Borussia Mönchengladbach Borussia gibt Gladbach ein gutes Gefühl

Mönchengladbach · Der Bundesligist ist in die europäische Champions League aufgestiegen - und mit ihm auch die Stadt, die seine Heimat ist.

Borussia Mönchengladbach beim SV Werder Bremen: Einzelkritik
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Werder Bremen - Borussia: Einzelkritik

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Hans-Wilhelm Reiners war am Wochenende in Hamburg. Mönchengladbachs Oberbürgermeister genoss den sonnigen Sonntagmorgen an der Außenalster. Hamburg ist, da wird kaum jemand wiedersprechen, eine der schönsten Städte Deutschlands. Die Metropole an der Elbe wirkt für sich, sie braucht nicht den Fußball als Werbeträger. Der Vorzeige-Klub der Hansestadt, der HSV, ist dafür aktuell auch recht ungeeignet. Nach vielen Irrungen und Wirrungen der vergangenen Jahre steht das Gründungsmitglied vor dem ersten Abstieg aus der Bundesliga. "Hamburg ist eine wunderbare Stadt, aber fußballtechnisch problematisch", sagt Reiners.

In der Stadt, deren oberster Bürger er ist, fällt die Diagnose exakt entgegengesetzt aus. Der erste Fußballverein der Stadt, Borussia, "hat bei uns eine ganz, ganz große Bedeutung", weiß Reiners. Er ist in Eicken aufgewachsen, dort, wo Borussia ihren Ursprung hat, und er hat dort die große Zeit des Klubs, die goldenen 70er, hautnah erlebt: die Fohlenelf und ihren herrlichen, unbekümmerten Fußball, die großen Triumphe, die Hunderttausende auf den Straßen der Stadt feierten.

Jetzt, da die Borussen der Gegenwart wieder ganz oben dabei sind, fühlt sich Reiners an jene Jahre erinnert. Und er weiß, dass es seiner Stadt gut tut, was im Borussia-Park passiert. "Das ist wichtig für das Gefühl in der Stadt. Die allgemeine Stimmung ist gut, und da spielt Borussia eine Rolle. Wir haben wieder etwas vorzuweisen", sagt Reiners. Mönchengladbach ist mit Borussia in die Champions League aufgestiegen.

Dass es viele Gladbacher gibt, die auch im Erfolg über ihre Borussia "moppern", gehört dazu. Das ist der niederrheinische Argwohn. Wenn etwas nicht passiert, ist es schlimm. Und wenn etwas passiert, dann könnte es, bitte schön, auch besser sein. Doch an dem, was Lucien Favres Mannschaft jetzt geschafft hat, gibt es kaum etwas zu mäkeln: "Es ist für uns wie eine Meisterschaft", sagte Sportdirektor Max Eberl.

Es ist neu, aber auch eine Rückkehr. Zumindest beim FC Barcelona, der seit Sonntag spanischer Meister ist, dürfte Mönchengladbach ein Begriff sein, schließlich spielt Marc-André ter Stegen dort, und der ist in Gladbach aufgewachsen. Zudem lockte Barça 1975 Borussias Meistertrainer Hennes Weisweiler mit vielen spanischen Peseten nach Katalonien - und später dann noch Borussias Star Allan Simonsen. Auch Real Madrid, wie Barcelona ein möglicher Gegner der Gladbacher, weiß, wer Gladbach ist. Der Klub, von dem 1973 Günter Netzer zu den Königlichen kam. Und der Klub, der Real 1985 arg besiegte: Mit 5:1, indes im Düsseldorfer Rheinstadion (auch Reals 4:0 im Rückspiel ist bis heute ein Mythos für die Madrilenen).

All das ist indes lange her, wie so vieles bei Borussia. Lange Jahre gab es dann auch nur den Blick zurück und die Sehnsucht. Doch seit Februar 2011, seit Eberl den Schweizer Lucien Favre holte, gibt es wieder eine schöne neue Gegenwart. In der passierte nun Historisches: Nie zuvor spielte Gladbach in der Champions League mit. Jetzt ist Borussia dabei. Sportlich gab es schon viele größere Erfolge in der Vereinsgeschichte, doch wirtschaftlich ist es der größte Erfolg der 115-jährigen Klubgeschichte. "Ich denke, dieser Erfolg ist genau so hoch einzuschätzen wie der Pokalsieg von 1995. Damals hat Borussia zwar einen Titel gewonnen, ist danach aber in eine schwere wirtschaftliche Schieflage geraten und abgestiegen. Die Teilnahme an der Champions League mit den damit verbundenen Einnahmemöglichkeiten bietet nun die Chance, die Entwicklung der letzten Jahre zu stabilisieren", sagt Borussias Mediensprecher Markus Aretz.

Borussia ist sich dabei selbst treu geblieben. Wie so oft hat sie zu einem runden oder halbrunden Jubiläum etwas "Großes geschaffen", wie Max Eberl nach dem 2:0 in Bremen sagte. 1920, zum 20. Geburtstag, wurde Borussia erstmals westdeutscher Meister, 1950 schaffte sie den ersten Aufstieg in die Oberliga, 1960 gab es den ersten Pokalsieg, 1965 den Aufstieg in die Bundesliga, fünf Jahre später die erste Deutsche Meisterschaft, 1975 den ersten Uefa-Cup-Triumph, 1995 den bislang letzten Titelgewinn. 2015 steht erneut ein Debüt an: das in der Champions League.

"Die Europa League war sehr gut, aber die Champions League ist eine ganz andere Dimension", weiß Hans-Wilhelm Reiners. Die Liga der Meister ist das aufsehenerregendste Produkt des europäischen Fußballverbandes Uefa, die ganze Welt schaut darauf. Und somit auch auf Mönchengladbach. Sogar im fernen China. Dort, in Kanton, lebt der gebürtige Gladbacher Ron Jansen - und hat festgestellt, dass Borussia schon jetzt zu den deutschen Klubs zählt, die von großem Interesse sind. "Wo ich vor Jahren auf die Frage nach meiner Heimatstadt mit Köln antwortete, antworte ich heute mit Menxing, das ist die chinesische Kurzform für Mönchengladbach. Und die Leute kennen es", schrieb Jansen per Mail. "Die chinesischen Reporter schwärmen von unserem Spiel, insbesondere von Favre, Xhaka, Raffael. Am meisten sind sie aber von Herrmann und seinem rasanten Antritt begeistert", notierte Jansen. All das, vermutet er, "wird in der nächsten Saison mit der Champions League noch besser".

Hans-Wilhelm Reiners freut es, wenn seine Stadt derart wahrgenommen wird. "Borussia hat wieder ein Team, das den Namen der Stadt nach Europa und in die Welt hinaus trägt", sagt er. Für ihn ist das Thema Fußball ein gern genommenes Entrée für den Smalltalk auf Reisen. "Dann ist die Chemie sofort positiv", sagt Reiners. Tatsächlich gehört Borussia laut Studien zu den beliebtesten Fußballvereinen Deutschlands. Die Werte, die Favres Team besetzt, sind "jung, dynamisch, erfolgreich". All das macht sexy. Dass der Aufschwung der Borussen auf den Werten der Gladbacher Vergangenheit fußt, kommt hinzu: Borussia hat viele Jahre nach einer echten Identität gesucht. Immer wieder wechselten das Personal und die Ansätze - das war der falsche Weg. Jetzt setzt der Klub auf Konstanz und Bescheidenheit, auf den Erfolg der kleinen Schritte. Das war schon einmal ein Erfolgsrezept am Niederrhein.

Die Zeiten sind andere als in den 70ern. Gleichwohl gibt es Parallelen. Wie damals ist Gladbach in den absoluten Höhenlagen der Tabelle der finanzielle Underdog. Bayern, Dortmund, Wolfsburg, Schalke, Leverkusen, das sind die natürlichen Besetzer der oberen Plätze, sie alle haben viel größere finanzielle Mittel. Doch Borussia hat sich reingedrängt in die "Phalanx" (Max Eberl) und gezeigt, dass ein funktionierendes Kollektiv und eine gewiefte Einkaufspolitik ebenso Tore schießen können wie Geld. Es ist gefühlt wie früher: Borussia ist das gallische Dorf, das sich den Großen widersetzt - mit einem Trainer (damals Weisweiler, nun Favre) der eine gute Idee vom Fußball hat, und mit jungen, hungrigen Spielern (Fohlenphilosophie). Die aktuelle Borussia ist keine Kopie der früheren, sie ist eine Übersetzung in die Moderne.

Lange waren Pflichtspiele gegen die namhaften Klubs weit weg. Borussia musste beispielsweise den FC Valencia (2008), den FC Liverpool (2010) oder den FC Sevilla (2012) zur Saisoneröffnung einladen, um gegen internationale Größen zu spielen. Jetzt führt sie der Spielplan nach MG: FC Barcelona, Juventus Turin, FC Chelsea, Paris Saint-Germain, Real Madrid - sie könnten, so das Los will, in der nächsten Saison im Borussia-Park vorstellig werden. Und mit ihnen Spieler wie Messi, Ronaldo oder Ibrahimovic. Das alles hat einen wunderbaren Klang.

"Ich glaube, wir alle dürfen uns sehr freuen. Man muss dann sehen, ob sich Borussia dauerhaft in diesen Sphären etablieren kann", sagt Hans-Wilhelm Reiners. Doch fürs Erste ist sie dabei im Reigen der Großen. Und damit auch Mönchengladbach. Reiners verspürt "eine Aufbruchstimmung" in seiner Stadt. Passend dazu sangen Borussias Fans in Bremen: "Auf, auf, auf in die Champions League."

(RP)
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