Tuchels Zukunft beim BVB "Ich bin nicht naiv"

Berlin · Während der Dortmunder Pokal-Party gehen die Diskussionen um die Zukunft von Trainer Thomas Tuchel weiter. Der BVB-Coach nutzte die Berliner Bühne als Bewerbungsfläche.

Sie haben es wieder getan. Wie schon nach dem 4:3-Erfolg zum Abschluss der Bundesliga-Saison sanken sich die tief verkrachten Dortmunder Führungsfiguren nach dem 2:1-Sieg im Berliner DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt in die Arme. Angestrengte Beobachter notierten voller Eifer, dass die Umarmung von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Trainer Thomas Tuchel tatsächlich ein paar Sekunden länger ausfiel als vor Wochenfrist im ehemaligen Westfalenstadion. Bei der Party bis in die frühen Morgenstunden schloss Watzke den Coach dann auch ausdrücklich mit in seine Dankesrede ein: "Lieber Thomas, das ist dein erster Titel. Darüber freue ich mich total." Den großen Friedensschluss wird daraus allerdings niemand ableiten. Trotz des ersten Titels als Trainer einer Männermannschaft wird Tuchel (43) wohl seinen Abschied nehmen müssen. "Ich bin nicht naiv", sagte er, "es wird ein Gespräch geben, vielleicht auch mehrere Gespräche, ergebnisoffene Gespräche. Ich weiß nicht, wie das ausgehen wird."

Weil Tuchel nicht naiv ist und Öffentlichkeitsarbeit ebenso professionell betreibt wie seinen Job als Übungsleiter, nützte er die Berliner Bühne als Bewerbungsfläche. "Natürlich möchte ich meinen Vertrag erfüllen und Trainer dieser Mannschaft bleiben", beteuerte er. Und er verwies sehr gern auf seine Bilanz. "Wir haben alle unsere Ziele erreicht, das geht nur, wenn der Trainer der Mannschaft vertraut und wenn die Mannschaft dem Trainer vertraut", sagte Tuchel, "und wissen Sie, was ich glaube: Ich glaube, dass du die besonderen Leistungen nur bringst, wenn eine Verbindung zwischen den Spielern und dem Trainer besteht."

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Es ist jedoch eine sehr offene Frage, ob diese Verbindung mehr ist als ein "absolut professionelles Verhältnis", wie es Mittelfeldspieler Nuri Sahin vor ein paar Wochen im ZDF-Sportstudio mit aller zu Gebote stehenden Kälte feststellte. Ausgerechnet Sahin, dieses Muster an Loyalität. In Berlin wurde bereits heftig gerätselt, ob dieser Wortbeitrag den Türken einen Platz im Kader fürs Finale gekostet hatte. Jedenfalls strich Tuchel den Mann aus dem Aufgebot, den alle im zentralen Mittelfeld erwartet hatten. "Ich bin sehr überrascht", sagte Marco Reus, "Nuri war gut drauf." Reus feierte den ersten Titelgewinn seiner Karriere, musste aber mit einer Knieverletzung ausgewechselt werden. "Es ist vielleicht ein bisschen Kreuzband. Aber heute nehme ich das in Kauf", sagte er.

Entschieden deutlicher in Bezug auf Sahin wurde Kapitän Marcel Schmelzer. "Ich bin geschockt", erklärte der ebenfalls nicht als Lautsprecher bekannte Spielführer, "die Erklärung dafür muss der Trainer geben." Nach einem ausgeprägten Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Team hörte sich das nicht an.

Tuchel erklärte den Verzicht mit seiner Taktik. "Wir wollten eine gewisse Körperlichkeit im Mittelfeld haben, weil wir viele hohe Bälle erwarten", stellte er vor dem Spiel fest. Deshalb setzte er Matthias Ginter, einen gelernten Innenverteidiger und erklärten Tuchel-Fürsprecher, auf jener Position ein, die heute als Sechs bezeichnet wird. Gerade über diese Position aber attackierte Frankfurt den Favoriten und brachte ihn in der ersten Halbzeit in große Verlegenheit. "Wir mussten froh sein, dass wir mit 1:1 in die Kabine kamen", sagte Tuchel mit Recht. Dass die gefährlichsten Aktionen der Frankfurter durch intensive Störmanöver in der Zentrale und anschließende flache Pässe in die Spitze zustande kamen, hatte er wie alle anderen gesehen. Aber das verriet er nicht.

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Er ließ Taten sprechen und beorderte Gonzalo Castro in die Zentrale. Obwohl Schmelzer und Reus verletzt in der Kabine blieben, machte Dortmund vor allem durch Christian Pulisic, Raphael Guerreiro und Shinji Kagawa und über die linke Seite erheblich mehr Druck. Dadurch verdiente sich der Favorit den Titel. Den entscheidenden Treffer machte Pierre-Emerick Aubameyang mit einem kühn gelupften Foulelfmeter. Wahrscheinlich war es sein Abschiedsgeschenk, er soll bereits um seine Freigabe für einen Wechsel zu Paris St. Germain nachgesucht haben. Auch über diese Personalie wird diese Woche befunden. So richtig ergebnisoffen werden die Gespräche wohl nicht.

Es ist ein schöner taktischer Treppenwitz des Endspiels, dass Frankfurt erst sehr spät das Mittel des langen Balles in die Spitze auspackte, in dessen Erwartung Tuchel bereits Sahin geopfert hatte. Als die Eintracht die Brechstange benutzte, war Ginter längst in die Innenverteidigung gewechselt, und im Mittelfeld standen Castro (1,71 m), Guerreiro (1,70 m) und Kagawa (1,75 m) - allesamt Spieler, die in diesem Leben keine Riesen mehr werden.

Sie mussten mit ihren Fans in der Schlussphase noch ein wenig zittern, in Gefahr geriet der knappe Sieg aber nicht mehr. Erleichtert fielen sich die Dortmunder in die Arme, im vierten Anlauf hintereinander hatte es endlich zum Pokalsieg gereicht. Für Tuchel, der ganz in seiner Rolle als guter Mensch aufzugehen schien, war es nicht nur ein persönlicher Triumph. Er versicherte auch: "Mir geht es gut, wenn alle glücklich sind." Sahin kann er nicht unbedingt gemeint haben.

Auf dem Siegertruck durch die Innenstadt, in der rund 250.000 Fans feierten, spritzte der Coach gestern dann ungewohnt ausgelassen mit Champagner umher und nahm einen kräftigen Schluck aus der Pulle. "Ich habe den Trainer in sehr guter Form gesehen", berichtete Siegtorschütze Pierre-Emerick Aubameyang. Ob ihn das vor der Entlassung rettet, bleibt fraglich.

(pet)
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