Borussia Dortmund Sokratis — der Malocher unter den Feingeistern

Düsseldorf · Noch ist Sokratis Papasthathopoulos ein vergleichsweise junger Mensch von 28 Jahren. Vielleicht aber wird er eines Tages ein Großvater sein, der den Enkeln an langen Abenden von den großen Fußballzeiten erzählt. Und er wird sich bestimmt noch daran erinnern, wie es kam, dass er bei Borussia Dortmund ein richtiger Star wurde.

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Foto: dpa, gf ive sam

Das war nämlich im Juli 2015. Der BVB trainierte im Schweizer Kurort Bad Ragaz für die neue Saison. Und vor den staunenden Fans, die jeden Tag zu Hunderten die Übungseinheiten besuchten, grätschte sich der Grieche tief ins Herz seines neuen Trainers. Kein Trainingsspiel gab er verloren, keinen Zweikampf fand er aussichtslos. "Er ist fast ein bisschen besessen vom Verteidigen", sagte der neue Coach. "Papa", wie ihn die Kollegen nennen, wurde zur festen Größe in der Dortmunder Abwehrzentrale. Mitten in einem Team von fußballerischen Feingeistern steht er seither wie ein Fels oder wie die berühmte gelbe Wand im eigenen Stadion, wo die treuesten Fans auf Europas größter Stehtribüne stehen. Auch beim 2:2 im Champions-League-Spiel bei Real Madrid war das so. Sokratis — so steht's auf dem Trikot, weil sich die Beflocker mit Papasthathopoulos vermutlich um den Verstand drucken würden —, trug maßgeblich zum ersten Platz in der Gruppe bei.

"Papa ist ein echter Mann"

Es war wie so oft bei Auftritten der Dortmunder. Rings um Sokratis wurde teilweise betörend kombiniert, aber wenn es um den fußballerischen Ernst ging, dann war der Grieche die herausragende Figur auf dem Platz. An dem Brocken in der BVB-Defensive prallte so mancher Gegenspieler ab. Und weil Zweikämpfe mit dem Verteidiger in der Regel nicht ohne Schmerzen abgehen, überlegten es sich seine Gegenspieler beim nächsten Dribbling, ob sie den Körperkontakt riskieren sollten. "Papa ist ein echter Mann, er spielt Männerfußball", erklärte Tuchel.

So einen Typen braucht eine Spitzenmannschaft — vor allem, wenn ihr Gerüst aus den eher zartbesaiteten Vertretern der neuen Fußballschule besteht. Da werden eifrig Kringel gedreht, Kombinationen der Gattung Hacke-Spitze-eins-zwei-drei gespielt, Bälle in den Lauf der Kollegen gestreichelt und fein sortierte Wege "zwischen den Linien" gesucht. Sokratis steht eher für die vermeintlich alten Tugenden. Ihm geht die Torsicherung über alles, er kann sich herrlich über Gegentreffer erregen oder auch nur über Fehler, die zu Chancen führen. Und er ist sich überhaupt nicht zu schade, den Ball in den Oberrang oder — wie bei den Trainingsspielen im 2015er-Sommer von Bad Ragaz — auch mal aus dem Stadion zu treten. Hauptsache, der Gegner kann damit keinen Schaden anrichten. Diese vergleichsweise rustikale Art kam bei Tuchels Vorgänger Jürgen Klopp nicht ganz so gut an, obwohl der Trainer in seiner eigenen Spielerkarriere ebenfalls ein Vertreter der eher schlichten Spielweise war — möglicherweise gerade deshalb. Klopp berief Sokratis nur dann in die erste Mannschaft, wenn sich Mats Hummels, Neven Subotic oder Sven Bender mit Verletzungen plagten. "Mir hat ein Stück die Wertschätzung gefehlt", sagte er der "Bild", "im Sommer 2015 habe ich über einen Wechsel nachgedacht."

Fans lieben Sokratis' Hingabe

Das ist jetzt natürlich kein Thema mehr. Er spüre mittlerweile das Vertrauen des Trainers, erklärte der Grieche. Das hat noch keinem Spieler geschadet. Die Fans haben ihn ohnehin tief ins Herz geschlossen, weil er mit seinem Kampfgeist, mit seinem grimmigen Blick und der Hingabe an den Beruf wie der Prototyp des Revier-Malochers wirkt. Den gibt es zwar nur noch in den romantischen Rückblicken, aber er bildet doch das Ideal für die Anhänger eines Klubs, der längst zu den Fußball-Großunternehmen in Europa zählt und daher viel Wert auf die Artisten im Personal legt.

Sokratis ist der Antityp zu den modernen Künstlern. Gebildete junge Trainer würden sagen, dass er unentbehrlich für die Balance des Spiels sei. Ganz alten Trainern würden Namen wie Georg Schwarzenbeck von Bayern München oder Heinz Simmet vom 1. FC Köln einfallen. Sie erschreckten die Gegenspieler in den seligen 60er und 70er Jahren. Und sie hielten den erklärten Künstlern den Rücken frei. Die gab es auch damals schon. Beckenbauer und Overath wären allerdings nicht auf die Idee verfallen, ihre Spielweise gleich der ganzen Mannschaft zu verordnen. Für sie waren Typen wie Sokratis selbstverständlich. Das muss der moderne Fußball erst wieder lernen. Der Dortmunder Grieche hilft dabei.

(pet)
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