Titel noch nicht abgeschrieben Der BVB wird mutiger und will die Bayern jagen

Dortmund · Die westfälische Borussia geht auf Platz zwei in die Rückrunde. Den Titel schreibt sie trotz acht Punkten Rückstand auf den FC Bayern noch nicht ab.

Im Sommer schaute Hans-Joachim Watzke in die Zukunft. Er beschloss, höchste Bescheidenheit walten zu lassen. Und er sagte: "Wir wollen der Herausforderer der ersten Vier sein." Natürlich hatte der Geschäftsführer von Borussia Dortmund Mühe, dabei ernst zu bleiben. Weil er aber nicht zu sehr lachen musste, nahmen seine Getreuen im Klub das große Wort brav als Sprachregelung für die Saison auf. Sportdirektor Michael Zorc wiederholte es, Trainer Thomas Tuchel ohnehin und sogar die Spieler, sofern sie davon gelesen hatten. Alle wussten allerdings, dass es eigentlich darum ging, auf den angestammten Platz zurückzukehren. Der liegt irgendwo mehr oder weniger knapp hinter den Bayern und deutlich vor dem Rest der deutschen Bundesliga-Welt. Diese Position hat der BVB in der Hinrunde sicher zurückerobert.

Inzwischen wird sogar nicht mehr ganz heimlich von größeren Zielen geträumt. "Alles ist möglich", sagte Henrich Mchitarjan dem "Kicker", "acht Punkte Rückstand (so weit sind die Bayern entfernt/Anm.d.Red.) sind im Fußball nicht so viel." Der um einen kessen Spruch selten verlegene Kollege Pierre-Emerick Aubameyang erklärte voller Überzeugung: "Meister werden die Bayern nicht." Und vielleicht fällt Watzke wieder ein, dass er unserer Redaktion mal gesagt hat: "Wir haben das Titel-Gen." Das war übrigens ebenfalls im Sommer, und gelacht hat er auch dabei nicht.

Tatsächlich müssen die Anhänger des BVB kein ausgeprägtes Langzeitgedächtnis bemühen, wenn sie sich an deutsche Meisterschaften erinnern wollen. Ihr Team war da, als die Bayern mal nicht zum einsamen Höhenflug ansetzen konnten. 2011 distanzierte es die Münchner um satte zehn Punkte. Der Rekordmeister wurde nur Dritter. 2012 verteidigte die Borussia den Titel.

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Das haben weder die Dortmunder noch die Bayern vergessen. Die Münchner reagierten auf diese Art von Demütigung mit einer neuerlichen Aufrüstung ihres Aufgebots. Und der BVB musste im Laufe der nächsten Spielzeiten feststellen, wie es einem ergeht, den die Münchner richtig ernstnehmen. Sie kaufen dem Rivalen dann gern wichtige Spieler weg. Ohne Mario Götze und Robert Lewandowski blieb den Dortmundern nicht mehr als die Rolle des tapferen Bewunderers.

Auch in dieser Saison deutet die Halbjahresbilanz nicht darauf hin, als sollte sich das so schnell ändern. Die Dortmunder finden jedoch durchaus Daten, die ihnen Mut machen können. Zum Beispiel bei der Torquote. 47 Tore hat der BVB geschossen, eines mehr als die Bayern. Allein 18 gingen auf das Konto von Aubameyang, der deshalb besonders selbstbewusst ist und natürlich auf dem Wunschzettel vieler Topklubs steht. Den Abwerbeversuchen von Arsenal London widerstand er, obwohl angeblich eine Ablösesumme von 60 Millionen Euro aufgerufen wurde. Er hat in Dortmund offenkundig noch etwas vor.

Das gilt auch für Mchitarjan, um den nach Angaben seines umtriebigen Beraters Mino Raiola Juventus Turin wirbt. Dass die beiden Angreifer zumindest nicht bei der ersten Gelegenheit auf den nächsten Zug springen, liegt zu einem großen Teil an Trainer Tuchel. In seinem System bekommt Aubameyang die Freiheiten, die ihn zu einem Stürmer von internationaler Klasse machen. Und Mchitarjan kann die Feinheiten ins Spiel einbringen, für die in Jürgen Klopps hemmungslosem Vollgasfußball zu wenig Platz war. Zu den Dortmunder Sprachregelungen, die auf Watzkes Befehl zurückgehen, gehört zwar der Satz: "Wir können und wollen die beiden Trainer nicht vergleichen." Diese unangenehme Aufgabe übernahmen aber die freundlichen Statistiker des "Kicker". Sie belegten, dass Tuchels Team im Schnitt 112,8 km pro Spiel läuft, sechs Kilometer weniger als zu Klopps Zeiten. Sie errechneten, dass es pro Spiel 2,76 Tore gab (1,87 bei Klopp), und dass die Pässe besser ankommen. 83,8 Prozent der Zuspiele fanden den Partner, bei Klopp waren es 77,2 Prozent.

Dafür war Klopp zweimal Meister, und in Tuchels BVB-Bilanz steht Platz zwei nach der Hinrunde. Zeit für den guten, alten Fußballersatz: "Es ist noch ein weiter Weg, wir denken von Spiel zu Spiel." Den sagte diesmal Mchitarjan.

Watzke musste nicht mal darum bitten.

(pet)
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