Borussia Mönchengladbach Harry Potter gegen Voldemort und eine defensive Delle

Mönchengladbach · Das mit der fehlenden Balance schien der Borussia in die Mannschafts-DNA übergegangen zu sein. Doch dann lässt Gladbach beim 4:0 gegen den VfB Stuttgart so wenig zu wie noch nie unter André Schubert und trifft vorne konsequent. Die "Zehn vom Niederrhein" ist irritiert.

Reaktionen zum 4:0 gegen den VfB Stuttgart
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Foto: dpa, mjh jai

1. Sieben Geschichten, zehn Punkte Borussias Entwicklung seit der Winterpause ist keine konsequent erzählte Story. Klar, manche Motive tauchen regelmäßig auf, aber was hatte dieser Abend gegen den VfB Stuttgart gemein mit dem 1:3 gegen Borussia Dortmund, dem 0:1 gegen den FSV Mainz, dem 2:3 gegen den Hamburger SV, ja selbst mit dem 1:0 gegen den 1. FC Köln und dem 5:1 gegen Werder Bremen? Die Überschneidungen betragen meist unter 50 Prozent, wobei die Messinstrumente, zugegeben, höchst individuell sind. Eine scheinbar lose Geschichtensammlung mit wiederkehrenden Protagonisten fügt sich zusammen zu zehn Rückrundenpunkten aus sieben Spielen. Immerhin das ist einfach zu lesen.

2. Nur eine defensive Delle? Noch vor zweieinhalb Wochen war es völlig legitim, die Diagnose zu stellen, dass die Borussia in unschöner Regelmäßigkeit auseinanderfällt. In Hamburg war es ihr wieder passiert und wenn der FC Augsburg seine Möglichkeiten konsequenter genutzt hätte, wäre Gladbach auch vor vier Tagen auseinandergefallen. Stattdessen ist nun folgende Lesart erlaubt: In den vergangenen sechs Spielen hat die Mannschaft von André Schubert nur sieben Tore kassiert, nachdem es zuvor 18 in fünf Pflichtspielen gewesen waren. In der Bundesliga lässt die Borussia unter Schubert konstant 14 bis 15 Torschüsse zu. Entweder variiert deren Güte oder die Chancenverwertung der Gegner, wie die folgende Zahlen zeigen. War das von Dezember bis Januar nur eine defensive Delle?

  • Augsburg bis Bayern: 14,9 Torschüsse, 11 Gegentore, 13 Schüsse pro Tor
  • Leverkusen bis Dortmund: 13,7 Torschüsse, 10 Gegentore, 4,1 Schüsse pro Tor
  • Mainz bis Stuttgart: 15 Torschüsse, 7 Gegentore, 12,9 Schüsse pro Tor

3. 50 Prozent So wenig wie gegen Stuttgart — nur neun Torschüsse, zwei Chancen — hat die Borussia unter Schubert noch nicht zugelassen. Auch wenn die Statistik manch einem ein Fragezeichen auf die Stirn zaubert, hat Gladbach selbst die beste Chancenverwertung der Liga. Der "Kicker" zählte am Mittwoch acht Chancen, 50 Prozent waren drin. Zur Halbzeit wirkte die Quote nur so schwach, weil der VfL mit der ersten Möglichkeit getroffen hatte und dann erstmal eine Weile nicht vor dem Tor auftauchte. Dann gab es einen Chancen-Dreiklang vor der Pause, der beim Gang in die Kabine das Gefühl erzeugte, die Mannschaft habe viel zu viel liegen gelassen. War ja auch so. Anders als gegen Köln legte sie in der zweiten Halbzeit jedoch nach.

4. Nur noch vier Unstrittig — und man ist froh, dieses Wort mal benutzen können — ist Gladbachs Heimstärke in der Liga. Unter Schubert gab es zu Hause neun Siege, ein Remis und nur die eine Niederlage gegen Dortmund, bei 28:11 Toren. Die schlechte Nachricht aus Borussia-Sicht: Es sind nur noch vier Heimspiele. Die gute Nachricht: Es kommen noch Hertha BSC und Bayer Leverkusen, zwei Konkurrenten, gegen die drei Punkte besonders wertvoll wären.

5. Lauf schlägt Fluch Ein ähnliches Duell hatte es bereits am 5. Februar gegen Werder Bremen gegeben: Der Freitags-Fluch (557 Minuten ohne Tor) traf auf den Karnevals-Lauf (acht Spiele ohne Niederlage) und musste sich geschlagen geben. Nun empfing der Englische-Wochen-Heimspiel-Lauf den Stuttgart-Fluch — und wieder behielt das Gute die Oberhand, wie bei Harry Potter gegen Voldemort. Der sechste Bundesliga-Heimsieg in Folge an einem Dienstag oder Mittwoch brachte den ersten Heimsieg gegen den VfB Stuttgart seit 2005. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass es am Samstag zum VfL Wolfsburg geht, wo Gladbach zuletzt vor mehr als zwölf Jahren gewann. Samstags um 15.30 Uhr hat Gladbach unter Schubert kein Auswärtsspiel verloren — okay, es gab auch nur drei.

6. Das zweite Am Montag haben wir noch festgehalten, dass Thorgan Hazard erst ein Bundesligator erzielt hatte und noch gar kein Pflichtspieltor, wenn er auf der rechten Seite spielte. Bei solchen Statistiken kann Quellentransparenz nie schaden: Auf das mit dem einzigen Tor (beim 3:2 gegen Hertha im Dezember 2014) sind wir selbst gekommen, Hazards Positionen hält das Portal "transfermarkt.de" fest. Wann Hazard nun als Mittelstürmer (MS), hängende Spitze (HS) oder offensiver Mittelfeldspieler (OM) unterwegs war und wie das festgestellt wird, bleibt unklar. Sicher ist, dass er in Schuberts 3-4-3 nicht als echter Rechtsaußen unterwegs war und Gratulationen zum ersten Treffer von dieser Position weiter warten müssen.

7. Abgemeldet Mehr als ein Jahr lang kein Spiel wegen irgendeines Wehwehchens verpasst, nicht einmal eine Grippe hatte Oscar Wendt, Vater einer jungen Tochter, außer Gefecht gesetzt. Deshalb war es schon ein ungewohntes Bild, als er in der 25. Minute auf den Rasen sank, sich an den Oberschenkel fasste, sich seine Mitspieler um ihn versammelten und Mannschaftsarzt Dr. Stefan Hertl das international anerkannte Zeichen für "Es geht nicht mehr, wechseln" benutzte. "Oscar ist eigentlich nie verletzt", sagte Schubert und meldete Wendt mindestens für das Spiel in Wolfsburg ab. Zum ersten Mal seit dem 14. Februar 2015 wird es eine Borussia-Startelf ohne den Schweden geben. Wohl auch öfter als das eine Mal: Bei Wendt wurde ein Muskelfaserriss mit Sehnenteilruptur diagnostiziert.

8. Gelb-Entzug Dass Granit Xhakas Einsatz am Samstag bislang nichts im Wege steht, ist keine ganz so große Seltenheit wie Wendts Verletzung. Bemerkenswert ist es aber schon, seit wann der Schweizer mit vier Gelben Karten auf dem Konto spielt. Die vierte sah er Anfang Oktober gegen Wolfsburg, die fünfte Anfang November gegen den FC Ingolstadt. Da aber im selben Spiel eine weitere folgte, wurde die fünfte Gelbe wieder gelöscht. Vier Pflichtspiele hintereinander ohne Xhaka-Karte gab es zuletzt im Herbst 2014, also doch seltener als eine Wendt-Verletzung.

9. Fremdjubeln Die Fan-DNA lässt sich nicht verändern. Ein Wiehern im Borussia-Park, Einblendung des Hauptsponsors auf den Videowänden, ein Bild der Münchner Allianz-Arena, der FC Bayern liegt zurück — lauter Jubel im Stadion. So war es am Mittwoch gleich zweimal. Ein Gros der Zuschauer interessierte es nicht, wer da getroffen hatte, nämlich der FSV Mainz 05, ein ernstzunehmender Konkurrent der Borussia um die Europapokal-Plätze. Die Rheinhessen sind weiter punktgleich mit Gladbach.

10. Schnitt gedrückt Dass derart lauter Jubel im Borussia-Park überhaupt möglich war, ist an einem Spieltag unter der Woche keine Selbstverständlichkeit: 43.267 Zuschauer gegen Stuttgart, nur gegen Augsburg, noch so ein Mittwochsspiel, waren es diese Saison weniger. Englische Wochen bedeuten in Mönchengladbach stets 8000 bis 10.000 Besucher weniger. Der Gegner bringt weniger mit und viele eigene Fans, die eine weitere Anreise haben, können oder wollen (man mag es ihnen nicht verübeln) nicht immer Urlaub einreichen, um auch an einem Dienstag oder Mittwoch dabei zu sein. Am Wochenende liegt der Schnitt diese Saison bei 52.655 Zuschauern, die beiden englischen Wochen drücken die Gesamtbilanz auf 50.999.

(jaso)
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