Dieter Hecking im Interview "Ich will die Fans durch Arbeit überzeugen"

Dieter Hecking spricht im Interview mit unserer Redaktion über seine ersten fünf Tage als Trainer von Borussia Mönchengladbach, die Balance zwischen Reden und Zuhören, mögliche Winter-Transfers und den Schatten Lucien Favres.

Dieter Hecking im Porträt: Trainerstationen, Erfolge
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Das ist Dieter Hecking

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Foto: dpa/Marius Becker

Herr Hecking, wissen Sie noch, wie Sie am 20. Dezember 2016 den Abend verbracht haben?

Dieter Hecking Ich glaube, ich habe ein bisschen Gladbach gegen Wolfsburg im Fernsehen geguckt.

Damit nehmen Sie die zweite Frage vorweg. Es war davon auszugehen, dass Sie bei "Sky" am letzten Spieltag vor der Winterpause nicht nur die Konferenz ausgewählt haben.

Hecking Nein, ich habe schon etwas genauer hingeguckt. Aber das wäre aufgrund meiner Wolfsburger Vergangenheit sowieso so gewesen.

Hinzu kam, dass Max Eberl Ihnen bereits ein Zeichen gegeben hatte, sich etwas intensiver mit Borussia Mönchengladbach zu beschäftigen. Was ist das für eine Situation, wenn Sie wissen, dass ein Kollege noch diesen Trainerjob hat, Sie ihn aber bald beerben könnten?

Hecking Zwischen Max und mir war besprochen, dass Borussia das ganz offen gegenüber André Schubert kommuniziert. Dass der Verein sich vorbereiten muss, wenn die Ergebnisse nicht mehr kommen. Es ist natürlich immer schade, wenn ein Kollege seinen Stuhl räumen muss, weil nie der Trainer alleine verantwortlich ist. Man sieht ihn da stehen und weiß, was in ihm vorgeht. Schön ist das nie, das kann ich nach Wolfsburg aus eigener Erfahrung sagen. Das war meine erste Beurlaubung. Aber das gehört eben zu unserem Job dazu.

Sie sprechen bewusst von "Beurlaubung" und nicht von "Entlassung"?

Hecking Man darf sich nicht zu sehr in die Kritik nehmen lassen, auch wenn man den einen oder anderen Fehler gemacht hat. Auch in Wolfsburg fehlte am Ende das nötige Quäntchen Glück und es kamen ein paar Dinge zusammen, die zu der Beurlaubung geführt haben. Entlassung klingt so, als wenn man irgendetwas verbrochen hätte. Ich habe auch wert darauf gelegt, dass in der Mitteilung des VfL Wolfsburg "Beurlaubung" steht und nicht "Entlassung". Da das Wort "Urlaub" drinsteckt, habe ich das auch erst einmal so empfunden, wenn auch ungewollt.

Als sie kurz vor Weihnachten den Vertrag in Mönchengladbach unterschrieben haben, ging es dann wirklich erst einmal in den Urlaub. Wie lernt ein Trainer in Norwegen eine Bundesligamannschaft kennen?

Hecking Wer mich kennt, der weiß, dass ich zu jedem Bundesligaverein etwas sagen kann. So lange war ich nicht raus. Ich habe das Geschehen trotzdem verfolgt und noch in dieser Saison mitgewirkt. Durch vorangegangene Spiele wusste ich, was mich bei Borussia erwarten könnte — im positiven wie im negativen Sinne. Deshalb war das nicht allzu schwierig. Max Eberl hat mir ein paar Sachen mitgegeben. Das habe ich mir angeschaut, aber ich wollte gleichzeitig sehr unvoreingenommen am 4. Januar starten.

Was wäre denn Ihre erste Einschätzung gewesen, wenn wir Sie am 22. Dezember zur Situation bei Borussia befragt hätten?

Hecking Borussia war gut gestartet in die Saison. In der Champions League waren die Gegner sehr gut und da hat die Mannschaft verdammt viele Körner gelassen. Durch Verletzungspech und Ergebnisse ist sie in so einen Strudel reingekommen, der überhaupt erst zur Diskussion um André Schubert geführt hat. Für mich hatte die Mannschaft zu wenig Torgefahr, das extrem gute Umschaltspiel hat nicht mehr so stattgefunden und dazu war sie anfällig geworden in der Defensive.

Fünf Trainingstage haben Sie hinter sich. Ist es besonders gut, momentan fernab der Heimat arbeiten zu können? Es ist ein Kennenlernen wie auf Klassenfahrt.

Hecking Es ist immer gut, zu erleben, wie die Spieler in der Gruppe agieren — ohne dass ich permanent hinschaue, sie sollen auch ihre Freiheiten genießen. Nach dem Motto: Der Trainer kriegt zwar alles mit, muss aber nicht alles wissen. Wir haben wenig Zeit bis zum ersten Spiel in Darmstadt, weshalb ich viel reinpacken muss in die Einheiten. Dazu kommen die ersten Einzelgespräche. Ich will den Spielern vermitteln, dass sie es eigentlich viel besser können.

"Hereinhorchen" ist ein Wort, das Sie schon öfter benutzt haben. Gleichzeitig ist viel Reden angesagt, auch auf dem Platz, wo Sie viel unterbrechen und erklären. Was ist die richtige Balance?

Hecking Wenn das Aufwärmen vorbei ist, ist es schon wichtig, dass meine Co-Trainer mal an den Rand treten und ich den Spielern meine Vorstellungen vermittle. Gleichzeitig sind Einheiten wichtig, in denen ich mal nur stiller Beobachter bin. Gerade die jungen Spieler brauchen jetzt sicher etwas Feedback vom Trainer.

Das 4-2-3-1-System tragen Sie als Etikett ein wenig mit sich wie eine Telefonnummer. Ist das Ihr Ausgangspunkt: Das Optimum wäre es, mit einer Mannschaft perfekt dieses System füllen zu können, und von diesem Punkt aus justieren Sie jetzt?

Hecking Es hat sich immer ein wenig von selbst ergeben mit dem 4-2-3-1. In Lübeck habe ich es eingeführt, weil ich total davon überzeugt war. Dann bin ich nach Aachen und dort gab es die perfekten Spieler dafür, mit Erik Meijer als Stoßstürmer. In Hannover hatten meine Vorgänger schon so spielen lassen, das nimmt man dann gerne auf. Hier ist es eine andere Situation. Borussia war im 4-4-2 sehr erfolgreich...

... das von Lucien Favre geprägt wurde.

Hecking Genau, dort wurde sehr weit nach hinten gearbeitet, die Mannschaft stand 30 Meter vor dem Tor sehr kompakt und kam sehr über das schnelle Umschaltspiel. Aber als Borussia mit der Dreierkette 3:1 gegen Bayern gewonnen hat, haben wir auch alle geschwärmt. Es war auch das einzig Richtige von André Schubert, nach diesem Erfolgserlebnis daran festzuhalten. Deshalb kann das 4-2-3-1 mal kommen, es ist für mich aber momentan nicht in Stein gemeißelt. Die Mannschaft sollte das System spielen, in dem sie sich wohlfühlt.

Haben Sie schon einen ersten Eindruck, in welche Richtung das gehen könnte?

Hecking Man muss da aufpassen. Ich bin gar nicht so sehr ein Freund davon, im Detail über Systeme zu sprechen. Die Übergänge sind heutzutage so fließend. Wenn sich ein Tobias Strobl im 4-4-2 von der Sechserposition nach hinten fallen lässt, haben wir schon wieder eine Dreierkette. Im Spiel wird so viel gewechselt, diese Variabilität haben mittlerweile so viele Mannschaften, deshalb ist das für mich nicht das relevanteste Thema.

Die heutige Spielergeneration hat diese Flexibilität früh erlernt. Inwiefern haben die Profis in Taktikfragen heutzutage mehr Mitspracherecht?

Hecking Jeder Trainer hat einen ganz klaren Plan im Kopf. Den wird er seinen Spielern immer vermitteln wollen. Dass man sie mehr mitnehmen muss und nichts mehr in Stein gemeißelt ist, hat sich sicherlich in den vergangenen zehn Jahren so ergeben.

Als Sie Profitrainer mit Mitte 30 wurden, gab es im Kader sicherlich Spieler, die Sie noch aus Ihrer aktiven Zeit kannten. Inzwischen könnte alle Ihre Söhne sein. Was verändert sich dadurch für Sie?

Hecking Das Fatale ist ja, dass ich mich mit 52 alt fühlen soll, wie ich da ein bisschen heraushöre. (lacht) Ich fühle mich total jung, weil ich das Riesenglück habe, dass ich fünf Kinder zwischen 15 und 30 Jahren habe. Die decken die ganze Palette ab, die ich hier bei den Spielern vorfinde. Deshalb kann ich unheimlich gut nachvollziehen, was die Jungs bewegt.

In Bezug auf Ihre neue Mannschaft hat Max Eberl oft das Adjektiv "sauber" benutzt. Etwas kritischer ließe sich auch von "sensibel", "empfindsam" und zuletzt von "träge" sprechen. Unter Ihnen dient nun der berühmte "Trainerwechsel-Effekt" als Motivation. Wie ist Ihr erster Eindruck vom Charakter der Mannschaft?

Hecking Was vorher gewesen ist, will ich gar nicht beurteilen, sondern mir ein eigenes Bild machen. Natürlich sehe ich in den ersten fünf Tagen den "Trainerwechsel-Effekt". Jeder will sich zeigen. Entscheidend wird sein, wie es ist, wenn in Darmstadt vor dem ersten Pflichtspiel gesagt wurde: Diese elf spielen, diese sieben sind im Kader. Wenn es dann immer noch so ist, hat diese Mannschaft keine Trägheit, sondern wird den Fußball spielen, den wir uns von ihr erhoffen.

In vier Wochen gehen die Englischen Wochen wieder los, und von denen wollen Sie danach noch einige haben. Nur bis dahin können Sie also richtig intensiv am Stück trainieren. Ein ambitioniertes Unterfangen.

Hecking Das habe ich vorher gewusst. Den Punkt muss ich so annehmen, wie er ist. Natürlich wäre eine Woche mehr Vorbereitung gut, weil am Ende die verletzten Spieler noch näher an der Mannschaft wären. Auf die, die zu Hause sind, freue ich mich ungemein, weil sie die Konkurrenzsituation im positiven Sinne noch einmal verschärfen können. Wenn uns das gelingt, können wir noch viele Englische Wochen spielen.

Einen Neuen haben sie bekommen, den der Verein schon vor Ihrer Verpflichtung im Auge hatte — Timothée Kolodziejczak. Ist es denkbar, dass sie in zwei Wochen sagen: Mir ist da einiges aufgefallen, eigentlich müssten wir auf dem Transfermarkt noch etwas machen?

Hecking Ich bin kein großer Freund von Winter-Transfers. Mit "Kolo" bin ich absolut d'accord. Max Eberl hatte mich darüber informiert, den Spieler kannte ich auch. Durch den Ausfall von Álvaro Dominguez war da eine Planstelle offen. "Kolo" wird uns verstärken. Natürlich darf ich als Trainer nie ausschließen, dass wir noch etwas machen. Wir beobachten den Markt, aber das ist business as usual.

Sie sind also nicht in Habachtstellung?

Hecking So ist es. Je mehr wir von außen hinzufügen, desto mehr Unruhe gibt es. Unruhe ist aufgrund der Tabellensituation schon genug da. Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt auf Qualität setzen. Es kommen ja auch ein paar Verletzte noch zurück. Fabian Johnson könnte in ein paar Tagen wieder einsteigen, Patrick Herrmann ist vor seiner Zeit, Nico Elvedi ist schmerzfrei, vielleicht haben wir da Glück gehabt, und Ibrahima Traoré möchte ich natürlich auch so schnell wie möglich dabei haben, er sendet auch positive Signale. Die Mannschaft freut sich genauso auf die vier. In den Englischen Wochen werden Sie uns hoffentlich wieder helfen können. Nur Marvin Schulz fällt länger aus.

Josip Drmic ist nach acht Monaten Verletzungspause ein halber Zugang. Unter Ihnen als Trainer hatten viele Mittelstürmer eine gute Zeit. Muss man auf Drmic ein besonderes Auge haben?

Hecking Auf jeden Fall. Josip hat eine schwierige Zeit hinter sich. Ich kenne Ihn aus Nürnberg zwar nicht persönlich, aber über den damaligen Manager Martin Bader habe ich mich informiert. Josip ist ein Spieler, der den Ball klatschen lässt, steil geht, zum Abschluss kommt — das ist prädestiniert für Borussia Mönchengladbachs Spielweise. Ich wünsche ihm erst einmal, dass er verletzungsfrei bleibt und uns noch sehr helfen kann.

Sie haben es in Wolfsburg erlebt, dass viele Spieler auf dem Sprung waren. Wie sehr spielt der Blick auf den Sommer 2017 eine Rolle? 2018 laufen viele Verträge aus: Mo Dahoud, Fabian Johnson, André Hahn unter anderem.

Hecking Damit habe ich mich bislang noch nicht beschäftigt. Klar, solche Themen wie Andreas Christensen oder Mo Dahoud hat man schon mal kurz besprochen. Aber ich hoffe ohnehin, dass alle bleiben. Auch den beiden Genannten würde es guttun, weiter hier zu reifen und nicht direkt den nächsten Schritt zu machen. Wolfsburg war trotz der hohen Gehälter nie in der Lage, alle Spieler zu halten. Selbst Dortmund hat im vergangenen Sommer wichtige Leute verloren. In Deutschland werden nur dem FC Bayern keine Spieler weggekauft. Auch als Trainer in Mönchengladbach wird man immer damit leben müssen.

Ihr eigener Weg ist immer als linear beschrieben worden: Die Vereine sind von Aachen über Hannover, Nürnberg und Wolfsburg gewachsen, mal in allen Belangen, mal in Bezug auf das finanzielle Volumen. Wie ordnen Sie Borussia da ein mit deutlich mehr Fans als Wolfsburg, aber auch weniger Geld?

Hecking Es gibt zwischen Gladbach und Wolfsburg allein schon von den Vereinsmodellen her gravierende Unterschiede. Ich kann über meinen alten Arbeitgeber aber sagen, dass ich mich dort nicht von ungefähr fast vier Jahre wohlgefühlt habe. Klar, es ist ein Werksklub mit der Mutter Volkswagen, aber sportlich ist Wolfsburg von der Struktur sehr gut aufgestellt. Ein Trainer hat dort Möglichkeiten wie fast nirgendwo anders.

Und Borussia?

Hecking Die ist das komplette Gegenbild dazu. Sie hat aus der Tradition heraus, aufgrund der großen Erfolge in der Vergangenheit und ihrer Spielweise eine unglaubliche Beliebtheit in Deutschland gewonnen. Solche Vereine gibt es nicht viele. Wolfsburg und Gladbach haben eine gewisse Wirkung auf mich. Über Wolfsburgs Angebot war ich damals wahnsinnig froh, weil ich erstmals die Möglichkeit hatte, eine Mannschaft von Champions-League-Format zusammenzustellen. Das wäre in Nürnberg nicht möglich gewesen. In Gladbach sehe ich diese Möglichkeiten, obwohl es in der Bundesliga unglaublich eng ist und du dir keine Ausrutscher erlauben darfst. Denn es wird immer Mannschaften wie Frankfurt, Hoffenheim und Berlin geben, die in der Lage sind, eine gute Saison zu spielen. Wenn wir im erweiterten Kampf um Europa dauerhaft dabei sind, ist die Borussia auf einem guten Weg.

In Borussia ist die Menge der Fans im Vergleich zu Wolfsburg sicherlich der größte Faktor. Unter André Schubert war immer von Lucien Favres Schatten die Rede. Spüren Sie den auch noch?

Hecking Es ist immer schwierig, wenn man auf einen sehr erfolgreichen Trainer folgt. Doch André hat auch sehr gute Arbeit abgeliefert. Wer kann schon behaupten, eine Mannschaft nach null Punkten aus fünf Spielen in die Champions League geführt zu haben?

Keiner.

Hecking Eben, diese Leistung sollte man auch hoch genug ansetzen. Ich freue mich riesig aufs erste Spiel im Borussia-Park. Der Empfang war sehr herzlich an einem kalten Januartag. Ich will durch Arbeit überzeugen und dann werde ich sicher auch die Zuneigung der Fans spüren.

Ein Auswärtssieg in Darmstadt könnte sehr hilfreich sein.

Hecking Wir haben gleich zweimal die Möglichkeit auswärts. Wer hat das schon zum Start als Trainer? (lacht)

(RP)
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