und er sorgte vor allem bei Henrich Mchitarjan für einen deutlichen Aufschwung.

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Fußballer sind gern "fokussiert". Sie blicken von Spiel zu Spiel. Das behaupten sie jedenfalls. Manchmal aber lohnt sich auch ein Rückblick. Bei Borussia Dortmund zum Beispiel. Vor einem Jahr belegte der Champions-League-Finalist von 2013 den Relegationsplatz in der Bundesliga, eine Woche darauf nach dem letzten Spieltag den vorletzten Rang - durch gerade mal ein mehr geschossenes Tor vor dem SC Freiburg. Gegen Ende Dezember 2015 ist der BVB durch ein 2:0 gegen Augsburg ins Viertelfinale des DFB-Pokals eingezogen. Und in der Liga ist das Dortmunder Team der einzige Verfolger des Branchenführers Bayern München.

Längst wird der Höhenflug fortgesetzt, der unter Trainer Jürgen Klopp vor siebeneinhalb Jahren begonnen und in der vergangenen Saison beinahe mit einer Bruchlandung geendet hatte. Das Comeback begann mit einem eher hart erarbeiteten als locker erspielten Marsch aus dem Tabellenkeller. Dortmund spielte im Frühjahr nicht bezaubernd, aber es ließ sich von Klopp noch mal zur Mobilisierung aller Kräfte anhalten. Dabei bemerkte auch der Trainer, dass sich einiges erschöpft hatte in der Zusammenarbeit mit der Mannschaft. Er zog daraus den richtigen Schluss und reichte seinen Abschied ein.

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Foto: dpa/Tim Rehbein

Den Rückweg dieser hochtalentierten Truppe an die Spitze führte Klopps Nachfolger an. Nicht alle waren völlig überzeugt davon, dass Thomas Tuchel die perfekte Lösung sein würde. Dem ehemaligen Mainzer Chefcoach ging der Ruf eines am liebsten schlecht gelaunten Besserwissers voraus, dem vor allem Klopps Grundtugend eines hochemotionalen Ersatzvaters abgeht. Tuchel ging gut beraten in sein Engagement. Er gab sich gelöst, zugänglich, freundlich. Er bediente das Bedürfnis des Dortmunder Publikums nach Nähe. Und, weit wichtiger für seine Wirkung nach innen: Er reformierte den Fußballstil von Borussia Dortmund.

Seine Mannschaft beherrscht immer noch das Tempospiel, zu dem sie von Klopp gepeitscht wurde. Aber Tuchel hat ihr beigebracht, dass auch Ballbesitz ein erfolgversprechendes Prinzip sein kann. Dann nämlich, wenn im richtigen Moment die vielzitierte Tiefe des Raumes gesucht wird, wenn das temperierte Abspiel die Schnelligkeit der Spitzen zum Tragen bringt.

Die Stilreform kommt den Anlagen seiner Spieler entgegen. Tuchel hat viele Fußballer, die ein Gefühl für den richtigen Moment des Abspiels haben. Ilkay Gündogan, Mats Hummels und Henrich Mchitarjan beherrschen den Steilpass im richtigen Moment, der jede Deckung aufschneidet. Sie müssen dieses Talent nicht mehr in hingebungsvollem Anrennen verschwenden.

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Foto: afp, PST/DG

Vor allem Mchitarjan profitiert von Tuchel. Der Trainer hat ihm die Lockerheit verschafft, die der feinfühlige Armenier braucht. Er ist längst nicht mehr der Grübler, der an schwächeren Phasen verzweifelt, sondern ein Schlüsselspieler. Das freut nicht nur Tuchel für diesen "unheimlich respektvollen, bescheidenen Menschen", sondern auch die Kollegen. In der Mannschaft ist Mchitarjan sehr geachtet.

Der zweite Schlüsselspieler ist Pierre-Emerick Aubameyang. Schon Klopp hatte nach gescheiterten Versuchen, dem Gabuner die taktische Klugheit für seine Wege als Rechtsaußen zu vermitteln, den Sprinter in die Spitze gestellt. Aber erst unter Tuchels Anleitung begann Aubameyang mit einer Torproduktion, die Experten an den großen Gerd Müller denken lässt. Bei 18 Bundesliga-Toren in 16 Spielen ist Müllers Ewigkeitsrekord von 40 Treffern in einer Saison noch in Sicht. Das gab es seit 1977 nicht mehr. Damals schoss Dieter Müller für den 1. FC Köln 34 Tore.

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Foto: AP/Andy Rain

Aubameyangs Treffsicherheit macht aus dem BVB wieder den ersten Champions-League-Kandidaten nach den Bayern. "Das", räumt Tuchel mit hörbarer Zufriedenheit ein, "fühlt sich gut an. Wir haben uns auf einen tollen Weg begeben." Es ist nicht heraus, wohin der noch führen wird. Vermutlich nicht an den Münchnern vorbei, jedenfalls nicht in dieser Saison. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass die Bayern diesmal nicht schon zu Ostern um 20 Punkte davongeeilt sein werden. Das Dortmunder Gebilde ist dafür viel zu stabil. Und weil Tuchels Fußball dem der Münchner mehr ähnelt als dem der Klopp-Ära, geht er auch nicht so an die Kraftreserven. Ein Einbruch ist nicht zu befürchten.

Ahnen konnte man diese Entwicklung im Sommer im Schweizer Bad Ragaz. Bereits im Trainingslager war ein ganz neuer Schwung zu sehen. Damals beteuerten Spieler, Trainer und Funktionäre, das Saisonziel laute: "Wir wollen die ersten vier Teams der Vorsaison herausfordern." Das war tiefgestapelt. Sehr tief.

(pet)
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