Borussia Mönchengladbach Borussia — nutze deine Chancen!

Mönchengladbach · Die Gladbacher können in der Liga noch Europa schaffen und im Pokal den großen Wurf. Die Spiele gegen Dortmund und Frankfurt spielen dabei jeweils eine besondere Rolle.

Dieter Hecking im Porträt: Trainerstationen, Erfolge
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Das ist Dieter Hecking

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Foto: dpa/Marius Becker

Borussia Dortmund kommt, und mit der Namenscousine aus Westfalen die Erinnerung. An dem Tag, als der Fußball Ziel eines feigen Anschlags war, als die Mannschaft des BVB mit drei Sprengkörpern attackiert wurde. Anschließend gab es viele Solidaritätsbekundungen im Netz, wie es heute üblich ist, "vereint in der Sache, getrennt in der Farbe" war der Slogan der Fußballfans, auch der Gladbacher.

Es wird wie immer sein, wenn unfassbare Dinge passieren: Danach wird nichts mehr sein wie vorher — und dann wieder doch. Der Sport, der Fußball insbesondere, ist gut im Verdrängen, im Überspielen, er kann Unterhaltung sein im besten Sinne: Ablenkung vom Alltag, ja die Flucht in eine Parallelwelt, dorthin, wo es nur den Ball und seine geordnete Welt gibt, wo alles nach nachvollziehbaren Codes funktioniert: gewinnen/verlieren, wir/die, in dem Fall Schwarz-Weiß-Grün/Schwarz-Gelb.

Als der 11. September passiert war, eine der fundamentalsten Attacken auf die freie Welt, spielte Borussia kurz danach beim HSV. Es gab ein wildes 3:3, es waren sechs Tore gegen die Melancholie. Ein solches Spiel war nun auch das 3:5 in Hoffenheim, eine Niederlage zwar, doch auch der bestmögliche Spaßmacher. Der Fußball zeigt in solchen Spielen seine Kraft, und an diese muss man glauben, das ist die mentale Wagenburg, die es braucht in Zeiten des Wahnsinns.

Schwarzblende.

Fußball ist Fußball ist Fußball. Im Borussia-Park gibt er sich binnen vier Tagen zweimal die Ehre, und er lädt vorab zum Träumen ein. Denn für die Gladbacher ist es zweimal die große Chance. Auf Berlin. Auf Europa. Vier Tage, in denen sich so viel entscheiden wird, wie sie denn am Ende wird, diese Saison. Wohin der Weg führt nach all den sportlichen Irrungen und emotionalen Wirrungen.

Was gab es nicht alles? Den Triumph gegen Bern in den Play-offs zur Champions League, die herrliche Auslosung mit dem FC Barcelona, den großartigen Start in die Saison, den Zwischenschritt hin zur Krise, zugleich das Fortkommen im Pokal und in Europa, der rasante Niedergang im dritten Teil der Hinrunde, schließlich wieder ein Trainerwechsel und das Comeback unter Dieter Hecking nebst Einzug ins Pokal-Halbfinale, ins Euro-Achtelfinale, da das bittere Aus gegen Schalke.

Es ist eine Saison wie ein Roman von Dostojewski oder Auster: verwinkelt und verwoben, voller Prüfungen und Entscheidungen, freudetrunken und schwermütig, skurril und herausfordernd, ein Stolpern und Aufstehen, ein Zurechtfinden in der Welt und ihrer Unwägbarkeiten, durchaus die Suche nach sich selbst. Nun geht es darum, den tieferen Sinn herauszufinden: Ist es eine Saison des Übergangs wie 2012/13, oder setzt Borussia die Europa-Tour fort nach einem Happy End à la Hollywood?

Dass die Borussen die Aufholjagd können, haben sie in der vergangenen Saison gezeigt. Nach dem Katastrophenstart mit fünf Niederlagen noch in die Champions League, das war schon eine einzigartige Heldengeschichte. Nun ist es aber kein Aufstieg nach dem Fall, sondern ein Wellental, das ist der Unterschied. Fakt ist aber: Borussia hat definitiv die Qualität, ihre Chancen zu nutzen. In der Liga hat sich durch die Niederlage bei 1899 Hoffenheim nichts geändert, weil auch der Rest der Konkurrenten verloren hat. Auch im Pokal ist Großes möglich.

Was sie in dieser Saison bis auf eine Ausnahme (Schalke) richtig gut kann, ist, richtungsweisende Spiele für sich zu entscheiden: Die Play-offs zur Champions League. Das wichtige Spiel in Glasgow, das 1:1 gegen Manchester, mit dem das Überwintern in Europa gebucht wurde. Zudem die vier Pokalspiele. Und: War Borussia Favorit, hat sie diese Rolle meist gut und erfolgreich gespielt

Die letzten beiden Punkte wären die passenden Blaupausen für Frankfurt. Gegen die Eintracht indes geht es um viel mehr als nur eine Chance. Es geht darum, die Sehnsucht nach Berlin zu erfüllen — und darauf, weiter träumen zu dürfen vom ersten Titel seit 1995. Damals gab es auch einen unangenehmen Halbfinal-Gegner daheim: Kaiserslautern. Es war ein zähes Ringen über 120 Minuten, das Heiko Herrlich durch das einzige Tor des Abends zugunsten der Borussen entschied.

Kurios: Ausgerechnet Dieter Hecking, der die Borussen nun auf diese Traumreise einladen will, hat jenen Klub, dem Borussia dann vor 22 Jahren in Berlin besiegte, den VfL Wolfsburg, vor zwei Jahren zu seinem ersten Pokaltriumph geführt. Er ist also ein Sehnsuchts-Erfüller, dieser Trainer. Mach's noch einmal, Dieter, werden sich alle Menschen in der Borussen-Welt denken. Es gehört schon eine arge Willensleistung dazu, das Halbfinale auszublenden und an das Alltagsgeschäft Bundesliga zu denken.

Gut, dass Dortmund kommt, denn da ist ja irgendwie noch eine sportliche Rechnung offen. Zweimal in den vergangenen Spielzeiten waren Niederlagen beim BVB der Anfang vom Ende einer Trainerzeit (erst Favre, dann Schubert). Und das letzte Heimspiel gegen die andere Borussia ging 1:3 verloren, drei Niederlagen und 2:11 Tore zuletzt, das ist dünn. Angesichts der Gesamtsituation wäre es ein guter Zeitpunkt, die Serie zu beenden.

Es kann auch sein, dass es noch zweimal Dortmund gibt in dieser Saison. Wenn der BVB die Bayern besiegt im Pokal-Halbfinale, und die Borussen das tun, was, mit Verlaub, alle erwarten, nämlich Frankfurt ausschalten. Im Nachhinein und unter günstigen Umständen kann das Spiel heute also eine Art Pre-Action sein für Berlin. Aber erst mal geht es um drei Bundesliga-Punkte, und, weitergedacht, um Europa — dafür zählt jeder Punkt. Schafft es Borussia auf Platz fünf, sechs oder sieben und zwischendrin ins Finale, könnte sie entspannt nach Berlin reisen. Auch das ist eine große Chance: Sich selbst einen Gefallen zu tun, das wäre doch eine noble Geste. Darf man sich mal gönnen.

Der Vorteil des Dortmund-Spiels ist: Es gibt ein Danach. Vier Spiele, in denen es noch zwölf Punkte zu holen gibt. Reparatur-Möglichkeiten. Frankfurt ist ein Unikat, es gibt nur Erfolg oder Scheitern, es gibt nichts zu reparieren, was an diesem Abend schiefgeht. Aber das, was man gewinnt, nimmt einem keiner mehr. Prognosen? Kaum möglich. 0:0 endeten beide Bundesligaspiele, 180 Minuten ohne Tor, im ersten Spiel tendenziell Vorteil Gladbach, im zweiten umgekehrt.

Offenheit, das heißt Chance und Risiko zugleich. Pokal pur. Nein, Fußball pur. Man darf sich niemals sicher sein, denn es kann immer anders kommen. Borussia ist der Beleg dieser These: Denn im Januar konnte man nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass es diese beiden großen Chancen noch geben würde. Nun sind die da — und was ist das Beste, was man mit Chancen machen kann? Nutzen!

(kk)
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