Borussia Mönchengladbach "Fohlen" in der Achterbahn und Dimensionen der Dominanz

Mönchengladbach · Borussia Mönchengladbach hat beim FC Schalke ein Auswärtsspiel abgeliefert, das sich in der Rangliste der vergangenen Jahre weit vorne hätte einreihen können. Doch anderthalb Eigentore und eine sagenhafte Abschlussschwäche standen im Weg. Das war's auch schon.

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Foto: dpa, gki gfh

1. Auswärts zu Hause Raffael, Lars Stindl und Thorgan Hazard hätten das Spiel auf Schalke alleine entscheiden können. Sie hätten sich sogar nur auf einen von ihnen einigen müssen, der das erledigt. Gladbachs Neuneinhalber-Trio kam 16-mal zum Abschluss. Sechs weitere Versuche sorgten dafür, dass die Borussia ihr Gastspiel mit 22 Torschüssen beendete. Derart viele in einem Bundesliga-Auswärtsspiel waren es zuletzt vor fast vier Jahren, im April 2012 bei Werder Bremen. Damals gaben Juan Arango, Marco Reus und Mike Hanke jeweils fünf Schüsse ab, 25 hatte Gladbach insgesamt und die Abstimmung funktionierte etwas besser — Hanke traf doppelt beim 2:2.

2. Standortnachteile Wenn eine Mannschaft auf fremdem Platz derart dominiert und neben den 22 Torschüssen noch 64 Prozent Ballbesitz vorweisen kann, dann ist es eher unangebracht, anschließend Auswärtsdeppen-T-Shirts aus der schlimmen Zeit vor gut zehn Jahren aufzubügeln. In zwei erheblichen Punkten unterschied sich die Partie am Freitag natürlich von den erfolgreichen Heimspielen der vergangenen Wochen: Sie fand in der Veltins-Arena statt und sie ging verloren. Am Resultat lässt sich noch arbeiten, abfinden muss sich die Borussia mit dem Audi-Sportpark (Ingolstadt), der HDI-Arena (Hannover), der Allianz-Arena (München) und dem Stadion am Böllenfalltor (Darmstadt).

3. Entschlossen zum Award Christoph Kramer gehört die erste Seite der Google-Funde zum Stichwort "Eigentor des Jahres" fast alleine. 2014/2015 ging dieser Award bereits nach Gladbach, für 2015/2016 haben Havard Nordtveit und Martin Hinteregger nun eine überzeugende Bewerbung abgegeben. Schränkt man die Suche ein, tauchen nur ein Wind-Eigentor aus Englands 7. Liga und eines aus der Partie SpVgg Greuther Fürth II gegen Wacker Burghausen mehrmals auf — nett, Tom Trybull (zum Video), aber ein unfreiwilliger Doppelpass vor dem eigenen Kasten hat doch noch mehr zu bieten.

4. Fangen verhindert Man fühlt sich dabei ein wenig wie Waldemar Hartmann im "Doppelpass", der sich über alles beklagt, was im modernen Fußball nach der Jahrtausendwende aufgekommen ist. Aber dieses Unschuld propagierende Hände-hinter-den-Rücken irritiert schon seit geraumer Zeit. Immerhin stand Granit Xhaka im Strafraum, als Leon Goretzka abzog, lieber eine fragwürdige Maßnahme zur Elfmeter- als eine völlig unnötige zur Freistoßverhinderung. Allerdings wäre es doch besser gewesen, den Schalker zu stören. Wobei diese Lösung immer noch weniger aussichtsreich gewesen wäre als eine andere: Wenn Goretzka freie Bahn gehabt hätte, hätte Yann Sommer seinen schwachen Schuss einfach fangen können.

5. Unsichtbare Eins als Matchwinner 4-3-3, 4-2-3-1, 5-4-1, "Tannenbaum" — Schalke bot fast alle Systeme auf, bei dem die Zahlen zusammen zehn ergeben, "Tannenbaum" hat immerhin zehn Buchstaben. Auf diese Vielfalt verwies Trainer André Breitenreiter nicht ungern. Allerdings war jedes neues System nur ein wichtiges Indiz dafür, dass das alte nicht funktionierte. Die entscheidende Rolle spielte ein Mann, der bei der Verteilung der Spieler nie erwähnt wird — der Torhüter, die unsichtbare Eins vor all den teils kryptischen Zahlenkombinationen. Ralf Fährmann wehrte sieben Torschüsse ab und er war sogar an der häufigsten Passfolge im Schalker Spiel beteiligt:

6. Hoffnung aus Palma Wer seit 2014 kein Gladbach-Spiel gesehen hat, den würde man gerne das 0:1 gegen Schalke aus dem Februar 2015 und die 1:2-Niederlage aus dem März 2016 gucken lassen. Direkt nacheinander. Vor gut einem Jahr hatte die Borussia in der Veltins-Arena sogar 69 Prozent Ballbesitz, brachte aber nur acht Torschüsse zustande, davon lediglich einen auf den Kasten, den damals ein gewisser Timon Wellenreuther hütete. Wahrscheinlich hätte es am Freitag genügt, den Keeper aus Palma de Mallorca, wo er jetzt spielt, einfliegen zu lassen, um Schalke zu demoralisiert ins Bett zu schicken.

7. "Mensch ärgere dich nicht" "Sky"-Kommentator Marcel Reif befand Ende der ersten Hälfte, dass beide Mannschaften angesichts ihrer Champions-League-Ambitionen zu wenig anboten. Dann konnte er sich nach dem Ausgleich der Borussia nicht zu der Analyse herablassen, dass dieser hochverdient war. Wer das Spiel bei Twitter verfolgte, wurde dagegen angemessen unterhalten:

8. Premiere für den "lieben Mo" Seine Schweigsamkeit sorgt dafür, dass es schon eine Nachricht ist, wenn Mo Dahoud überhaupt spricht. Der Pay-TV-Sender "Sky" trägt ab und an etwas dick auf, in der Vorberichterstattung am Freitag durfte er dennoch zurecht behaupten, das erste Interview mit dem 20-Jährigen im deutschen Fernsehen zu senden. "Ein herzensfröhlicher Mensch", sei er, sagte Dahoud. "Oder? Ist das richtiges Deutsch?" Martin Stranzl meinte: "Dieses Jahr sind wir ein bisschen härter und schärfer mit ihm umgegangen." Was Dahoud so präzisierte: "Martin hat mich mal zur Seite genommen und mir ein paar Tipps gegeben, dass ich mich auch durchsetze und nicht nur der liebe Mo bin." Auf Schalke spielte "der liebe Mo" sehr ordentlich, passsicher wie fast immer, mit einem halbwegs geglückten "Zidane-Trick" und nur von der Latte an seinem fünften Saisontor gehindert.

9. Ergebnis gegen Hertha schon klar? In eine echte Krise ist die Borussia unter André Schubert nie gerutscht. Mitte Dezember verlor sie binnen einer Woche 2:4 in der Champions League gegen Manchester City, 0:5 in der Bundesliga und 3:4 gegen Werder Bremen im DFB-Pokal. Nach der Winterpause gab es dann ein 1:3 gegen Borussia Dortmund und ein 0:1 gegen Mainz 05. Doch diese Spielen unterschieden sich schon wieder von den auch kräftemäßig bedingten Auflösungserscheinungen kurz vor Weihnachten, zusammengefasst wurden sie trotzdem manchmal. Auf jeden Fall sitzt Gladbach seitdem in der Achterbahn, die alle zwei Spiele einen Heimsieg bringt und dazwischen stets eine Auswärts-Enttäuschung.

10. Wahnsinns-Saison Man kann darüber streiten, ob eine emotionale Rechnung dasselbe Ergebnis bringen würde wie eine nüchterne Zahlenrechnung. Nach zehn Hinrundenspielen hatte die Borussia 15 Punkte auf dem Konto, nach zehn Rückrundenspielen sind es 13. Sprich, die große Tristesse samt Favre-Rücktritt und die Siegesserie unter Interimstrainer Schubert waren ertragreicher als die vergangenen zwei Monate ohne Mehrfachbelastung. Diese Saison ist der Wahnsinn — das Spiel am Freitag war ein weiteres Argument für diese These.

(jaso)
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