Eberls Kritik polarisiert Darf man die eigene Mannschaft auspfeifen?

Düsseldorf · Der Mönchengladbacher Sportdirektor Max Eberl hat nach dem Sieg über den Hamburger SV einige Borussia-Fans als "Arschlöcher" beschimpft. Diese hatten in einer schwierigen Phase des Spiels gepfiffen. Wie weit darf Kritik an den Fans gehen? Wir haben ein Pro und Contra zusammengetragen.

Max Eberl, der Mönchengladbacher Sportdirektor.

Max Eberl, der Mönchengladbacher Sportdirektor.

Foto: Dieter Wiechmann

Pro von Gianni Costa

Vermutlich wird es bald deutlich schwieriger, an Karten für Heimspiele von Borussia Mönchengladbach zu kommen. Wer ein Ticket erwerben möchte, der muss zunächst den Lucien-Favre-Gedächtnis-Taktikfragebogen mit weniger als drei Fehlern bestehen, ansonsten muss man leider, leider draußen bleiben. Denn: Wer kann schon zahlende Kunden gebrauchen, die eine eigene Meinung haben und die auch noch durch Pfiffe kundtun? Es hat sich als untauglich erwiesen, ganze Sätze zur Untermauerung der eigenen Thesen in Richtung Rasen zu brüllen? Und was macht man mit solchen Zeitgenossen, die vermutlich auch in anderen Situationen nicht entspannt durchs Leben wandern?

In modernen Fußballstadien versammeln sich heutzutage ganze Städte. 40.000 Zuschauer und mehr. Es ist ein Sammelbecken der Gesellschaft. Fans mit den unterschiedlichsten Hintergründen, ein paar Nachdenkliche, ein paar Spaßvögel, ein paar Überdrehte, ein paar Schreihälse. Es gibt immer mal Versuche, Stadien als einen Ort darzustellen, in dem es möglich sei, wirklich alle unter einen Hut zu bekommen. Aber selbst bei einem Sieg der Heimmanschaft ist es immer wieder ein erstaunliches Schauspiel, dass sich immer noch ein paar Kritiker finden, die doch etwas zu mosern haben. Und das ist auch völlig in Ordnung so.

Esist ein Phänomen, wer im Stadion für sich alles die Deutungshoheit reklamiert. Die Wahrheit: Jeder hat das Recht, seine Meinung kundzutun. Und dazu gehört es auch, zu pfeifen, wenn einem danach ist. Es ist mit ekliger Arroganz behaftet, mit dem Finger auf andere zu zeigen und zu sagen, jemand anders habe sich nicht das Recht erworben, seinen Unmut zu äußern. Der Fußball hat sich die Ungeduldigen herangezüchtet. Fans, die nicht das Große und Ganze sehen, die nicht ins Urteil mit einfließen lassen, wie erfahren ein Spieler ist. Fans, die mit Blick auf ihr 50-Euro-Ticket die Erwartung verbinden, immer und in jeder Phase ein Feuerwerk an Unterhaltung geboten zu bekommen.

Es ist natürlich legitim, wenn man für diese Haltung kritisiert wird. Dabei sollten aber die gängigen Regeln des Miteinanders nicht zu sehr unterschritten werden. Max Eberl, von Emotionen getrieben, hat sich vergaloppiert. Es war das Mindeste, sich zeitnah zu entschuldigen. Das hat er getan — und damit sollte es dann auch gut sein.

Contra von Jannik Sorgatz

Matthias Brandt ist bekannter für seine Rolle als Hanns von Meuffels im "Polizeiruf 110" als für seine Einlassungen zum Thema Fußball. Doch von dem Schauspieler, selbst Mitglied bei Werder Bremen, stammt ein Satz, der in einem Grundgesetz für Fans die Präambel bilden könnte. "Fan sein meint: Liebe, die immer hofft und nichts erwartet", sagt Brandt und schiebt die Frage hinterher, in welchem Lebensbereich es diese bedingungslose Zuneigung sonst noch gebe. Nicht umsonst sind sowohl in der Theologie als auch in der Sportwissenschaft Doktorarbeiten über die Parallelen von Religion und Fußball verfasst worden.

Mit einem beachtlichen Eifer diskutieren Fans von Borussia Mönchengladbach die Frage, ob Stadionbesucher ihre eigene Mannschaft auspfeifen dürfen. Dass es "nie" akzeptabel sei, sagen in einer Umfrage auf RP Online 24 Prozent, "höchstens nach dem Abpfiff" meinen 42 Prozent und "auch während des Spiels" 34 Prozent. Sportdirektor Max Eberl bat gestern zwar um Entschuldigung für seine beleidigenden Worte, betonte aber, von seiner generellen Kritik keinen Zentimeter abzurücken. An den Pfiffen ist wieder einmal die Diskussion "Guter Fan, schlechter Fan" entbrannt. Eberl bezeichnete seine Adressaten bewusst sogar nur als "Zuschauer".

Der Ärger über diese Art der Unmutsbekundung hat nichts damit zu tun, Kritiker mundtot machen zu wollen. Es geht darum, dass Spieler immer wieder betonen, wie sehr Pfiffe verunsichern. Sie sind während eines Spiels kontraproduktiv, respektlos gegenüber den Sportlern. Zum anderen geben sie den Pfeifenden allein aus akustischen Gründen eine überproportional große Plattform. "Supporter" ist ein Synonym für Fan. Wer pfeift, ist kein Unterstützer.

In den 80er Jahren besuchten im Schnitt weniger als 20.000 Menschen ein Bundesligaspiel, erst Ende der 90er wurden es mehr als 30.000, aktuell steuern die Vereine mit knapp 45.000 auf einen neuen Rekord zu. Die Zusammensetzung des Publikums hat sich gewandelt, spätestens seit der WM 2006 gibt es die Event-Fans. In den allgemeinen Geschäftsbedingungen werden keine Siege garantiert. Der Fußball ist eine Inszenierung wie auf der Theaterbühne, aber das Duell zweier Mannschaften macht den Sport einzigartig. Wer pfeift, der hofft nicht mehr im Brandt'schen Sinne, sondern kann wegen übersteigerter Erwartungen nur enttäuscht werden.

(RP)
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