Reportage Dortmund leidet mit dem BVB

Dortmund · Der Tannenbaum auf dem Weihnachtsmarkt im Zentrum der Stadt war früher mit Meisterschale und DFB-Pokal geschmückt. Jetzt hängen nur "noch so olle Kugeln dran". Doch die Zuversicht ist ungebrochen.

Dieter Jung auf der Suche nach einem BVB-Souvenir.

Dieter Jung auf der Suche nach einem BVB-Souvenir.

Foto: DeFodi.de

Zum Glück ist endlich Vorweihnachtszeit. Denn wenigstens im Adventskalender gibt es für den Ballspielverein von 1909 bis Weihnachten garantiert ein paar Törchen. Im Fanshop des BVB wird hinter der Nummer drei ein Nikolausgeschenkpaket angeboten - mit gelbem statt rotem Gewand, so viel Grausamkeit hätte in den besinnlichen Tagen niemand verdient. 26 Prozent Nachlass, die Marktpreise sind in Dortmund in den vergangenen Wochen extrem gefallen. Die stolze Borussia ist Tabellenletzter in der Fußball-Bundesliga. Und eine Stadt leidet mit.

Der Weihnachtsmarkt im Zentrum der Stadt. Ein großer Tannenbaum steht in der Mitte. Früher, erzählt eine Frau mit verschnupfter Stimme, sei der Baum mit Meisterschale und DFB-Pokal geschmückt gewesen. "Nun hängen da nur noch so olle Kugeln dran", sagt sie. So lange ist "früher" noch gar nicht her. Vor zwei Jahren gewann der Verein noch das Double. Aktuell sieht es nicht so rosig aus. Der Klub, der sich anschickte, den großen FC Bayern herauszufordern, ist ins Trudeln geraten. Das Verletzungspech hat besonders hart zugeschlagen, alles andere hat der Konkurrent aus München erledigt. Erst Mario Götze, nun Robert Lewandowski, vielleicht schon bald auch Marco Reus.

Das Schlimmste, was einem Verein passieren kann, ist Mitleid zu bekommen. Wenn sich etwa ein Thomas Müller vor die Kameras stellt und voller Großmut verkündet: "Ich gönne dem BVB jeden Punkt." Es gehe um deutschen Fußball, formuliert der Bayern-Profi ganz staatstragend. "Sonst ist zu schnell die Spannung raus." Es gehe darum, dass man sich mit vielen Spielern auch privat gut verstehe. "Aber da sieht man mal wieder, was im Fußball alles möglich ist. In der Champions League steht der BVB super da - in der Liga ganz unten. Schon verrückt, aber nicht unser Thema", findet Müller.

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Foto: dpa/Tim Rehbein

Auf dem Weihnachtsmarkt in Dortmund läuft leise "Last Christmas", der Geruch von Glühwein und gebrannten Mandeln liegt in der Luft. Dies ist kein Ort für Trübsal. Janita Rakers und ihre Freundinnen sind aus der Grafschaft Bentheim angereist. Sie tragen rote Nikolausmützen und lachen viel. Sie nennen sich die "Wilden Mädels", weil sie alle Nachbarinnen sind, die auf der Wildestraße wohnen. Mit Fußball, sagt Rakers, hätten sie nicht sonderlich viel am Hut. "Aber dem Jürgen Klopp", sagt sie, "dem wünsche ich natürlich so viel Glück, wie er braucht." Vor ein paar Tagen habe der ASC Uelsen, der Klub aus ihrem Heimatort, einen Brief an Dortmunds Geschäftsführer Joachim Watzke geschickt. Darin wollte man die Solidarität in diesen schweren Zeiten zum Ausdruck bringen. Wenig später kam eine Antwort von Watzke persönlich. "Er hat den Jungs 20 Freikarten für das Spiel am Freitag gegen Hoffenheim spendiert. Ein feiner Zug war das, ein wirklich feiner Zug."

Vor dem Fanshop steht ein kleiner Junge und begutachtet das Schaufenster ganz genau. Liebe zu einem Verein definiert sich nicht über den Tabellenplatz. "Der BVB", sagt Lukas (9), "wird sich ganz schnell erholen. Wir müssen nicht jedes Jahr Meister werden." Hinter ihm steht sein Vater und nickt anerkennend. Ein paar Meter weiter geht ein Mann vorbei und zischt das übliche Gemisch an Verachtung und Häme, wenn es mal nicht so läuft. "Scheiß Millionäre", sagt er, und: "Die sollen endlich was tun für ihr Geld."

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Foto: dpa, Ciro Fusco

In einer Stadt wie Dortmund steht dennoch der Verein über allem. Die Menschen identifizieren sich mit ihrem BVB. Wenn, dann hier, passt der kitschige Werbespruch "Echte Liebe" hundertprozentig hin. Man hat im Revier viel verloren, aber Borussia Dortmund hat vielen Menschen den Stolz zurückgebracht.

Ein paar Stände weiter ist wieder von "Mitleid" die Rede. Dieter Jung interessiert sich für eine gelbe Strickmütze. Er kommt aus Marl. "Wenn da wech kommst, dann stehst du irgendwo zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke", erklärt er. "Gerade bin ich Sympathisant vom BVB. Die müssen doch mal langsam wieder die Kurve bekommen. Die müssen jetzt alle einfach schön die Nerven behalten. Der Klopp war doch lange der Heilsbringer, jetzt kann ja nicht plötzlich alles schlecht sein."

Das sieht man bei der Borussia ähnlich. Klopp sagt: "Es ist gerade eben ein bisschen zäher als sonst. Und dafür muss man bereit sein. Und das bin ich." Er brauche keine Vertrauensbeweise der Vereinsführung, die habe er schon so und so oft bekommen. "Freitagabend ist High Noon", sagt Klopp, "dann ist egal, was wir während der Woche gemacht oder besprochen haben. Gedanken an Rücktritt gibt es nicht. Es gibt keine Falltür, in der ich verschwinden könnte, wenn es mir zu viel wird. Ich bin 100 Prozent bereit." Eine ganze Stadt steht noch hinter ihm. Daran ändern auch ein paar Unmutsäußerungen nichts.

(RP)
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