Hans-Georg Dreßen im Interview "Köln hat Gladbach als Vorbild genommen"

Mönchengladbach · Der frühere Verteidiger spielte für beide rheinische Klubs. Er spricht vor dem Derby über die Rivalität, veränderte Ansätze und die Rückkehr alter Stilmittel.

161 Pflichtspiele machte Hans-Georg Dreßen, der 1982 in den Profikader aufrückte für Gladbach. Dabei erzielte er 28 Tore.

161 Pflichtspiele machte Hans-Georg Dreßen, der 1982 in den Profikader aufrückte für Gladbach. Dabei erzielte er 28 Tore.

Foto: imago

22 Spieler, Trainer und Funktionäre waren sowohl bei Borussia als auch beim 1. FC Köln aktiv. Hans-Georg Dreßen (52) gehört dazu. Er spielte von 1982 bis 1989 in Gladbach, wechselte für 1,1 Millionen Mark nach Köln. Nach einem Jahr wurde er wieder an Gladbach ausgeliehen und kehrte danach zurück in die Domstadt, wo er verletzungsbedingt seine Karriere beenden musste. Dreßen ist der einzige gebürtige Gladbacher, der für Köln spielte. Er spricht über die Gründe für den Seitenwechsel, sagt, wie es sich anfühlt, auf der anderen Seite zu stehen und erklärt, warum sich die Kölner etwas bei Gladbach abgeschaut haben.

Herr Dreßen, heute ist das rheinische Derby - Köln gegen Gladbach. Sie haben auf beiden Seiten gespielt. Welcher ist der bessere Verein?

Dreßen Aktuell spricht die Tabelle natürlich für den 1. FC Köln, weil er vier Punkte mehr hat und auf Rang fünf steht. Aber wenn man die letzten Jahre Revue passieren lässt, muss man sagen, dass sich Borussia super entwickelt und in den oberen Regionen etabliert hat. Wenn man sich den Kader anschaut, müsste Gladbach eigentlich besser dastehen. Und wenn man alles berücksichtigt, was die Borussen in den vergangenen Jahren geleistet haben, sind sie auf jeden Fall einen Tick besser als die Kölner.

Wie kann man als Gladbacher in Köln spielen?

Dreßen Ganz ehrlich? Damals, als ich von Borussia zum FC ging, war das gar kein Problem, weder in Gladbach noch in Köln. Der Grund für meinen Wechsel war ganz einfach: Als Nachwuchsspieler in Gladbach hatte man damals nicht den Stellenwert, den Eigengewächse heute haben. Da wurden lieber von auswärts die Leute geholt - und auch besser bezahlt. Wenn man dann ein Angebot bekommt, das Doppelte zu verdienen, ist es doch logisch, dass man sich damit beschäftigt. Man weiß ja nie, wie lange man den Job als Fußballer machen kann und versucht natürlich in den wenigen Jahren, in denen man gut verdienen kann, das auch zu tun. Köln stand damals auch sportlich gut da, aber ich bin da ganz ehrlich: Ich bin vor allem des Geldes wegen nach Köln gewechselt. Hätte Gladbach mir das gleiche Angebot wie die Kölner gemacht, wäre ich bei Borussia geblieben.

 19-mal spielte "Schorsch" Dreßen für den 1. FC Köln, ein Tor gelang nicht. Die Kölner zahlten 1,1 Million Mark für ihn.

19-mal spielte "Schorsch" Dreßen für den 1. FC Köln, ein Tor gelang nicht. Die Kölner zahlten 1,1 Million Mark für ihn.

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Der Ansatz mit den Nachwuchsspielern ist heute ein ganz anderer bei Borussia.

Dreßen Das zeigt, wie sich die Zeiten geändert haben. Wenn man einen Tony Jantschke oder einen Patrick Herrmann sieht, dann geben gerade diese Spieler der Borussia ein Gesicht. Und darauf ist der Verein stolz, auch die Eigengewächse werden als Visitenkarte angesehen. Das gab es früher so nicht.

Eines der Eigengewächse, Mo Dahoud, hat sich für den Wechsel nach Dortmund entschieden. Da wird das Geld wie damals bei Ihnen eine Rolle spielen - allerdings auch die sportliche Perspektive mit der höheren Champions-League-Wahrscheinlichkeit. Wie beurteilen Sie Dahouds Entscheidung?

Dressen Ehrlich gesagt: Ich hätte ihm von einem Wechsel abgeraten. Er ist ein überragender Mittelfeldspieler. Ich gehe mal davon aus, dass die Borussen sicher alles getan haben, um ihn zu halten. Das jedenfalls muss so sein, wenn es um solche tollen Spieler geht, die sollte man möglichst lange an sich binden. Der Spieler muss sich vor Augen führen, was der Wechsel bedeutet. Natürlich muss man auch in seinem Fall den Faktor Geld berücksichtigen und dafür alles Verständnis aufbringen, doch mit Blick auf die Karriere hätte er vielleicht bei Borussia bessere Entwicklungsmöglichkeiten gehabt.

Gehört es zu einer überlegten Karriereplanung dazu, sich unter Umständen auch mal gegen das Geld zu entscheiden?

Dreßen Es ist immer schwierig, das pauschal zu sagen. Als Lizenzspieler übt man eben auch einen Job aus - und weiß, wie gesagt, nie genau, wie lange man das tun kann. Ich selbst habe ja erlebt, dass ganz schnell alles vorbei sein kann, als ich früh meine Karriere verletzungsbedingt beenden musste. Aber grundsätzlich muss man sagen: Wenn man bei einem so guten Klub wie Borussia spielt, wo sicher auch gutes Geld verdient wird, sollte man es sich zweimal überlegen, ob man geht oder nicht. In Gladbach jedenfalls haben junge Spieler die Chance, sich zu entwickeln - vor allem die Eigengewächse.

Der BVB, für den Dahoud künftig spielt, ist einer der großen Rivalen der Gladbacher im Westen, die Rivalität ist fast so groß wie die zu Köln. Wenn man die Seite wechselt: Muss man dann als Kölner Gladbach doof finden?

Dreßen (lacht) Natürlich nicht. Als Spieler sieht man das Ganze ja viel nüchterner. Natürlich spürt man die Rivalität, aber es geht vor allem darum, sportlich erfolgreich zu sein. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Als ich in Köln war, war es ein sehr gut geführter, seriöser Verein. Ich bin hervorragend aufgenommen worden und hatte super Mitspieler wie Pierre Littbarski, Paul Steiner und Flemming Povlsen, um nur einige zu nennen. Vorher war schon Uwe Rahn zu Köln gewechselt, das kam mir natürlich entgegen. Es wird bei den Derbys medial immer viel aufgebauscht. Ich habe es nie bereut, in Köln gespielt zu haben, ich habe viel für mein Leben mitgenommen.

Der 1. FC Köln war damals Vize-Meister, es war die Phase mit Christoph Daum, der sich als großer Rivale von Bayern-Trainer Jupp Heynckes inszenierte.

Dreßen Ich war ja insgesamt zwei Jahre in Köln und bin zwischenzeitlich wieder zurück nach Gladbach gewechselt. Ich konnte beim FC leider nie mein Potenzial wirklich abrufen, weil ich zu oft verletzt war.

Sie waren Verteidiger. Als solcher sind Sie Experte für Stürmer. Was macht Anthony Modeste, der ganz wesentlich ist für Kölns Hoch ist, so gut?

Dressen Er ist unberechenbar, bei ihm weiß man nie, womit man zu rechnen hat. Darum ist er kaum auszurechnen - ganz ähnlich wie Robert Lewandowski. Bei Spielern wie diesen weiß man nie, was kommt.

In Gladbach setzt man auf eine andere Art von Stürmern. Einen klassischen Mittelstürmer der Art Modeste gibt es nicht. Fehlt so einer?

Dressen Ich glaube schon, dass so ein Stürmertyp Borussia guttun würde. Es gibt viele starke Außenspieler, die einen Mann im Strafraum mit Flanken füttern könnten. Gerade, wenn man mal in Rückstand gerät und eher einen Brecher im Strafraum braucht. Aber auch als Grundordnung kann man sich eine Variante mit einem echten Mittelstürmer vorstellen - eben, weil es die Leute für das Flügelspiel im Kader gibt. Darum würde ich mir wünschen, dass man mal so einen Spielertyp holt.

Dieter Hecking war früher ein Typ klassischer Mittelstürmer. Sie kennen ihn aus der gemeinsamen Zeit bei Borussia. Uwe Kamps sagt über Hecking, er habe sich früher im Strafraum in jeden Ball reingehauen. Können Sie das bestätigen?

Dressen Auf jeden Fall. Wir hatten es damals schwer, ins Team reinzukommen, die Konkurrenz war groß. Gerade für Dieter Hecking, weil da einige sehr gute Offensivleute waren.

Ist er der richtige Trainer für Gladbach?

Dressen Auf jeden Fall. Er ist ein ruhiger Typ, der gelassen mit allem umgeht. Das ist sehr wichtig, um das Umfeld zu beruhigen. Er schätzt alles sehr realistisch ein - das war früher schon so, als er Jungprofi in Gladbach war und wir einige Spiele zusammen gemacht haben.

Was ist mit Peter Stöger in Köln?

Dressen Auch er macht es sehr gut. Er hat eine klare Meinung und vertritt die auch, das ist wichtig. Die übertriebene Euphorie ist ja in Köln immer etwas das Problem gewesen: Wenn du ein Spiel gewinnst, bist du fast Meister, wenn du dann verlierst, bist du im Abstiegskampf. Er hat zusammen mit Jörg Schmadtke die nötige Ruhe ins Kölner Umfeld gebracht. Die braucht man, um ein Team oder einen Verein weiterzuentwickeln.

Für Kölner Verhältnisse ist das recht langweilig.

Dressen Natürlich, die Medien haben es sicher lieber, wenn richtig was los ist. Aber Zeiten haben sich geändert. Borussia hat das sehr gut vorgemacht, was mit Ruhe und Kontinuität möglich ist. Ich denke, dass die Kölner Gladbach ein bisschen zum Vorbild genommen haben.

Heute im Derby geht es auch um die inoffizielle rheinische Meisterschaft. Köln steht derzeit vor Gladbach und auch Leverkusen. Kann Borussia den FC noch überholen?

Dressen Wünschen würde ich es mir schon. Und ich denke auch, dass Gladbach mehr Qualität hat. Derbys haben natürlich eigene Gesetzte, aber die Borussia hat ja immer ganz gut ausgesehen in Köln. Darum traue ich Borussia einen Auswärtssieg zu.

Was war Ihr schönster Derbysieg mit Gladbach?

Dressen Wir haben mal ein Flutlichtspiel im Müngersdorfer Stadion 5:1 gewinnen ...

... Torwart Uli Sude hat zwei Elfmeter gehalten und Borussia führte nach 32 Minuten 4:0, das war die schnellste 4:0-Auswärtsführung der Borussen aller Zeiten ...

Dressen Ja, richtig. Und ich habe das erste Tor gegen Toni Schumacher geschossen. Aus 20 Metern glaube ich, ein Fernschuss, der vom Pfosten an Schumachers Rücken prallte und dann ins Tor. Das war ein klasse Spiel.

Das war eines von 28 Pflichtspiel-Toren, die Sie erzielt haben.

Dressen (grinst) Tja, ich war so etwas wie ein stürmender Verteidiger. Allerdings lag es vor allem daran, dass ich mit meinem recht guten Kopfballspiel bei Standards und Ecken immer mit nach vorn ging. Die haben wir unter Jupp Heynckes wie verrückt trainiert. Ich finde es gut, dass die Standards heute wieder mehr geschätzt werden, auch in Gladbach.

Und gegen Berlin schoss Laszlo Bénes das Siegtor aus der Distanz. Kommen die alten Stilmittel zurück?

Dreßen Offenbar gibt es ein Back to the Roots. Ich persönlich fand das Tiki-Taka, das lange Jahre das Maß aller Dinge war, etwas langweilig. Fußball muss rasant sein, er muss Spaß machen. Es wird zum Glück wieder schneller der Abschluss gesucht, statt den Ball ewig laufenzulassen. Das ist für mich auch der Ansatz zu sagen: Der klassische Mittelstürmer, der bei uns fast ausgestorben war, kommt wieder. Mir gefällt das.

Welches Ergebnis würde Ihnen im Derby gefallen?

Dreßen 2:1 für Gladbach.

Karsten Kellermann sprach mit Hans-Georg "Schroch" Dreßen.

(RP)
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