Borussia Mönchengladbach Traurige Teilzeit-Tabellen und eine Saison wie ein Freizeitpark

Mönchengladbach/Hannover · Vor dem Sieg gegen den FC Bayern hat die Borussia unter André Schubert neun Spiele gewonnen, seitdem nur noch sechs. Es war der Nikolaustag 2015. Spätestens seit Freitag ist die Rückrunden-Bilanz nur noch Mittelmaß.

Borussia Mönchengladbach: Längste Serien ohne Auswärtssieg
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Borussias längste Serien ohne Auswärtssieg

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Foto: dpa/Robert Michael

1. Neunmal war's schlimmer 10. April 2004 bis 25. September 2005 — 22 Spiele oder auch 533 Tage lagen damals zwischen Gladbachs Auswärtssiegen bei Hansa Rostock und Arminia Bielefeld. Drei Trainer mischten mit in der Misere, Dick Advocaat hat mit der Borussia so viele Spiele in der Fremde gewonnen wie eine Parkbank, ein Plüschteddy — und Ewald Lienen. Nämlich keines. Es war also schon mal schlimmer, nur ist diese Haltung nicht zielführend, wenn es um die aktuelle Auswärtsschwäche der Borussia geht. Neun Spiele und mindestens 182 Tage — neunmal war's zwar schlimmer, alerdings nie für eine Gladbacher Mannschaft mit ernsthaften Europapokal-Ambitionen. Die bislang letzte derart lange Serie fand 2010 übrigens mit einer 1:6-Niederlage in Hannover ihren Tiefpunkt.

2. Schubert-nach-dem-Bayern-Sieg-Tabelle Die Borussia wird den dritten Platz in der Schubert-Tabelle aufgrund der besseren Tordifferenz auch nach dem 30. Spieltag belegen. Kramny-Tabellen und Nagelsmann-Tabellen sind in dieser Saison ebenfalls schon aufgetaucht. Alles natürlich selektiver Tabellen-Populismus, Tony Jantschke bat nach der Niederlage in Ingolstadt indirekt um die Abschaffung der Schubert-Tabelle: "Klar darf man den Fehlstart nicht ganz außer Acht lassen, aber der ist ja jetzt auch weg. Wenn du einmal oben bist, sagst du ja nicht, der Start war nicht okay, dann reicht auch ein Mittelfeldplatz." So einen Mittelfeldplatz belegt die Borussia in der Schubert-nach-dem-Sieg-gegen-Bayern-Tabelle: 15 Spiele, sechs Siege, ein Unentschieden, acht Niederlagen, 19 Punkte, dazu Aus im Europapokal, Aus im DFB-Pokal. Jede Teilzeit-Tabelle transportiert ihre Botschaft — zum Beispiel die, dass sich aus Borussia-Sicht, bis auf die Heim-Tabelle, momentan kaum eine Tabelle findet, die Mut macht.

3. Umgedrehtes Credo "Aus den Chancen, die wir haben, mehr machen. Und aus den wenigen, die wir dem Gegner zugestehen, möglichst kein Tor zulassen." Nicht Hannovers Interimstrainer Daniel Stendel hat vor dem Spiel bei "Sky" die ehrenwerte Marschroute vorgegeben, sondern André Schubert. Das Ingolstadt-Spiel blieb dabei außen vor. Schon in der Vorwoche hatte die Borussia wieder mehr zugelassen und war kaum gefährlich vor dem Tor aufgetaucht. 12:8 Torschüsse und 2:0 Tore aus Hannover-Sicht bedeuteten am Ende: Ein Tor mehr als gegen Ingolstadt zugelassen und vorne aus noch weniger Chancen noch weniger gemacht.

4. Schlecht positioniert Tony Jantschke hätte wohl von Beginn an gespielt in Hannover, wenn er sich am Donnerstag im Training nicht die nächste Muskelverletzung in dieser an Muskelverletzungen reichen Borussia-Saison zugezogen hätte. "Wir mussten viel umstellen, das ist momentan nicht ganz so einfach", nannte Schubert später einen Grund für den enttäuschenden Auftritt. "Deswegen haben wir keine gute Positionierung auf dem Feld gehabt." Tatsächlich ist es nach wie vor ein Rätsel, welche Rolle in einem sehr variablen 3,75-4,5-1,75 zum Beispiel Fabian Johnson einnehmen sollte. Bisweilen hatte es den Anschein, als sei es ein System mit zu vielen Nachkommastellen gewesen.

5. Smells Like Teen Spirit Mo Dahoud ist in den vergangenen Wochen einer der Spieler mit den beständigsten Aufgabenbereichen. Er mimt stets den offensiven Sechser (auch Achter genannt) mit integriertem Rücken-Freihalter. Als Dahoud vor dem 0:1 den Ball verlor — unglücklicherweise im Zweikampf mit dem Schiedsrichter — eilten Andreas Christensen und Oscar Wendt zu Hilfe, konnten Noah-Joel Sarenren-Bazee aber nicht stoppen, so dass Dahouds verlorenes Joggingduell mit Torschütze Waldemar Anton gnadenlos entblößt wurde. "So etwas passiert jungen Spielern eben", hatte Schubert vorab über eine Szene aus dem Schalke-Spiel gesagt und es stellvertretend gemeint. Dem kann nur schwer widersprochen werden, aber: Düpiert wurde Gladbach beim ersten Tor von zwei 19-Jährigen.

6. "Eldest Statesman" Granit Xhaka ist in den vergangenen Wochen dafür gelobt worden, seine Sechserposition als eine Art "Elder Statesman" zu interpretieren. Lässt man dabei außen vor, dass ein fußballerischer "Elder Statesman" genau wie ein politischer seine aktive Karriere beendet haben müsste, soll das heißen, dass Xhaka sich nur noch dosiert in den Vordergrund drängt und wenn, dann äußerst effektiv. In Martin Stranzl kehrte am Freitag Borussias "Eldest Statesman" in die Startelf zurück. Seine ersten sechs Zweikämpfe gewann der Österreicher und ging mit einer Quote von 71 Prozent nach Hause. Was sonst noch blieb, war die unschöne Analogie, dass es mit Stranzl von Beginn an wie im September gegen Hamburg ein äußerst misslungener Freitagabend wurde. Immerhin gesundheitlich endete er deutlich besser.

7. Kaum Impulse von der Bank Sechs Jokertore haben Borussen in dieser Saison erzielt, fünf davon waren eher Beschäftigungs-Therapie für den Videowand-Beauftragten bzw. Tordifferenz-Verbesserer: André Hahn zum 4:1 und 5:1 in Frankfurt, Patrick Herrmann zum 3:0 gegen Stuttgart, Herrmann und Ibrahima Traoré zum 3:0 und 5:0 gegen Hertha. Nur Havard Nordtveits 1:0 gegen Wolfsburg in der Hinrunde war so richtig wichtig. Von der Bank kommen auswärts zu selten wichtige Impulse, zu Hause würde der Vorwurf sowieso ins Leere laufen. Am Freitag reagierte Schubert früh und doppelt nach dem 0:1. Bevor sich alles geordnet hatte, stand es 0:2.

8. Nicht nur eine Achterbahn Warum die Borussia nach Europa gehört? Europa selbst lieferte unter der Woche scheinbar ein paar Antworten. Einen Champions-League-Halbfinalisten hat Gladbach diese Saison besiegt, gegen einen anderen 49 Minuten lang geführt und einen Europa-League-Halbfinalisten (und Titelverteidiger) ebenfalls geschlagen. Doch dann setzte es eine Niederlage beim Tabellenletzten der Bundesliga, der nur dank dieser drei Punkte nicht jetzt schon abgestiegen ist. Diese Saison ist mitterweile ein ganzer Freizeitpark voller Achterbahnen.

9. Gucken und hoffen Ein weiteres Fahrgeschäft darin ist die Ansetzung der Spieltage 30 und 31: Der Freitag-Sonntag-Rhythmus sorgt dafür, dass sich die Borussia gleich zwei Spiele der Konkurrenz anschauen muss, ohne selbst in der Zwischenzeit einmal einzugreifen. Die Befürchtungen, Hoffenheim in einer Woche punktgleich mit Wolfsburg und Ingolstadt zu empfangen, können bereits ad acta gelegt werden. Beide haben genauso verloren wie Berlin (in Hoffenheim), nur Leverkusen hat gewonnen und seine Siegesserie fortgesetzt. Der dritte Platz ist angesichts der sechs Punkte Rückstand auf Bayer jetzt wohl weg. Alles andere wäre ein sehr spektakuläres Fahrgeschäft im Freizeitpark.

10. 2,8 im Minus Das Schwarmwissen war am 30. Spieltag kein guter Berater. 91 Prozent unserer User hatten im Endspurt-Rechner einen Sieg bei Hannover 96 prophezeit, aus den durchschnittlich erwarteten 2,8 Punkten wurden null. Bis kommende Woche sollte auch hier die Treffsicherheit zunehmen: 90 Prozent glauben an einen Sieg gegen die TSG Hoffenheim. Oder vielmehr "glaubten"?

(jaso)
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