Borussia Mönchengladbach "Das macht uns vielleicht einzigartig in der Bundesliga"

Mönchengladbach · Borussias Vize-Präsident spricht über Weihnachten, seine Papst-Audienzen, Fernschüsse, Borussias Perspektiven, Einnahmequellen, Ungerechtigkeiten im Europapokal und WM-Nachwehen.

 Rainer Bonhof hofft auf Stabilität in der Rückrunde.

Rainer Bonhof hofft auf Stabilität in der Rückrunde.

Foto: dpa, Roland Weihrauch

Herr Bonhof, Sie sind gläubiger Christ. Was bedeutet für Sie Weihnachten?

Bonhof Genau das, was Weihnachten ist: Es ist das Fest der Besinnung und das Fest der Familie. Diese Dinge versuche ich für mich aufrechtzuhalten. Wir werden in diesem Jahr über Weihnachten weg sein, aber vorher habe ich meine Familie besucht.

Gerade in dieser Zeit rücken die Kirche und ihr Oberhaupt, der Papst, in den Vordergrund. Sie hatten zwei Audienzen in Rom. Bitte beschreiben Sie, wie es sich anfühlt, dem Papst gegenüberzustehen.

Bonhof Ich war 2011 bei Benedikt auf dem Petersplatz und in diesem Jahr in der Karwoche bei Franziskus. Es ist sehr berührend und ergreifend und warm, diese Menschen strahlen etwas aus. Mit Benedikt hatte ich ein tolles Gespräch, da ist letztlich auch das Spiel unserer Weisweiler Elf gegen die Vatikan-Mannschaft herausgekommen. Als ich zurückkam, hatte ich ein seltsames Gefühl, es war innerlich bewegend. Einmal, weil man Gottes Stellvertreter getroffen hat, aber auch, weil diese Menschen große Persönlichkeiten sind.

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Sie haben das Spiel der Weisweiler Elf gegen das Vatikan-Team angesprochen. Es war das erste Mal, dass die Vatikan-Mannschaft außerhalb ihres Territoriums gespielt hat. Ist es wichtig für die Kirche, sich über den Sport zu öffnen?

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Foto: Instagram

Bonhof Zunächst war es recht zähflüssig mit dem Spiel. Ich habe das ja mit Benedikt besprochen und es dann bei Franziskus noch mal angesprochen. Er ist bekanntlich großer Fußball-Fan - es ging dann ganz schnell. Es war ein großer Auftritt für das Vatikan-Team. Wir versuchen jetzt im nächsten Jahr ein Rückspiel hinzukriegen.

Sport und Fußball sind für manche Menschen eine Art Ersatz-Religion.

Bonhof Das fing bei der WM 1986 ja sozusagen mit Maradonas Hand Gottes an (grinst). Im Ernst: Ich glaube eher daran, dass jeder gläubig ist und der Sport wie die Kirche Menschen verbindet.

Im Borussia-Park gibt es eine Zelle, aber keine Kapelle. Die war mal geplant - wird sie noch realisiert?

Bonhof Richtig, die Kapelle hatten wir im Kopf. Aber wir mussten uns erst mal auf andere Dinge konzentrieren, als wir vor zehn Jahren den Borussia-Park gebaut haben. Wir wollten ein schönes Zuhause für Borussia schaffen. Grundsätzlich passt ein Ort der Besinnung natürlich in ein Stadion. Es muss ja nicht unbedingt eine Kapelle sein, es kann auch ein Gedenkstein sein, der dann gesegnet wird.

In einer Fußballmannschaft arbeiten Spieler mit vielen verschiedenen Glaubensrichtungen zusammen - und es funktioniert.

Bonhof Der Sport ist das beste Beispiel dafür, wie Völkerverständigung funktionieren kann. Denn innerhalb einer Mannschaft geht jeder respektvoll miteinander um und man hat als Gemeinschaft ein Ziel. Der Sport lebt, wovon an anderer Stelle nur geredet wird.

Gehen wir auf den Platz: Früher sagte der Liverpooler Torwart Ray Clemence, Rainer Bonhof schießt schärfer als Wyatt Earp. Wie schießen denn Havard Nordtveit und Granit Xhaka?

Bonhof (grinst) Ähnlich, würde ich sagen. Beide haben einen richtig starken Schuss - und ich würde mir wünschen, dass sie es öfter mal aus der Distanz versuchen. Aber so richtig kann man das nicht vergleichen, denn wir hatten damals noch schwere Lederbälle, heute sind die Bälle aus Kunststoff. Wenn sie aber treffen, das haben wir gesehen, dann heißt es für den Torwart: Nacht Matthias. Die Stürmer vorne sollten in den Situationen auf der Hut sein, es gibt immer wieder Abpraller, die man verwerten kann.

Was hat Ihnen besser gefallen: Nordtveits Hammer in Zürich oder Xhakas brachialer Schuss in Villarreal?

Bonhof Da habe ich keinen Favoriten. Beide Schüsse waren wunderbar. Ich habe in beiden Fällen vorher gesagt: Ich glaube, er haut das Ding rein. Fernschüsse sind eine absolute Waffe im Spiel, das habe ich immer gesagt.

Der Fernschuss war bei Borussia vor dieser Saison ein wenig verpönt. Jetzt gibt es sozusagen einer Art Wiederauferstehung. Freut Sie das?

Bonhof Das ist nicht nur ein Phänomen bei uns. Wenn man auf die WM in Brasilien schaut, gab es in Brasilien unheimlich viele Fernschüsse, bei denen dann auch das Nachsetzen bei Abprallern zu vielen Toren geführt hat. Das war natürlich Anschauungsunterricht für alle Spieler. Und man sieht in der gesamten Bundesliga, dass es wieder öfter versucht wird.

Die Renaissance der Weitschüsse ist ein positiver Aspekt. Was hat Ihnen an Borussias Hinrunde sonst noch gefallen?

Bonhof Die Konstanz, die die Mannschaft gezeigt hat. Die Mannschaft hat mit den 18 Spielen ohne Niederlage einen Uralt-Rekord gebrochen, das ist aller Ehren wert. Und es steht für das, was die Mannschaft in der Hinrunde abgeliefert hat. Natürlich gab es individuelle Schwankungen, aber es ist toll, wie die Mannschaft wieder aufgestanden ist, wenn etwas schief gegangen ist. Gerade in den drei Spielen, die hintereinander verlorengegangen sind. Ihr habt dann ja auch von einer Krise geschrieben, wir haben das aber nie so gesehen, weil wir gesehen haben, wie die Mannschaft spielt. Sie hat sich immer dagegen gewehrt, das war wichtig.

Wo fängt denn eine Krise an?

Bonhof In der Rückrunde der Vorsaison haben wir am Anfang sieben Spiele nicht gewonnen. Das war noch mal eine andere Situation. Aber eine richtig schwere Phase war eher das, was vor vier Jahren war. Wir standen ganz unten und es gab eine Opposition, die den Verein übernehmen wollte. Auch das würde ich aber nicht als Krise bezeichnen, aber es war die größte Herausforderung und eine der dunkelsten Zeiten für den Verein. Wir waren immer überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein - und ich würde sagen, die aktuelle Situation gibt uns recht.

Borussia ist in der Bundesliga Vierter und überwintert sowohl im Europapokal als auch im DFB-Pokal. Was ist in der Rückrunde noch möglich?

Bonhof Das kann ich nicht sagen. Es ist im Prinzip alles möglich. Wir sind nach wie vor in einem vernünftigen Aufbau. Wir sind stabil und müssen es auch bleiben. Wenn es so ist, werden wir immer wieder die Chance haben, im Bereich Europa dabei zu sein. Aber die Liga ist unberechenbar. Schalke ist zwischenzeitlich gestrauchelt, steht jetzt aber oben mit uns - und wer hätte vor der Saison gedacht, dass Dortmund solche Probleme haben würde. Dafür kommen andere Mannschaften wie Augsburg plötzlich oben rein. Damit hat keiner gerechnet. Es ist alles sehr eng. Alles, was wir jetzt an Punkten haben, hilft uns, die Plätze, die wir am Ende der Saison gern belegen wollen, vielleicht zu schaffen. Aber ich lege mich nicht auf ein Ziel fest. Wir hatten in der Hinrunde wenig Verletzungs-Probleme und konnten daher viel rotieren. Wir bleiben dabei: Wir wollen stabil bleiben.

Über die Saison hinaus: Borussia hat eine stabile und wirtschaftliche Basis. Wohin geht es langfristig?

Bonhof Unser Ziel war es ja immer, in den Sport investieren zu können. Wir müssen hier am linken Niederrhein natürlich schauen, welche Einnahmen man noch generieren kann. In Städten wie Hamburg oder München gibt es sicherlich andere Möglichkeiten. Daher müssen wir kreativ sein und vernünftig haushalten. Aber alles, was wir aufgebaut haben, dient dazu, die Mannschaft besser zu machen.

Welche Rolle spielt künftig der asiatische Markt? Viele Vereine haben den für sich schon erschlossen, in dem Sie asiatische Spieler holen, die dann für Aufmerksamkeit in Ihrer Heimat sorgen.

Bonhof Entscheidend ist, dass die Spieler, die man verpflichtet, sportlich auch helfen müssen. Wir sind im Scouting gut aufgestellt und haben den Markt im Blick, auch den asiatischen. Die Frage ist immer, ob man investiert und was das bringt. Es muss einfach passen. Im Moment schauen wir mehr auf Europa als auf andere Bereiche der Welt. Man darf ja auch nicht andere Aspekte vergessen: Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede.

Ein anderer Weg, Geld zu generieren ist, mit Konzernen zusammenzuarbeiten, siehe Wolfsburg. In der Zweiten Liga schicken sich Klubs wie RB Leipzig oder Ingolstadt an, aufzusteigen - und vielleicht muss der eine oder andere Traditionsklub den entgegengesetzten Weg gehen. Nehmen die sogenannten Plastik-Klubs Überhand?

Bonhof Ich mache da keinem Klub einen Vorwurf, welchen Weg er wählt, Geld zu generieren. Jeder Verein muss seinen Weg finden. Wir haben unseren Weg und Gott sei Dank alles selbst in der Hand. Das macht uns vielleicht sogar einzigartig in der Bundesliga, weil wir nichts ausgegliedert haben. Für uns ist es der richtige Weg, der uns auch stark macht. Das bedeutet aber auch, dass wir im Moment nicht in der Lage sind, Transfers für 20 oder 25 Millionen Euro und mehr zu machen. Aber wir bleiben bei unserer Linie und arbeiten daran. Was wir einnehmen, geben wir aus, das ist unser Ansatz - und damit sind wir konkurrenzfähig.

Ein anderer Weg, Geld zu verdienen, ist das internationale Geschäft. Borussia ist in der Europa League unbesiegt in die Zwischenrunde eingezogen - das hat schon rund sieben Millionen Euro eingebracht. Jetzt geht es zum FC Sevilla. Gefällt Ihnen das Los?

Bonhof Nicht so richtig. Sevilla ist der Titelverteidiger und spielt guten Fußball. Aus meiner Zeit in Spanien weiß ich, wie heißblütig die Andalusier sind und welche Atmosphäre im Stadion herrschen wird. Es könnte für uns ein Vorteil sein, dass wir zuerst auswärts spielen. Für uns ist es eine große Herausforderung, die wir annehmen. Wir müssen in beiden Spielen alles abrufen - dann werden wir sehen, wer unter dem Strich die Nase vorn hat.

Sevilla ist stark, aber die "Absteiger" aus der Champions League sind Borussia erspart geblieben.

Bonhof Die sollte es gar nicht geben. Man sollte die Wettbewerbe trennen. Warum macht die Uefa den Dritten der Champions League stark, der schon seine 20 Millionen Euro verdient hat. Die Klubs kommen dann in die Europa League und profitieren da auch. Das ist für mich Wischiwaschi. Warum sollen die, die nur Dritter werden, nicht tief fallen? Man sollte beide Ligen getrennt halten, dann wäre die finanzielle Schere auch nicht so groß.

Die Torlinientechnik wird kommen. Borussia hat sich diesbezüglich auch klar positiv positioniert. Mit welchen Neuerungen könnten Sie sich noch anfreunden? Beispielsweise die Zahl der Auswechslungen zu erhöhen oder eine Auszeit pro Halbzeit einzuführen?

Bonhof Ich würde sagen, mehr Auswechslungen brauchen wir nicht - und auch keine Auszeit. Die Torlinientechnik finde ich gut, wobei ich glaube, dass es nicht so viele Ereignisse geben wird, bei denen sie eingesetzt wird. Allerdings werden es wichtige Ereignisse sein, bei denen man sie braucht. Dass man die Entscheidungen so abdeckt, ist richtig. Ich gehe mal von zehn bis 15 Prozent Wahrscheinlichkeit aus, dass es ein menschliches Versagen bei Schiedsrichterentscheidungen gibt. Diese Prozente werden durch die Torlinientechnik aufgefangen.

Dann wird es keine Wembley-Tore mehr geben.

Bonhof Das ist richtig. Aber wir sind im Fußball in einem anderen Stadium angekommen als damals. Es gibt viele Dinge, auch finanzieller Art, die mit dem Fußball zusammenhängen. Darum muss man ein gewisses Sicherheitsnetz einbauen - und das ist die Torlinientechnik. Dass es dann vielleicht weniger Themen für Stammtischdebatten gibt, ist klar. Aber daran werden wir uns gewöhnen.

Vor 40 Jahren waren sie Weltmeister. Gerade wird viel darüber geredet, wie die aktuellen Weltmeister in der Nach-WM-Saison drauf sind. Wie schwer ist es, nach so einem Triumph wieder auf dem Boden anzukommen?

Bonhof Ich war damals der Youngster im Team - und als junger Mensch muss man mit der Situation erst mal zurechtkommen. Heute ist das Drumherum natürlich ein Vielfaches von dem, was damals passierte. Heute gibt es viel mehr Medieninteresse und die vielen sozialen Netzwerke, in denen alles hochgejazzt wird. Dementsprechend ist der äußere Einfluss auf die Spieler ein völlig anderer, als es früher bei uns war. Natürlich hatte ich damals Teamkameraden, die gesagt haben, ich soll wieder runterkommen. Bei mir hat es bestimmt zwei Monate gedauert, bis ich das verarbeitet hatte. Jetzt bei Christoph Kramer dauert es vielleicht noch etwas länger, weil eine völlig andere Ebene da ist durch all die Sendungen und Beiträge, die es gibt. Dass es zuletzt ein wenig aus den Fugen geraten ist, muss jetzt abgeschlossen sein. Wir müssen alles ruhig halten und uns auf das Wesentliche konzentrieren - das ist, was auf dem Platz passiert.

Für 2015 gilt also: In Ruhe Fußball spielen.

Bonhof Wenn wir uns auf uns konzentrieren, sind wir stark. Je besser wir alles Drumherum ausblenden können, desto besser sind wir. Der Leitfaden sollte sein, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, wie Lucien Favre immer sagt, von Spiel zu Spiel, die Aufgaben anzunehmen und dann umzusetzen. Punkt. Das war in den vergangenen Jahren unsere Stärke, das hat uns stabil gemacht. Dabei sollten wir bleiben.

KARSTEN KELLERMANN UND STEFAN KLÜTTERMANN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

(RP)
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