Nachwuchsdirektor Virkus im Interview "Borussia geht sozial mit ihren Jugendspielern um"

Mönchengladbach · Roland Virkus verantwortet seit 2008 Borussias Jugendarbeit, damals war er auf Max Eberls gefolgt. Im Interview erklärt er den Konkurrenzkampf um die besten Talente, die schwierige Lage der U19 und kritisiert den Leipziger Weg.

 Roland Virkus (50) war einst selbst Jugendtrainer bei Borussia.

Roland Virkus (50) war einst selbst Jugendtrainer bei Borussia.

Foto: Wiechmann (ARchiv)

Borussias Nachwuchsdirektor geht auf sein Zehnjähriges zu. Das heißt: Die ersten Jungs, die für Borussia debütierten, seit er den Job macht, biegen auf die Zielgerade ihrer Laufbahn ein. Aktuell steckt viel drin in der Jugendarbeit: Die U23 ist zum Teil bei den Profis gefragt, die U19 steckt im Abstiegskampf, die U17 hegt Titel-Hoffnungen, und Ende des Jahres eröffnet das neue Internat.

Per Mertesackers "Spiegel"-Interview, in dem er schonungslos über den Druck im Profifußball gesprochen hat, war ein großes Thema. Hat Ihnen das Interview ihre Verantwortung noch einmal vor Augen geführt?

Virkus Ich will nicht sagen, dass ich völlig überrascht war, von den Ausmaßen aber schon. Wenn der Druck so heftig wird, dass der Körper reagiert, dann geht die Ampel auf Rot. Bis zu einem gewissen Grad kann Druck leistungsfördernd sein. Das braucht ein Spieler auch, um optimal performen zu können. Gefährlich wird es, wenn es in die falsche Richtung ausschlägt. Aber die Klubs sind inzwischen so professionell aufgestellt, dass daran gearbeitet wird im mentalen Bereich. Nicht umsonst ist es ab dem 1. Juli Pflicht, in einem Leistungszentrum der ersten Kategorie — in der Regel sind das Bundesligisten — einen Vollzeit-Psychologen zu haben. Bislang haben wir einen auf Honorarbasis, der ist mehrmals die Woche am späten Nachmittag da und bearbeitet alle Systeme rund um den Spieler: nicht nur den Spieler selber, sondern auch Eltern, Trainer und andere Betreuungspersonen.

Sie machen den Job als Nachwuchsdirektor seit fast zehn Jahren. Ist das eine sukzessive Entwicklung, dass jetzt zum Beispiel ein Psychologe Pflicht wird, oder hat es auch Knackpunkte gegeben?

Virkus Es hat sich schon stetig entwickelt. Der Fall Enke hat sicherlich dafür gesorgt, dass alles einmal hinterfragt wurde. Aber die Probleme gab es immer schon, der Umgang damit ist nur professioneller geworden. Wir haben immer versucht, die Jungs bestmöglich vorzubereiten, aber jeder hat eine unterschiedliche Persönlichkeitsstruktur. Es ist schwierig, da pauschal drüber zu sprechen.

Wenn Sie merken, dass ein Nachwuchsspieler schulische Probleme hat: Ab welchem Punkt geht das vor?

Virkus Die Schule muss immer vorgehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Spieler Profi wird, ist geringer als die, dass er einen guten Schulabschluss macht. Es ist immer eine Kausalkette: Wie willst du dich auf das Spiel übermorgen fokussieren, wenn du in zwei Fächern fünf stehst und morgen eine wichtige Klassenarbeit schreibst? Deshalb ist es wichtig, die eine Problematik — also die in der Schule — gar nicht erst entstehen zu lassen. Wenn die Spieler zum ersten Mal hier sitzen, sagen wir ihnen: Du hast zwei Aufgaben — Schule und Fußball. Die Prioritäten verschieben sich immer in Richtung Fußball, aber es muss andersherum sein. Die beiden Aufgaben takten das Leben, da bleibt kaum Zeit, um Freundschaften zu pflegen. Der Jugendspieler steht unter Vollstrom. Deshalb ist es wichtig, dass nirgendwo ein Ungleichgewicht entsteht.

Die Gefahr, nur in einem Tunnel zu leben, dürfte als U17- und U19-Spieler enorm groß sein.

Virkus Deshalb gilt es, ein gutes Zeitmanagement zu haben. Das heißt, die Wege zum Training, zur Rehabilitation bei Verletzungen und zur Schule müssen kurz sein. Wenn das alles in Einklang ist, bleibt noch Zeit für die erwähnten Dinge. Nehmen wir an, ein Spieler muss eine Stunde zum Training fahren, sind das zwei Stunden am Tag, bei fünf Einheiten zehn Stunden in der Woche.

Der Optimalfall wäre es demnach, wenn spätestens ab der U16 alle Jungs im Internat wohnen würden.

Virkus Optimal wäre es auf jeden Fall, wenn wir die Schule und den Fußball perfekt aufeinander abstimmen könnten.

Deutschland müsste dahingehend amerikanischer werden? Dort ist alles eng verzahnt — von der High School bis zum College.

Virkus Es gibt verschiedene Systeme, in Frankreich klappt das auch besser. Aber eins darf man nicht vergessen.

Nämlich?

Virkus Infrastrukturell ist Gladbach richtig schlecht gelegen. Im Westen ist das Land zu Ende, im Einzugsbereich käbbeln wir uns mit Schalke, Dortmund, Köln, Duisburg, Düsseldorf, Leverkusen. Also müssen wir Kompromisse eingehen. Ich will nicht, dass ein Spieler eine Stunde im Bus sitzt. Aber es gibt Ausnahmen, denn sonst geht dieser Spieler zum Beispiel nach Leverkusen. Dann fragt jeder: Warum ist der nicht nach Gladbach gegangen, ihr habt den doch entdeckt? Weil wir nicht die Verantwortung übernehmen wollen, dass der Spieler so lange zum Training benötigt.

Für Sie als Nachwuchsdirektor klingt das nach einem ständigen Balanceakt.

Virkus Wir haben eine Verantwortung für unsere jungen Spieler und müssen schauen, ob alles zusammenpasst. Das ist nicht immer einfach. Ein Trainer hat die Aufgabe, eine möglichst gute Mannschaft zu haben — weniger in Bezug auf den Tabellenplatz als auf das Entwicklungspotenzial. Ich muss als Nachwuchsdirektor schauen, dass wir das in Einklang bringen mit den externen Anforderungen. Dem Trainer ist es erstmal egal, ob ein Spieler aus Bochum oder Essen kommt. Ich denke, wir werden der Verantwortung meistens gerecht, aber eben nicht immer — das muss man offen zugeben.

Was unterscheidet Borussia denn überhaupt von Vereinen wie Schalke, Frankfurt, Hertha oder Bremen? Also von großen Vereinen aus Großstädten oder Ballungsgebieten.

Virkus Wir zeigen den Jungs auf, wie wir die Wahrscheinlichkeit erhöhen wollen, dass sie ihre Ziele erreichen — ohne dabei unsozial zu sein. Das bedeutet, sie auch in schwachen Phasen restlos zu unterstützen. Es gibt Klubs, die holen in fünf aufeinanderfolgenden Jahrgängen einen Linksverteidiger. Und einer setzt sich durch, aber das entscheidet sich irgendwann später. Wir holen einen und sagen, dass wir alles für ihn tun.

Heißt aber auch: Wenn der eine es nicht schafft, kommt auf der Position über Jahre nichts?

Virkus Das kann passieren. Aber das meine ich mit sozial. Wenn wir davon abweichen, verlieren wir unser Alleinstellungsmerkmal. Das unterscheidet uns noch von anderen. Wir wissen, dass wir in einem starken Konkurrenzwettbewerb sind. Keine Frage, wir wollen die besten Spieler, die wir bekommen können. Und wenn wir sie haben, werden wir alles tun, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sie Profi werden. Aber ich werde keinem sagen: Du bist derjenige, der es wird!

Ist das denn drin in den Köpfen der Spieler, dass im Schnitt nur einer oder zwei aus jedem Jahrgang den Durchbruch schafft?

Virkus Natürlich kommt jeder erst einmal hierhin und sagt: Ich bin derjenige! Aber die Jungs wissen auch, wie wenige es letztendlich schaffen. Die Ansprüche werden höher, das sieht man auch bei uns durch die Teilnahme am Europapokal. Einfach ist es nie, aber es ist einfacher, wenn du gar keine andere Wahl hast, als Jugendspieler einzubauen. Freiburg zum Beispiel kann keinen Spieler für zehn Millionen kaufen. Wir haben eher die Möglichkeit, gestandene Spieler zu holen, aber auch nicht immer für zehn Millionen. Die Frage ist: Wie definiert man Effizienz?

Die Frage stellt man sich oft beim Thema Jugendarbeit.

Virkus Viele würden die Spieler zählen, die es in die Bundesliga-Mannschaft geschafft haben.

Hinter Marcel Benger würden Sie aber sicher keinen Haken machen, nur weil er einmal auf dem Rasen stand.

Virkus Wir müssen auch immer auf die Verweildauer schauen. Bilden wir auch für andere Klubs aus? Wo landen unsere Spieler? Welche Qualität haben die Spieler? Hätten die eine normale Qualität, würden sie noch bei uns spielen.

Oder die Qualität reicht nicht ganz, wie bei einem Marvin Schulz, der jetzt in Luzern spielt.

Virkus Das mag natürlich sein. Aber wir reden auch über Marc-André ter Stegen: Barcelona. Mo Dahoud: Dortmund. Amin Younes: Amsterdam. Das sind alles Eigengewächse, die wir nicht erst in der U19 geholt haben. Leipzig hat gefühlt 1000 Spieler geholt und davon sind nur wenige durchgekommen. Deshalb hat sich Ralf Rangnick doch aufgeregt über die angeblich schlechteste U19 aller Zeiten bei Leipzig. Die haben immer um die Meisterschaft mitgespielt, aber keiner taucht oben auf. Und wir müssen bedenken: Die haben viel Geld für die ausgegeben. Wenn wir Topspieler ausbilden, wecken die natürlich Begehrlichkeiten. Aber wir reden auch über Spieler wie Marlon Ritter, Nico Brandenburger, Christopher Lenz.

Die alle in der 2. Bundesliga oder der Dritten Liga spielen. Aber wie viele Brandenburgers sind ein ter Stegen?

Virkus Das ist schwer zu sagen. Aber wir sind in der DFL-Kommission der Leistungszentren gerade dabei, einen fairen Koeffizienten zu entwickeln. Dann kann sich niemand damit brüsten, acht Spieler für die Bundesliga ausgebildet zu haben — die alle erst in der A-Jugend gekommen sind. Den letzten Schliff will ich da nicht leugnen, aber selbst ausgebildet, das bedeutet für mich etwas anderes. Marc-André ter Stegen, Mo Dahoud, Amin Younes, Julian Korb, Yunus Malli, Marvin Schulz — das sind für mich klassische Beispiele. Ich kann noch mehr aufzählen wie Alexander Bieler, der jetzt Mühling heißt und bei Holstein Kiel Stammspieler ist. Johannes van den Bergh und Tobi Levels sind ältere Beispiele. Die vergisst man schnell. Wenn man die alle reinwirft und in eine messbare Zahl umsetzt, dann glaube ich, dass viele überrascht wären. Ich würde wagen, zu behaupten: Dann wären wir unter den Top fünf in Deutschland.

Wann hat es ein Jugendspieler "geschafft"? Das ist immer dieses magische Wort.

Virkus Du kannst nicht alle für den elitären Bereich ausbilden. Wir neigen beispielsweise dazu, in der A-Jugend zwischen gut und schlecht zu unterscheiden. Das ist Quatsch, gute Fußballer sind alle. Wir reden eher über gut, sehr gut und elitär. Die Bundesligaspieler sind elitär — und die erste, zweite und dritte Liga heißen eben Bundesliga.

Borussias U19 steckt in einer schwierigen Saison. Gehen wir mal vom schlimmsten Szenario aus: Was würde ein Abstieg aus der Bundesliga bedeuten?

Virkus Borussias Anspruch muss es immer sein, in der U19-Bundesliga zu spielen. Dass wir mit der Hinrunde nicht einverstanden waren, steht außer Frage. Wir haben das in der Winterpause analysiert und unsere Schlüsse daraus gezogen. Die Dinge, die wir beeinflussen können, haben wir verändert.

Das heißt?

Virkus Wir haben personell zugelegt. Was wir nicht beeinflussen können: Wie schnell geht die Entwicklung eines Spielers? Die U19 ist die erste Altersklasse, in der zwei Jahrgänge aufeinandertreffen. Wir haben mehr talentierte junge als alte Spieler. Deswegen haben wir uns dazu entschlossen, vor allem auf die jungen Spieler zu setzen. So waren in zwei Dritteln der Spiele mehr 2000er als 1999er dabei.

Trotzdem sollte Borussia aber nicht in den Abstiegskampf geraten, oder?

Virkus So ein Entwicklungsprozess dauert. In dieser Liga hast du keine Zeit, musst dich aber für einen Weg entscheiden. Dann standen uns Korsettstangen der Mannschaft über Wochen nicht zur Verfügung: Tilmann Jahn, Mika Hanraths und Yorke Ndombaxi waren alle schwer verletzt. Wenn du da in einen Strudel gerätst, wird es für junge Menschen schwer. Hinzu kommt, dass die Liga bis auf Fortuna Köln äußerst ausgeglichen ist.

Der 99er-Jahrgang gilt auch nicht als besonders guter Jahrgang.

Virkus Beim alten 98er, der schon raus ist, und beim 99er haben wir immer Schwierigkeiten gesehen. Es gibt die Möglichkeit, einen Jahrgang aufzupeppen. Aber wir holen Topspieler, um sie zu Bundesligaprofis zu machen. Wir wollen keine Basisspieler verpflichten, wenn wir ihnen nicht einmal die U23 zutrauen.

Und wenn trotzdem der Worst Case droht?

Virkus Deshalb haben wir uns im Winter gefragt, was wir tun müssen, um den zu verhindern. Wir waren sechs Punkte hinten dran und haben jetzt erstmal sechs Punkte Vorsprung, aber Bielefeld hat noch ein Nachholspiel. Wir brauchten Torgefahr und haben Justin Steinkötter aus Münster geholt. Er mag nur vier Tore im Pokal und zwei in der Liga geschossen haben, war ansonsten aber an fast jedem beteiligt. Hinzu kommt, dass alle stabiler geworden sind. Die jungen Spieler haben in der schwierigen ersten Saisonphase dazugelernt. Wir kassieren deutlich weniger Tore, diese Basis haben die Jungs verinnerlicht. Dazu haben wir Bochum und Dortmund geschlagen, gegen Top-Teams fällt es der Mannschaft momentan leichter, weil sie aus der Konter-Situation herauskommen kann. Und wir brauchten Ballsicherheit, deshalb haben wir Riccardo Grym aus Leverkusen geholt. Wir sind nicht durch, aber auf einem guten Weg.

Eine große Chance gibt es im Pokal: Am Samstag (14 Uhr) steht das Halbfinale beim SC Freiburg an. Wie groß ist die Lust, mal um einen Titel zu spielen?

Virkus Die ist riesig, da müssen wir gar nicht drüber diskutieren. Die Jungs haben Bock, wir alle im Klub wollen das. Natürlich sind wir Außenseiter in Freiburg. Das ist traditionell eine gute A-Jugend. Die hatten zwar viele Verletzte, hatten einen kleiner Hänger in der Süd-Liga, sind aber immer noch Vierter. Das entspricht in etwa einem Top-Sechs-Team im Westen. Mit dem Heimvorteil, der im Jugendbereich allerdings nicht so viel zählt, ist Freiburg favorisiert. Aber in einem Spiel ist alles drin.

Es wird oft kritisiert, dass Borussia nie Titel im Jugendbereich holt.

Virkus Das ist mir egal. Ich will in erster Linie Spieler entwickeln.

Hoffenheim, der Gegner der Profis heute, bekommt beides seit Jahren hin.

Virkus Das würde ich auch gerne schaffen. Aber wenn ich mich für eins entscheiden muss, dann immer für die Entwicklung junger Spieler.

Über die Problem-Jahrgänge haben wir gesprochen. Dafür scheint der 2001er in der B-Junioren-Bundesliga ein richtig guter zu sein.

Virkus Das wird leider oft übersehen. Die B-Junioren haben die beiden Spitzenspiele gegen Schalke und Leverkusen gewonnen. Jetzt sind sie in der Position, dass sie vielleicht um die Deutsche Meisterschaft spielen können. Dazu reicht der zweite Platz. Das Ziel war, unter die ersten fünf zu kommen, das erreichen wir auf jeden Fall. Aber der Tabellenplatz alleine sagt nichts über die Qualität der Mannschaft aus, aber ich kann Ihnen versichern: Die ist wirklich gut. Bei ein paar Jungs könnte das richtig interessant werden. Und ein Jonas Pfalz fehlt der Mannschaft noch...

... ihr U17-Nationalspieler, der in die U19 hochgezogen wurde.

Virkus Der ist erst 16 Jahre alt und schießt da oben auch schon Tore, zum Beispiel im Pokal-Viertelfinale. Wir sind nicht so schlecht, wie wir von außen oft gemacht werden. Wir sind sogar gut. Klar, unser A-Jugend-Jahrgang ist diesmal nicht ganz so gut. Aber vielleicht kommen da immer noch ein paar Jungs raus. Nehmen wir an, der Klassenerhalt wird geschafft und Louis Jordan Beyer wird Bundesligaspieler — wäre es dann besser, Fünfter zu werden, aber keiner schafft es in die Bundesliga?

Von welchen Jungs aus der hochgelobten B-Jugend halten Sie richtig viel?

Virkus Jonas Pfalz, klar, aber der spielt ja schon nicht mehr in der U17. Jordi Bongard ist ein richtig guter Spieler, dazu unser Torhüter Jan Olschowsky. Wir haben ein paar spannende Spieler, bei denen man noch nicht weiß, wo der Weg hingeht. Bei optimaler Entwicklung kann das ganz hoch gehen, wenn ich an Ryan Adigo denke, an Nils Friebe, ein Gladbacher Junge ganz vorne drin, hinten Tom Gaal. Was die Mannschaft neben ihrer fußballerischen Qualität auszeichnet, ist ihre Mentalität. Gegen die Großen hat sie ihre Spiele immer gegen Ende entschieden.

Inwiefern ist ein Eigengewächs aus Mönchengladbach oder der Region mehr wert?

Virkus Ich freue mich natürlich über Gladbacher Jungs. Aber es wäre nicht fair, zu sagen, dass deren Durchbruch mehr wert sei. Natürlich ist es für uns schön, wenn ein Jugendspieler schon als Kind im Gladbach-Trikot herumlief. Genauso schön ist es aber, wenn ein Spieler wie Julian Korb, der aus Moers kommt, nach acht Jahren die Borussia-Philosophie verinnerlicht hat. Bei einem Elias Kachunga ist es nicht anders. Beim Pokalspiel vor Weihnachten standen beide auf der Tribüne und Sie können davon ausgehen, dass sie nicht Leverkusen die Daumen gedrückt haben.

In Interviews mit einem Nachwuchsdirektor darf eigentlich nicht die Frage fehlen, ob Sie vorhaben, die U23 abzuschaffen — so wie es beispielsweise Bayer Leverkusen getan hat. Ich habe aber das Gefühl, in Gladbach kann ich mir die Frage sparen.

Virkus Darüber müssen wir wirklich nicht reden. Die U23 ist unsere höchste Entwicklungsmannschaft, unser Talentebecken. Man muss sich nur einmal anschauen, woher die Spieler stammen, die aufgrund der Verletztenlage gerade die Profis auffüllen. Zum ersten Mal, seit ich Nachwuchsdirektor bin, hatten wir in mehreren Spielen eine Achse aus Spielern, die gerade aus der eigenen Jugend gekommen sind: Marcel Benger, Aaron Herzog, Mirza Mustafic im Mittelfeld, Florian Mayer und Michel Lieder in der Abwehr. Die Probleme der Mannschaft kommen nicht von einem mangelnden Grundpotenzial, denn das ist sehr gut. Aufgrund ihres geringen Alters unterliegen die Jungs großen Schwankungen. Das spüren mit Ausnahme von Borussia Dortmund aber viele U23-Mannschaften

Im vergangenen Sommer ist Otto Addo als Trainer für den Übergang gekommen. Ist das so ein Alleinstellungsmerkmal?

Virkus Otto Addo ist ein super Typ und hat nicht nur fachlich, sondern auch menschlich eine hohe Qualität. Nur so kommst du an Spieler ran. Hinzu kommt, dass er selbst alles erlebt hat. Otto gibt den Spielern die letzte Veredelung, und diese paar Prozentpunkte können den Ausschlag geben. Das war eine richtig gute Entscheidung des Klubs, diesen Job zu schaffen. Otto ist unglaublich akribisch bei der Arbeit: Er guckt die Spiele, analysiert viel und setzt es dann um auf dem Platz. Dadurch wächst das Vertrauen, und die Jungs reden auch mal über private Probleme. Die hört Otto sich an, kommt dann zu mir oder zu Max Eberl. Er kann aber auch selber filtern: Was sollten die da oben wissen? Was müssen die vielleicht gar nicht wissen?

Die Nachwuchsarbeit besteht aus unglaublich vielen Bausteinen. Das neue Internat gehört buchstäblich dazu. Was ändert sich außer der Anzahl der Spieler, die dort einziehen?

Virkus Durch die Verdopplung der Plätze ändert sich auf jeden Fall die Betreuungssituation. Du benötigst andere pädagogische Fachkräfte. Wir sind gerade dabei, entsprechendes Personal zu suchen. Qualitativ wird es besser, weil die Jungs durch den Neubau am Rand des Trainingsgeländes aus dem schnellen Leben hier im Borussia-Park rausgenommen werden. Durch das Hotel und das neue Funktionsgebäude wird es am Stadion eine andere Frequenz geben. Das können wir ein wenig entschleunigen. Hinzu kommt, dass wir flexibler reagieren können. Wir können Spielern, die nicht hier wohnen, mal einen Platz anbieten, wenn sie Probleme haben. Ein zweiter Vorteil ist, dass wir Spieler, an denen wir Interesse haben, in der Realsituation checken können. Die laufen eine Woche mit und wohnen im Internat. Sportlich sollten wir immer eine gute Entscheidung treffen, aber das ließe uns die Persönlichkeit besser beurteilen.

Macht das für Sie nach fast zehn Jahren in diesem Job immer noch den Reiz aus, dass sich alles ständig entwickelt?

Virkus Viele haben die Jugendarbeit im Fußball als Geschäftsmodell entdeckt. Vier, fünf Klubs hatten ein Alleinstellungsmerkmal, dann kamen andere hinzu, die das mit viel Geld kopiert haben. Dadurch gibt es eine riesige Konkurrenzsituation. Du musst immer hellwach sein und schauen, wohin der Trend geht — ohne die eigene Philosophie zu verlieren.

Was macht die in Gladbach aus?

Virkus Wir wertschätzen unsere Jugendspieler sehr und gehen sozial mit ihnen um. Und es wird immer unser Weg sein, dass wir Spielern aus der eigenen Jugend einige Kaderplätze zur Verfügung stellen. Auf bestimmte Quoten will ich mich da nicht festlegen. Und du musst empathisch bleiben. Wenn wir die Jungs und ihre Eltern, die zum Gespräch hier waren, fragen, wie es war, dann heißt es: Es gibt Sachen, die kann man messen. Aber ein paar sind nicht messbar, Gefühle in erster Linie. Und die Leute haben ein gutes Gefühl, wenn sie hier waren.

Das Interview führte Jannik Sorgatz.

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