Borussia Mönchengladbach 1899 Hoffenheim ist Borussia im Zeitraffer

Mönchengladbach · Borussia und die TSG 1899 Hoffenheim haben nichts gemein. Borussia ist einer der traditionsreichsten Fußballklubs des Landes, der auf 46 Jahre Bundesliga-Geschichte zurückschauen kann, fünfmal Meister wurde, dreimal den Pokal gewann und zweimal den Uefa-Cup. Gladbachs Fohlenelf schrieb in den goldenen 70er-Jahren Geschichte.

Bundesliga 13/14: Gladbach - Hoffenheim
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Hoffenheim ist das Fußball-Projekt des Milliardärs Dietmar Hopp, der mit viel Geld aus einem Dorfverein einen Bundesligisten gemacht hat. Titel gab es noch keine. Borussia hat mehr als 60.000 Mitglieder und Fans weltweit, Hoffenheim hat nur 6100 Mitglieder und ist den Traditionalisten unter den Fußballfreunden nach wie vor ein Gräuel. Auf den zweiten Blick jedoch gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen beiden Klubs. Vieles, was Borussia in 50 Jahren passierte, erlebte Hoffenheim binnen sechs Jahren als Bundesligist: Hoffenheim ist Borussia im Zeitraffer.

Beide Klubs stehen für schönen Offensiv-Fußball. In Gladbach hat Hennes Weisweiler die Fohlenelf geschaffen, die vor 50 Jahren mit erfrischendem Konterfußball verzückte. In Hoffenheim war es Ralf Rangnick, der die Mannschaft aus der Regionalliga in die Bundesliga führte mit flottem Angriffsfußball. Dass sich Rangnick mit dem früheren Hockey-Trainer Bernhard Peters einen klugen Kopf für die Nachwuchskonzepte holte, passt ins Bild — denn Peters, der inzwischen für den Hamburger SV arbeitet, ist ein bekennender Verehrer des Gladbacher Fohlenfußballs.

Man darf annehmen, dass das eingeflossen ist in Hoffenheim. Weisweiler wie Rangnick setzten auf viele junge Spieler, die gern auch aus dem eigenen Verein kamen. Die Fohlenelf und ihre Erfolge sind nach wie vor die Matrize für das, was in Gladbach passiert und bei 1899 gilt Rangnicks Werk nebst dem Gipfelsturm in der ersten Halbserie der ersten Bundesliga-Saison 2008/2009 als das Ideal.

Borussia war viele Jahre auf der Suche nach einer Identität. Nach dem Pokalsieg 1995 gab es einen fast eineinhalb Dekaden währenden Schlingerkurs mit vielen falschen Entscheidungen. Zu schnell sollte der Erfolg her, zu wenig blieb man der eigenen Geschichte treu, die so mehr und mehr zur Belastung wurde. Trainer kamen und gingen, ohne, dass es einen roten Faden gab. Erst Sportdirektor Max Eberl brachte den Klub durch die Rückbesinnung auf die alten Ideale wieder auf Kurs.

Auch Hoffenheim kam nach Rangnicks Abgang 2011 vom selbst definierten Weg ab. Zwei Jahre lang wurde hin- und hergewerkelt, wie in Gladbach gab es in der sportlichen Führung viel Fluktuation, es wurden große Namen geholt, doch die blieben alles schuldig. Wie Gladbach 2011 stand Hoffenheim 2013 am Rande des Abgrunds, rettete sich aber wie die Borussen in der Relegation. Danach wurden am Niederrhein und im Kraichgau die richtigen Schlüsse gezogen.

"Sie haben wieder eine Identität geschaffen als Verein und haben dann die passenden Personen dazu geholt. Das ist immer das Wichtigste", sagt Eberl über Hoffenheim und meint damit Trainer Markus Gisdol und Sportdirektor Alexander Rosen. Es ist ein Satz, der so auch für Borussia gelten kann.

Lucien Favre (56) und Markus Gisdol (45) wurden jeweils in einer nahezu aussichtslosen Situation geholt — Favre 2011, Gisdol 2013 — und schafften jeweils das Rettungswunder. Beide setzten dabei nicht auf den üblichen Mechanismus, gegen den Abstieg zu kämpfen, sondern legten das spielerische Potenzial ihrer Teams frei.

Nach der Rettung begann die eigentliche Arbeit von Favre und Gisdol. Beide haben ihren Mannschaften ein klares Konzept verpasst, dass sie ihren Spielern durch akribische Detailarbeit näherbringen. Beide haben einen offensiven Ansatz, der aber auf einer gut organisierten Defensive basiert. Was das angeht, musste Gisdol im Sommer nachjustieren. Denn in der vergangenen Saison wurde deutlich, was in Gladbach Hennes Weisweiler mit Hilfe der Anregungen von Günter Netzer vor 45 Jahren erkannte: Nur wilder Angriffsfußball bringt zwar Spaß, aber nicht immer Erfolg.

1969 holte Weisweiler Luggi Müller und Klaus-Dieter Sieloff, Borussia wurde 1970 Meister. Gisdol verstärkte sein Team im Sommer in der Defensive und bläut seinen Spieler ein, dass "hinten die Null stehen muss". Das trägt Früchte: Mit sieben Gegentoren hat Hoffenheim derzeit die drittbeste Abwehr nach den Bayern (2) und Borussia (4).

Zwei Trainer, die ähnlich denken, haben zwei Teams, die ähnlich aufgestellt sind. Beide haben einen spielenden Torwart (Yann Sommer hier, Oliver Baumann, der auch in Gladbach ein Thema war, als es um die Nachfolge von Marc-André ter Stegen ging, da), Sechser, die das Spiel aus der Tiefe inspirieren können und eine gewaltige Offensivabteilung, in der es Spiegelbilder gibt: Die Brasilianer Raffael wie Firmino sind das geistige Zentrum des Spiels ihrer Teams, André Hahn wie Kevin Volland sind pfeilschnelle und willensstarke Außenbahnspieler.

Dank Dietmar Hopp hat Hoffenheim eine Sonderstellung. "Dass ein Spieler wie Roberto Firmino verlängert hat, zeigt, dass der Verein große Möglichkeiten hat", sagt Max Eberl.

In dieser Saison sind Borussia und Hoffenheim im Gleichschritt unterwegs. Beide haben 17 Punkte, vier Siege und fünf Unentschieden, beide haben wettbewerbsübergreifend noch nicht verloren. Borussia ist seit 16 Pflichtspielen unbesiegt, kommt morgen das 17. dazu, wäre der Startrekord, den Weisweilers Fohlenelf in der Saison 1970/71 aufstellte, egalisiert.

Hoffenheim, das vergleichsweise geschichtslos ist, hat es leichter: Die neun Ligaspiele am Stück ohne Niederlage sind bereits ein Vereinsrekord. Es ist der Vergleich des Zweiten gegen den Vierten — "das wahre Topspiel", wie Borussia im Fohlen-Echo zum Tage mit Blick auf den Vergleich der Bayern mit den kriselnden Dortmundern schreibt. Was zu erwarten ist: ein Spiel zweier taktisch gut eingestellter Teams mit viel Drang zum Tor.

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