Borussia Mönchengladbach Der King vom Bökelberg

Mönchengladbach · Günter Netzer war der erste Popstar des deutschen Fußballs. Am Sonntag feiert er seinen 70. Geburtstag.

 Schon in den 70ern eine Ikone: Günter Netzer.

Schon in den 70ern eine Ikone: Günter Netzer.

Foto: dpa

Er war wahrscheinlich der erste richtige Fußballstar in diesem Land. Einer, der in den bunten Illustrierten ebenso vorkam wie im "Kicker". Einer, dessen Spiel die Feindenker in den Kulturteilen der Zeitungen zu ausgiebigen Betrachtungen trieb, der mit seinen langen Haaren für einen fortschrittlichen Zeitgeist stand und der Fußball und zeitgenössische Mode miteinander zu versöhnen schien. "Er hat dafür gesorgt, dass der Fußball ein Teil der Gesellschaft wurde", sagt der ehemalige Nationalmannschafts-Kollege Paul Breitner. Das alles gelang Günter Netzer auch noch im beschaulichen Mönchengladbach, das bis heute noch niemand mit einer Weltstadt verwechselt hat.

Am Sonntag wird er 70 Jahre alt. "Das ist eine Zahl, die schon in eine Richtung weist", sagt Netzer. Eine Gelegenheit, sich ausgiebig mit dem eigenen Lebenswerk zu beschäftigen, ist sie für ihn nicht. "Ich schau nicht so viel in die Vergangenheit", beteuert er. Das nehmen ihm andere natürlich ab. Sie erinnern sich an den Kapitän der legendären Mönchengladbacher Fohlen, die mit ihrem rasanten Konterfußball die Bundesliga stürmten und sich in den 70ern Meisterschaftsduelle mit den Bayern lieferten. Sie sehen ihn mit wehender Mähne aus der Tiefe des Raumes über den Platz fliegen, seine Pässe, die den Mitspielern Räume schufen, die sie selbst nicht einmal erahnt hatten. Sie blinzeln verzückt mit den Augen, wenn sie von der Nationalelf schwärmen, die 1972 Europameister wurde, in der Netzer mit Franz Beckenbauer den Ton angab, die so frei und unteutonisch spielte wie erst ihre Ahnen 40 Jahre später wieder.

Ihnen wird bewusst, dass er es war, der als Manager den Hamburger SV zu einem Klub internationaler Klasse machte, von der die Hamburger immer noch träumen. Sie rühmen Netzers analytisches Talent als TV-Kritiker an der Seite seines ARD-Partners Gerhard Delling. Sie staunen über sein kaufmännisches Geschick im Handel mit Sportrechten bei der Schweizer Firma Infront. Und sie sehen einen Menschen, der offenbar alles richtig gemacht hat in seinem Leben.

Netzers ungeplante Karriere

Netzer sagt, er habe "dem Fußball alles zu verdanken". Geplant aber habe er diese Karriere nicht. "Alles, was ich gemacht habe, ist mir angetragen worden", hat er mal erklärt. Das betrifft vor allem das Leben nach der aktiven Zeit. Er habe sich nie vorstellen können, Manager zu werden, und auch ins Fernsehen habe er sich nicht gedrängt.

Das kann man ihm glauben. Ein bisschen schwieriger wird es schon, seine Selbsteinschätzung zu teilen, nach der er zumindest mal "ein schüchterner, scheuer Mensch gewesen" sein will. Das hatte sich spätestens erledigt, als er in Mönchengladbach von seinem Trainer Hennes Weisweiler zur Führungsfigur des Teams ernannt wurde. "Er ist der geborene Chef", findet sein einstiger Mitspieler Berti Vogts. Er habe die Rolle des Alphatiers übernommen, "weil ich nur am Erfolg orientiert war", versichert Netzer.

Er quälte sich allerdings allenfalls mit der Last der Verantwortung, für das Rennen und für die Entbehrungen des Trainings brachte er nicht die gleiche Leidensfähigkeit auf wie seine Kollegen. Netzer beanspruchte mit dem nie ausgesprochenen Verweis auf sein großes Können eine Ausnahmestellung. Weisweiler räumte sie knurrend ein, seine Mitspieler wussten, dass sie von Netzers Genie profitierten.

Er konnte es sich deshalb leisten, bei Trainingseinheiten zu fehlen, wenn ihm andere Termine wichtiger waren. Zur Legende sind die Absprachen darüber geworden. Weisweiler schickte Vogts mit der Botschaft zu Netzer: "Sag dem Langen, dass morgen um 10 Uhr Training ist." Netzer schickte Vogts mit der Botschaft zurück: "Sag dem Trainer, dass er das früher bekannt geben soll, ich habe einen geschäftlichen Termin." Der Verein ließ ihn bei seinen Nebengeschäften das Geld verdienen, das er selbst nicht zahlen konnte.

Bildband: "The Beautiful Game" – Fußball in den 70ern
8 Bilder

"The Beautiful Game" – Fußball in den 70ern

8 Bilder

Alle machten die Faust in der Tasche. Nur Netzer nicht. Vogts erinnert sich: "Dann hat er am Samstag wieder ein Tor des Monats erzielt, und dann war er wieder der King." So nannten sie ihn in Mönchengladbach. Und er unterstrich nach außen die Rolle des extravaganten Stars, wenn er zum Training vor einem nach Düsseldorf verlegten Spiel mit dem röhrenden Jaguar-Sportwagen vorfuhr, während die Kollegen brav gemeinsam mit dem Bus anreisten.

Netzer, der Diskotheken-Besitzer

Das freilich war ebenso Teil eines Spiels für die Öffentlichkeit, das Netzer auch zum Selbstschutz betrieb, wie Fotoaufnahmen in seiner kunstvoll schwarz gehaltenen Wohnung und die Tatsache, dass er auf dem Höhepunkt seines Gladbacher Wirkens die Diskothek "Lovers Lane" betrieb. Netzer weiß noch, wie der Trainer das fand. "Weisweiler sagte: Das ist das Ende." Und er muss noch heute darüber lachen wie über einen Streich in längst vergangener Schulzeit. Wenn er lacht, dann arbeitet das ganze Gesicht mit, er zeigt große Zähne und bebt mit dem Körper ein bisschen nach. Das Lachen fängt er immer schnell wieder ein, dann kehrt es in eine betont seriöse, kühle Miene zurück. Wer genau hinschaut, sieht jedoch, wie es noch eine Weile weiter zuckt. Der Spaß reicht tief nach innen.

Dann wird deutlich, dass er oft mit einem sehr ernsten Menschen nur verwechselt worden ist. Mit einem, den die Last der Verantwortung, die nur die Großen im Fußball tragen müssen, auch bei Meisterfeiern erkennbar bedrückte. Der öffentlich nur sehr selten aus sich herausging - am sichtbarsten, als er sich selbst in der Verlängerung des Pokalfinales 1973 gegen den 1. FC Köln einwechselte und die Partie mit dem Treffer zum 2:1 entschieden hatte. Da war der King mal nicht zu halten, den Weisweiler in einer Demonstration seiner Macht und im Ärger über Netzers bevorstehenden Wechsel zu Real Madrid auf die Bank gesetzt hatte. Weisweiler hat sich bei seinen späteren Stationen immer wieder mit den Großen angelegt - mit wechselndem Erfolg. In Barcelona scheiterte er an Johan Cruyff, in Köln sägte er Wolfgang Overath ab und gewann das Double aus Meisterschaft und Pokal.

Netzer versichert noch heute glaubwürdig: "Ich habe immer gewusst, was das Wichtigste ist." Und dazu gehört nicht an erster Stelle der eigene Vorrang in der Fußballwelt. "Auf Günter war immer Verlass", sagt Franz Beckenbauer. Und Vogts betont: "Das Beste am Günter sind seine Ehrlichkeit und dass er immer für einen da ist." Das geht weit über den Fußballplatz hinaus. Aber hier fing es an.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort