Borussia Mönchengladbach Die Gier ist der Schlüssel zum Erfolg

Mönchengladbach · Trainer Dieter Hecking fordert von seinen Spielern mehr Gier auf Erfolg. Die fehlte in der vergangenen Saison in der entscheidenden Phase und soll jetzt den wesentlichen Unterschied ausmachen.

Gierig wie Pacman soll Borussia sein.

Gierig wie Pacman soll Borussia sein.

Foto: Angelika Schreiber

Vermutlich hat Dieter Hecking bei Borussias Papst-Audienz in Rom dem Heiligen Vater nicht alles erzählt. Vor allem nicht, dass er seine Spieler zur Sünde aufgerufen hat, gar zu einer, die der Katholizismus zu den Todsünden zählt. Auch die buddhistische Lehre definiert das, was Hecking fordert, als "Geistesgift". Der Trainer will in der neuen Saison, die mit dem Derby gegen den 1. FC Köln beginnt, Gier von seinen Spielern. Die Gier auf Erfolg.

Gier wird definiert als "ein seelischer Antrieb zur Behebung eines subjektiven Mangelerlebens mit dem damit verbundenen Aneignungsversuch des Gegenstandes oder eines Zustandes, welcher geeignet erscheint, den Mangel zu beheben". Nun darf man festhalten, dass das Mangelerleben in Mönchengladbach, was die vergangene Saison angeht, nicht subjektiv, sondern kollektiv war, und zum zweiten auch feststellen, das in Toren, Punkten und Siegen materialisiert wird. Das sind die Bausteine des Erfolgs im Fußball.

In der vergangenen Saison hat von allem ein bisschen gefehlt, was dazu führte, dass sich das Ganze trotz einer beachtlichen Rückrunde, einer starken Pokalsaison und einer durchaus an Höhepunkten reichen Europapokal-Saison wie eine Enttäuschung anfühlte. Man darf vermuten, dass hemmungslose Gier nach Erfolg mindestens an einer Stelle das mögliche Mehr eingebracht hätte: einen Europa-Platz in der Tabelle, die Reise nach Berlin, eine Runde mehr in Europa. "Such a little thing, but the difference it made, was grave", heißt es in einem Song des Sängers Morrissey, und diese Kleinigkeit, die am Ende fehlte, machte das große Ganze unbefriedigend.

Da Fußball aber nun mal ein Spiel ist, in dem auf höchsten Niveau Kleinigkeiten entscheiden (oder auch mal Maulwürfe, die aus Rasenflächen starren und Kopfballtore machen), ist es Heckings Ansatz, an der Stelle Abhilfe zu schaffen. Das bedeutet: An der Stelle, an der die Borussen in der vergangenen Saison noch etwas zu grün waren, müssen sie nun erwachsen sein und das Richtige zum richtigen Zeitpunkt tun. Und man muss auch mal unangenehm sein, nicht immer nett, das ist etwas, was den Borussen nachgesagt wird: zu nett zu sein.

Vor allem aber müssen die Gladbacher wollen, unbedingt und bedingungslos wollen: erstens nicht zu verlieren und zweitens zu gewinnen. Teil eins der Ansage führt dazu, dass sich das Team nicht einfach in sein Schicksal ergibt und zur Not auch um einen Punkt kämpft. Teil zwei bedeutet: Nichts ersetzt Siege. Weder in der Tabelle noch im Kopf. Wer gewinnt, ist im Vorteil, in der Bilanz und mental.

Beginnen wir mit der Bilanz. 45 zu 49 lautet die Tordifferenz der Borussen in der vergangenen Saison. Das war ein Schnitt von 1,3 erzielten und 1,4 kassierten Toren pro Spiel. Ein Plus von 0,2 an der ersten Stelle und ein Minus von 0,3 an der zweiten Stelle und die Sache ist eine ganz andere, wahrscheinlich sogar Europa. Denn die Teams, die 50 plus Tore erzielt und 40 minus bekommen haben, waren in der Vergangenheit international dabei. In Toren: Borussia muss den Ertrag um wenigstens fünf Treffer steigern und hinten neun Tore weniger kassieren, dann dürfte der Mangel behoben sein — in der Theorie.

Die Praxis ist natürlich immer ein bisschen tückischer. Denn da gibt es etliche Faktoren, die schöne Theorien über den Haufen werfen können. Verletzungspech (wie in der Vorsaison) oder Gegner zum Beispiel, die meistens ja das gleiche Ansinnen haben wie die Borussen (nicht verlieren, möglichst gewinnen). Da kommt es dann auch auf den Kopf an. Sagen wir es platt: Borussia muss möglichst oft ihren eigenen Kopf durchsetzen (oder auch das eigene Spiel). Es geht darum, in den Flow zu kommen: Erfolg macht stark, und wer stark ist, hat Siegermentalität, und Siegermentalität führt eher zum Erfolg als die Angst vor der Niederlage.

Borussia darf indes durchaus selbstbewusst sein und sagen: Der Kader ist gut. Es gibt eine sinnvolle Mischung im Team zwischen Alt und Jung, in Matthias Ginter wurde ein Spieler geholt, der mehr Stabilität geben und führen und mit Jannik Vestergaard ein ganz starkes Verteidiger-Duo bilden soll. Vincenzo Grifo hat Fähigkeiten, die so im Kader nicht vorhanden waren (Standards) und Denis Zakaria könnte genau der sein, der den Hecking-Wunsch nach Gier nahezu verkörpert mit seiner Art zu spielen. Hinzu kommen Jungspunde wie Mickael Cuisance, die von hinten Druck machen. Und der Rest ist ein Jahr weiter, gereifter also.

Auch für Tore. Rechnet man durch, gibt es vier Kandidaten, die eine zweistellige Quote draufhaben: Raffael, Lars Stindl, Thorgan Hazard und auch Grifo. Auch den offensiven Außen darf man ein paar Tore zutrauen. Von der Doppelsechs könnten Denis Zakaria sowie Laszlo Bénes etwas beisteuern. Und dank der neuen Standard- Stärke ist von hinten eine Quote, die zwischen fünf und zehn liegt, vorstellbar. Dann wäre man bei 50 plus, ohne allzu kühn zu rechnen. Vor allem auf Lars Stindl wird es ankommen. Er hat beim Confed Cup den Erfolg gelebt, dieses Gen muss er nun in Gladbach implantieren.

Doch da ist eben auch das Aber, die offenen Fragen: Bleiben die Leistungsträger gesünder als in der abgelaufenen Spielzeit? Schafft Ginter tatsächlich den Schritt zum echten Boss? Bleibt Vestergaard so stabil wie in der Rückrunde der Vorsaison? Kann Grifo seine Freiburg-Qualitäten auf Gladbacher Verhältnisse übersetzen? Schafft Zakaria den Sprung in die Bundesliga, oder braucht er mehr Zeit, wie einst Granit Xhaka? Sind die Jungspunde wirklich die zweite Reihe, die bei Bedarf etwas bewegen kann? Schaffen die Offensiven die nötige Quote oder fehlt ein Knipser? Und kann Stindl seinen Lauf fortsetzen trotz der für ihn erstmals so kurzen Vorbereitung und des Drucks, der auf ihm lastet, der große Leader sein zu müssen? Und kann Hecking seinen Spielern die nötige Gier vermitteln? Beim Pokalspiel in Essen, das widrig lief, schien es so. Borussia drehte das Spiel noch zum Sieg.

Die allgemeine These lautet, dass es eine sehr enge Saison werden wird in einer sehr ausgeglichenen Liga. Christoph Kramer hat gesagt, es werde eine Spielzeit zwischen "Chance und Risiko". Der Chance, ganz viel zu erreichen, aber auch das Risiko, am Ende wieder enttäuscht zu sein, weil zu viele Kleinigkeiten nicht klappten. Kurz: Borussia hat Potenzial, jedoch keine Garantie. Die "Gier nach Erfolg" kann den Unterschied machen. Und im Sport ist es nichts Verwerfliches, gierig zu sein und Punkte zu fressen wie ein hungriger Pac-Man, sondern eine Tugend. Darum hatte Dieter Hecking bei der Papst-Audienz auch nichts zu befürchten.

(kk)
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