Borussia Mönchengladbach Das größte Gefühl aller Zeiten

Mönchengladbach · Borussia Mönchengladbach kann am Samstag erstmals den Einzug in die Champions League klarmachen. Unser Autor und Fan beschreibt das Warten auf den historischen Moment.

Gladbach - Bremen: Einzelkritik
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Wenn es passiert, werde ich küssen. Wer auch immer neben mir steht, ich werde ihn küssen. Vielleicht werde ich auch explodieren. So eine richtig schöne Explosion mit einem lauten Knall, und hinterher muss jemand, der nicht ich bin, die Sauerei wegwischen. Oder aber ich baue mir aus der Energie einen Raketenantrieb und fliege zum Mond. Nein, zum Mars.

Seit Tagen bereite ich mich auf das größte Gefühl aller Zeiten vor. Am Samstag gegen 17.15 Uhr ist es vermutlich so weit und sonst eben am letzten Spieltag: Borussia Mönchengladbach wird sich für die Champions League qualifizieren. Nicht für die Qualifikation wie vor drei Jahren und dann ausscheiden, sondern für die Gruppenphase. Wo die Großen spielen. Barcelona, Madrid, Chelsea. Wenn ich die Augen ein bisschen zukneife, spielt Gladbach nicht nur gegen die Großen, sondern gehört auch zu ihnen.

Mönchengladbach hat noch nie in der Champions League gespielt. Am 12. April 1978 hat das Team zum letzten Mal im Vorgängerwettbewerb gespielt, dem Europapokal der Landesmeister. 0:3 im Halbfinale gegen Liverpool, und danach war die große Zeit der Fohlen-Elf vorbei. Am 12. April 1978 wussten meine Eltern noch nicht einmal, dass es den anderen gab. Als ich Anfang der 90er kurz nach der Einschulung zum Borussia-Fan wurde — ein Autogramm von Hans-Jörg Criens war Schuld — rettete sich das Team so gerade vor dem Abstieg.

Unser Autor übt schon mal die Ekstase.

Unser Autor übt schon mal die Ekstase.

Foto: Ronny Hendrichs - www.hendrichs.

Besser wurde es nur kurz. Danach immer schlechter. Abstiegskampf, 2:8, 1:7, Abstieg, Aufstieg, Giovane Elber, wieder Abstieg, Aufstieg, Abstiegskampf, Abstiegskampf, Abstiegskampf. Ich kannte es nicht anders, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass es je anders werden würde. Das Leiden war zwar manchmal erträglich, aber immer da. Dass dieser Verein fünf Mal Deutscher Meister geworden war, musste eine Lüge sein, die sich alte Fans solange erzählten, bis sie selbst daran glaubten.

Dann kam Lucien Favre. Er sprach "Abrakadabra", und plötzlich liefen die Spieler nicht mehr über den Platz, als wollten sie Mais darauf anbauen, sondern um Fußball zu spielen. Rettung in der Relegation. Europapokal. Noch mal Europapokal. Beste Mannschaft der Rückrunde. Das war ungefähr so, wie sich 20 Jahre hintereinander den Film "Titanic" anzusehen, und beim 21. Mal geht das Schiff nicht unter, sondern schafft es nach Amerika. Und beim 22. Mal auch.

Selbstverständlich rechne ich weiterhin damit, dass es beim 23. oder 24. Mal doch wieder untergeht. Das ist in der DNA eines jeden Borussia-Fans programmiert, der nach 1980 geboren wurde. Erfolge halten wir bloß für einen fiesen Trick, um Fallhöhe zu schaffen. Deshalb plane ich das Schlimmste auch weiterhin ein: Dass Borussia die nächsten zwei Spiele verliert, Leverkusen die nächsten zwei gewinnt, wir in die Qualifikation müssen, dort ausscheiden und in der Europa League dann wieder in Zypern spielen.

Deshalb halte ich das Warten auf den Moment, in dem das Unglaubliche passiert, das so glaublich erscheint, kaum aus. Kein Abstiegskampf mehr, kein Zypern, dafür Barcelona. Ich will doch endlich explodieren.

Vielleicht irre ich mich auch kolossal. Vielleicht sollte ich mich gar nicht so sehr auf den größten Moment aller Zeiten freuen. Vielleicht sollte ich lieber diese Tage bis zum nächsten Spiel genießen. Vorfreude hat im Unterschied zur Freude den Vorteil, dass sie wächst. Freude schrumpft bloß. Sehnsucht ist ein schöneres Gefühl als Sehnsucht, die sich erfüllt hat. Der Moment, in dem Borussia in die Champions League einzieht, markiert den Höhepunkt der Freude, und danach kann es nur noch schlechter werden. Bis dahin scheint alles möglich, sogar die Meisterschaft 2016, und vier Monate später geht es gegen Bate Borisov und dann steht es 0:2 und alles ist Realität.

Ach könnte es doch nie Samstag werden.

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