Borussia Mönchengladbach Ein psychologisch wertvolles Tor

Mönchengladbach · In Hamburg verpassten die Borussen einen "Big Point", doch das späte 1:1 von Branimir Hrgota war "wichtig", wie Lucien Favre sagt. Der Sportpsychologe Werner Mickler sieht mit Blick auf die notwendige Aufholjagd gegen Sevilla mehrere Effekte.

 Glücksmoment 2: Jürgen Wittkamp erzielt am 20. April 1977 in der 82. Minute des Halbfinal-Rückspiels im Landesmeister-Wettbewerb das 2:0 gegen Kiew. Nach dem 0:1 im Hinspiel kam Gladbach ins Endspiel.

Glücksmoment 2: Jürgen Wittkamp erzielt am 20. April 1977 in der 82. Minute des Halbfinal-Rückspiels im Landesmeister-Wettbewerb das 2:0 gegen Kiew. Nach dem 0:1 im Hinspiel kam Gladbach ins Endspiel.

Foto: Horstmüller

Branimir Hrgota fasste sich an die Stirn. Borussias schwedischer Stürmer konnte es kaum fassen. Ja, er hatte mit dem Kopf ein Tor erzielt. Mit einem prächtigen Kopfstoß aus elf Metern. Eigentlich ist Hrgota in dieser Disziplin nicht so bewandert, er kann es weitaus besser mit dem Fuß. Es war Borussias zweites Kopfballtor im Anschluss an eine Standardsituation in Folge. Gegen Köln traf Granit Xhaka nach Thorgan Hazards Freistoßflanke, nun Hrgota nach dem Eckball von Max Kruse. Tore nach Standards - das war lange ein Segment, in dem Borussia wenig zu bieten hatte.

Borussias Trainer Lucien Favre, der stets darauf hinweist, man dürfe Hrgota nicht vergessen (was die Hamburger Abwehrspieler offenbar nicht mitbekommen haben, hatte Hrgota doch alle Freiheiten bei seiner Aktion), war schier begeistert ob des späten Punktgewinns. "Das war enorm wichtig für uns. Für Donnerstag. Für Sonntag. Für die Zukunft", gab der Trainer bekannt.

Donnerstag kommt der FC Sevilla zum Zwischenrunden-Rückspiel in der Europa League, es gilt die 0:1-Niederlage wettzumachen. Sonntag kommt der SC Paderborn in den Borussia-Park, da will Borussia drei Punkte einsammeln für das Rennen um das internationale Geschäft - in dem sie auch in der näheren Zukunft dabei sein will. Ein Sieg in Hamburg hätte den Vorsprung auf die Konkurrenz, die ebenfalls nicht siegte, vergrößert. Das 1:1 jedoch verhinderte immerhin, dass die Gladbacher ihren Zwei-Punkte-Vorsprung einbüßten. Sie haben nichts gewonnen - aber eben auch nichts verloren.

"Es war für die Borussen sicherlich ein psychologisch wertvolles Tor", sagt der Kölner Sportpsychologe Werner Mickler. Und das in dreierlei Hinsicht. "Zum einen haben sich die Gladbacher für die Anstrengung in letzter Minute belohnt, zum Zweiten haben sie gemerkt, dass man gegen die Ermüdung nach dem Europapokalspiel angehen kann, das gibt noch mal extra Selbstvertrauen, und zum Dritten wissen sie nun, dass man sich gegen eine Niederlage erfolgreich wehren kann. Diese Aspekte sind für das Europapokalspiel am Donnerstag wichtig", sagt Mickler.

Rainer Bonhof, Borussias Vize-Präsident, sieht es ähnlich. "Die Mannschaft hat die Willenskraft gezeigt, nicht mit der Niederlage leben zu wollen. Das zeigt, dass Moral im Team ist - und die brauchen wir am Donnerstag", sagt der Weltmeister von 1974. Trotz des nicht gewonnenen Spiels sah Bonhof in Hamburg "Siegermentalität" bei den Borussen, "und das macht mir Mut für das Sevilla-Spiel". Die Aufgabe ist groß. Das 0:1, das aus Andalusien mitgebracht wurde, "klingt auf dem Reißbrett gut, ist aber ein schwieriges Ergebnis", weiß Bonhof aus gelebter Erfahrung.

Borussia Mönchengladbach: Patrick Herrmann trifft in Hamburg den Pfosten
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Herrmann trifft in Hamburg den Pfosten

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1977, im Landesmeisterwettbewerb, verlor die damalige Gladbacher Mannschaft, zu der Bonhof gehörte, im Halbfinale 0:1 bei Dynamo Kiew. Im Rückspiel erzielte Bonhof recht früh per Elfmeter das 1:0, sozusagen den Ausgleich also. "Dann mussten wir geduldig sein", erinnert er sich. Bis zur 82. Minute. Dann traf Jürgen Wittkamp mit einem spektakulären Flugkopfball zum 2:0 - Borussia stand im Finale.

Überhaupt könnte es sich in der Vorbereitung des Sevilla-Spiels für Lucien Favre lohnen, die Geschichte zu bemühen. Denn es gibt zwei Statistiken, die mental aufbauen können. Die eine besagt, dass Borussia bislang immer weiterkam, wenn das internationale Auswärtshinspiel 0:1 verloren ging. Schon in der ersten Runde der Europapokal-Saison 1976/77 gelang das durch ein 3:0 gegen Austria Wien, und später dann gegen Kiew. Zudem: Seit 1974 ist Borussia nach einer Auswärtsniederlage im Hinspiel nicht mehr gescheitert. In seither sechs Fällen nutzte sie das Rückspiel, um sich für die nächste Runde zu qualifizieren.

Das Spiel in Hamburg war die Generalprobe für Sevilla. Der Gegner verlor die seine nach einer 3:2-Führung noch 3:4 in San Sebastian. Borussia kam hingegen nach einem Rückstand zurück. Vorteil Gladbach, psychologisch zumindest. Den erhofften "Big Point", gab es an der Elbe aber nicht, und die Gladbacher wissen, dass das am Donnerstag anders werden muss, da sonst das Europapokal-Abenteuer vorbei ist. Doch sie haben gezeigt, dass sie bereit sind für eine Aufholjagd.

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Hamburg - Borussia

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Die darf nicht allzu ungestüm ausfallen, sondern muss kontrolliert sein. "Wir müssen die Ruhe bewahren, ohne aber die Torbesessenheit außer Acht zu lassen", sagt Bonhof. "Wir haben in Hamburg für Sevilla geübt. Wir haben Willensstärke und Moral gezeigt - und wir sind heimstark. All das wird uns gegen Sevilla helfen", hofft Bonhof. Gegen den Titelverteidiger braucht es indes definitiv mehr als ein Tor (so die Borussen den Nervenkitzel eines Elfmeterschießens umgehen wollen). So sollten die Borussen ihre aktuelle Torschuss-Panik ablegen. Zu oft fassen sie sich nach verpassten Chancen fassungslos an den Kopf. Wie es anders geht, machte Branimir Hrgota in Hamburg vor.

(RP)
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