Dirk Bremser im Interview "Der Standard ist der einfachste Weg zum Tor"

Mönchengladbach · Borussias neuer Co-Trainer spricht über sein Spezialgebiet und sagt, warum er auf klassische Werte wie Disziplin und Ordnung setzt.

 Trainer Dieter Hecking mit seinem Co-Trainer Dirk Bremser.

Trainer Dieter Hecking mit seinem Co-Trainer Dirk Bremser.

Foto: dpa, gki lof

Dirk Bremser ist in seinem Element. Er schnellt aus dem Sessel hoch, wippt hin und her, simuliert eine Situation auf dem Trainingsplatz. In diesem Moment ist er ganz der Ruhrpottmensch aus Bochum: kämpferisch, emotional, engagiert, offen, ehrlich, authentisch. "Siegermentalität" müssen Borussias Fußballer haben, sagt Bremser, "und es reicht nicht nur, davon zu sprechen, sondern man muss alles dafür tun". Im Spiel, aber auch im Training. Darum müssen die Verlierer der Trainingsspiele bei Borussia nun ein paar Runden mehr drehen als die Sieger. Bremser (51) ist als Co-Trainer mit dem neuen Chef Dieter Hecking nach Gladbach gekommen. Mit Karsten Kellermann und Jannik Sorgatz sprach er über seinen Traumjob, Handyverbote und Standards, die seine Spezialdisziplin sind.

Herr Bremser, Sie haben in Ihrer Karriere fünf Bundesliga-Tore erzielt. Zwei davon in Gladbach, beim 4:0 mit Bayer Uerdingen auf dem Bökelberg. Außerdem haben die Teams, die Dieter Hecking und Sie trainiert haben, Borussia auswärts nicht viel gegönnt: Es gab in acht Spielen sieben Siege und ein Remis. Ist das ein gutes Omen für einen Co-Trainer-Job bei Borussia?

Dirk Bremser Sie haben vergessen, dass es immer viele Standard-Tore für unsere Teams gegen Gladbach gab (grinst). Aber von solchen Statistiken halte ich nicht viel. Außerdem: Was kann mir denn Besseres passieren, als jetzt hier zu arbeiten? Ich will gar nicht schleimen, aber es ist so: Ich habe schon immer auf Gladbach geschaut, schon von frühester Jugend an. Für mich war es ein tolles Erlebnis, als Profi auf dem Bökelberg zu spielen, davon habe ich als Kind geträumt. Und dann machst du zwei Tore, was für ein Glücksgefühl. Das werde ich nie vergessen. Und jetzt arbeite ich bei dem Klub.

Seit fast 17 Jahren sind Sie ein Gespann mit Dieter Hecking. Wie kommt das?

Bremser Er hat mir von Anfang an das Gefühl gegeben, nicht nur zweiter Mann zu sein, sondern auch meine Ideen einbringen zu können. Wir haben in Lübeck angefangen, als Dieter aus Verl geholt wurde. Ich war schon da und hatte vorher ein paar Monate den Cheftrainerjob gemacht. Wir haben uns dann aber darauf geeinigt, einen anderen Trainer zu holen. Es hat sich Vertrauen aufgebaut, dann Loyalität und Freundschaft. Aber auch, natürlich in den eigenen vier Wänden, ein kritischer Umgang. Ich bin keiner, der zu allem Ja und Amen sagt.

Sind Sie damit eine innere Kontrollinstanz im Trainerteam?

Bremser Das ist zu hart ausgedrückt. Ich würde sagen, es ist eine Hilfestellung.

Wenn Sie schon mal Chefcoach waren, warum sind Sie wieder ins zweite Glied gerückt?

Bremser Als Co-Trainer kann ich alle meine Fähigkeiten einbringen. Für mich ist das eine Berufung. Ich bin ein lockerer Typ, der versucht, immer positiv und optimistisch zu sein. So versuche ich, die Spieler mitzunehmen. Die Aufgabe des Co-Trainers ist es auch, zu den Spielern Vertrauen aufzubauen. Sie müssen wissen, dass nicht alles, was man mir sagt, nach oben geht. Als Co-Trainer kannst du natürlich auch mal mit den Spielern flachsen und mal Scherze machen. Das geht als Chef-Trainer eher nicht, da muss eine autoritäre Distanz da sein.

Also ist man als Co-Trainer eher beim Du als der Chef? Er ist Herr Hecking, Sie sind Dirk?

Bremser Oder "Bremse". Grundsätzlich muss das natürlich jeder Trainer selber wissen, wie er das handhabt. Ich halte das so, weil ich den Spielern in meiner Funktion auf Augenhöhe begegnen will.

Ganz der Ruhrgebiets-Mensch.

Bremser Vielleicht. Es geht auch darum, Spaß zu haben bei der Arbeit. Wer Spaß hat, dem fällt manches leichter.

Auch auf dem Trainingsplatz?

Bremser Ganz sicher. Natürlich muss man seriös arbeiten. Aber eben auch mit Freude. Man kann es in den Trainingsformen auch verbinden. Nehmen wir das Fußballtennis. Es macht Spaß und schult die Technik unter Druck, die Wahrnehmung, das Rückwärtslaufen. Natürlich: Nichts ersetzt Siege. Die bringen die meiste Lockerheit und den meisten Spaß. Aber wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, die Erfolg wahrscheinlicher machen - und dazu gehört, dass man gern die Arbeit macht. So muss man auch den Spielern vermitteln, dass die Arbeit gegen den Ball Spaß macht. Das versuchen wir in Trainingsformen zu vermitteln. Man hat beim 0:0 in Darmstadt schon gesehen, dass wir gegen den Ball gut gearbeitet haben. Wir haben aus dem Spiel heraus nichts zugelassen. Natürlich wird die Defensive in Spielen wie nun in Leverkusen mehr auf die Probe gestellt.

Was in Darmstadt nicht so klappte, war der Torschuss. Wie vermittelt man Sicherheit vor dem Tor?

Bremser Man kann auch das in Spielformen einbauen. Wenn man Passfolgen einstudiert, kann man dabei Tore aufstellen zum Zielschießen. Die Spieler müssen immer wieder aus unterschiedlichen Position abschließen und haben Erfolgserlebnisse. Die helfen. Wenn Tore nicht fallen, ist das vom Kopf her schon komplex ...

... ist das wirklich so? Der Ball muss doch einfach nur ins Tor.

Bremser Klar. Aber denken Sie an die Spielsituation. Habe ich vor dem Tor einen Puls von 180? Wie fit bin ich? Wie steht es? Ist Druck da? Das meine ich mit komplex. Ansonsten hat das vor allem mit Vertrauen zu tun. Die Jungs müssen das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten haben. Das versuchen wir ihnen zu vermitteln. Nehmen wir Raffael: Natürlich hat er die Qualität, den Ball in Darmstadt reinzumachen. Aber das ist eben der Kopf. Wir müssen uns das wieder erarbeiten. Darum war das 0:0 in Darmstadt wichtig. Alle waren erleichtert, mal wieder zu Null gespielt zu haben. Das sind die kleinen Schritte, von denen Dieter Hecking spricht.

Welche Rolle spielt der Trainereffekt?

Bremser Die Vereine erhoffen sich von einem Trainerwechsel einen neuen Impuls. Alle müssen sich neu positionieren und wollen ihre Stärken zeigen. Es gibt eine neue Ansprache. Für die Mannschaft ist es zu Anfang wichtig, die neuen Trainer kennenzulernen. Es geht ja auch um Vertrauen. Das geht vor allem über Einzelgespräche. So verschafft man sich einen Eindruck, erfährt, was die Spieler anzubieten haben. Man lässt dann alles auf sich wirken, schaut, was da war an guten Sachen. Es war ja vorher nicht alles schlecht.

Was wirklich nicht gut ist, schon seit Jahren, sind die Standards. Werden Sie das ändern? Sie gelten als Experte für Standards. In Wolfsburg waren die Werte in dieser Disziplin top. Wird das in Gladbach jetzt auch so?

Bremser Wenn das so einfach wäre. Das hängst ja von vielen Faktoren ab. Wir haben uns in Wolfsburg viele Dinge erarbeitet, das Vertrauen der Spieler wächst, wenn daraus Tore fallen. Es ist ja auch immer die Frage: Wie viele und welche Kopfballspieler hast du im Team? Wie ist der Gegner aufgestellt? Wichtig sind Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit bei den Schützen. Du kannst bestimmte Abläufe trainieren, du musst aber auch den Gegner überraschen. Es ist viel Kleinarbeit. Letztlich ist es eine Entwicklung.

Gehört dazu, dass Oscar Wendt jetzt mit dabei ist, wenn es Freistöße gibt?

Bremser Ja, auch das. Entscheidend ist aber, zu verstehen, welche Vorteile Standards bieten, selbst der Einwurf. Es ist ein Ballbesitz. Grundsätzlich ist der Standard der einfachste Weg, ein Tor zu erzielen, weil man selbst bestimmt, was passiert, weil man den Ball hat. Als Profi sollte man dann eben in der Lage sein, einen ruhenden Ball richtig zu platzieren. Wie man dann einläuft, mit welcher Wucht und welcher Überzeugung, das ist dann die nächste Frage: Wie verteidigt der Gegner, im Raum oder am Mann? Aber wenn der Ball richtig kommt, dann ist er auch schwer zu verteidigen.

Borussia hat einige gute Schützen. Raffael, Thorgan Hazard, Ibo Traoré. Auch der junge Lazslo Bénes ist gut bei Standards.

Bremser Stimmt. Und Will Ndenge. Wichtig ist, sich Standards rund um den Strafraum zu erarbeiten. Bayer Leverkusen hat da ein Paradebeispiel: Wie viele Standards Stefan Kießling in jedem Spiel herausholt, ist unglaublich. Ich halte ihn für einen total fairen Profi, aber er macht alles dafür, die Standards zu bekommen. Leverkusen hat in Calhanoglu einen ganz starken Schützen, aber er darf auch in jedem Spiel elf, zwölf Standards schießen. Es geht nicht darum, etwas zu schinden. Wer aber den Gegner im und am Strafraum fordert, bekommt auch Standards. In Darmstadt hatten wir keinen Freistoß am Strafraum. Da kann man kein Tor machen. Das ist schade. Es ist ja oft so, dass ein Standard dem Spiel eine ganz neue Richtung geben oder es entscheiden kann.

Wie beim 0:1 in Augsburg, als Martin Hinteregger nach einer Ecke traf.

Bremser Genau so etwas darf nicht passieren. Das war mit das Erste, was ich dem Team gesagt habe: So ein Tor darf niemals fallen. Es war ein klares 0:0. Oder das 1:2 gegen Köln. Wenn da die Mauer zentral zum Ball steht, geht das Ding niemals rein. Die Spieler müssen verstehen: Ein kleiner Fehler im Detail kann große Folgen haben. Es ist darum auch wichtig, wie man Standards verteidigt. Grundsätzlich sollte man sie in Strafraumnähe vermeiden, das ist die erste Regel. Standards sind gerade heute immer wichtiger geworden. Wenn man sich da die Statistiken anschaut, sieht man: Fast jedes dritte Tor bei den großen Turnieren fällt durch Standards. Ich meine damit weniger Elfmeter oder direkte Freistöße, als die indirekten Standards, Ecken und Freistöße. Die Spieler müssen einfach wissen, was da möglich ist. Ich sage: Jeder einzelne Standard ist wichtig.

Wäre es nicht eine hübsche Regeländerung, wenn man für Standards Spieler eigens einwechseln kann? Wie früher beim Handball Erhard Wunderlich, der für die Angriffe reinkam?

Bremser (lacht) Dann hätten wir ja bald nur noch 50-Mann-Kader. Ich würde ein paar Funktürme einkaufen und einen Juan Arango wieder holen. Na ja, das wird ja nicht so kommen. Gleichwohl ist es so, dass man im Kader wegen der Standards defensiv wie offensiv auf Kopfballstärke achten muss. Ich rede da nicht nur von Größe, sondern auch über Laufwege. Deswegen ist es in der Spielvorbereitung auch wichtig, Standards zu scouten, zu schauen, welche Varianten die Gegner haben. Man muss immer hellwach sein, gerade bei der Verteidigung von Standards. Denn was für einen selbst gilt, wenn man einen Standard bekommt, gilt dann für den Gegner: Er bestimmt, was passiert.

Sie sind Standard-Experte. Wird es in den Trainerteams in Zukunft weitere Spezifizierungen geben? Einen Viererketten-Trainer zum Beispiel?

Bremser Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere Verein das machen wird. Aber auch so ist ein Trainerteam recht komplex. Wir haben hier in Gladbach zwei Co-Trainer, einen Torwart-Trainer und auch die Athletik-Trainer gehören zum Trainerteam. Ich finde, man muss aber schon schauen, dass ein Trainerteam übersichtlich bleibt. Klar, es kann noch ein Freistoßtrainer, ein Eckentrainer, ein Trainer für Kopfbälle dazu kommen, aber man muss sehen, welchen Sinn das macht. Wir teilen uns die Arbeit ja auch ein, so dass jeder irgendwo spezifische Aufgaben hat. Und ich denke auch, dass es ausreicht. Man sollte Trainerteams nicht unendlich ausweiten. Irgendwo hat alles seine Grenzen - es muss natürlich jeder Verein für sich abstecken, was sinnvoll ist und wie der Kosten-Nutzen-Effekt ist.

Was ist mit dem Thema Psychologe?

Bremser Das wird ja immer wieder diskutiert. Ein bisschen ist man sicher auch als Co-Trainer Psychologe. Es hängt natürlich davon ab, wie sehr man jemanden an sich ranlässt als Spieler. Aber wenn Vertrauen da ist, kann man über vieles sprechen und auch helfen.

Ist es ein Vorteil, selbst Profi gewesen zu sein?

Bremser Das kann schon sein. Man kennt jedenfalls die Bedürfnisse der Spieler und kann darauf eingehen. Wichtiger ist aber, dass Dieter und ich den Trainerjob von unten auf gelernt haben. So haben wir uns alles Stück für Stück erarbeitet, diese Erfahrungen nimmt man mit. Man muss als Trainer auch mit der Zeit gehen. Allerdings sollte man sich nicht verbiegen.

Haben Sie einen Trainer-Coach? So etwas ist ja heutzutage auch modern.

Bremser Ich habe jemanden, mit dem ich arbeite, um mich fortzubilden. Ich finde es wichtig, Dinge auch mal aus einer anderen Sicht kennenzulernen und dazuzulernen, wenn sich etwas verändert. Nehmen wir die digitale Entwicklung, die ja für die Spieler heute sehr wichtig ist. Man muss sich da schon informieren, damit man auch Verständnis schaffen kann für Sachen, die man vorgibt. Klar, wir können einfach etwas vorgeben, aber das bringt nichts.

Was ist Ihnen wichtig?

Bremser Disziplin und Respekt sind Werte, ohne die es nicht geht, wenn ein Team funktionieren soll. Man kann sicherlich unterschiedliche Grenzen setzen. Lockerer zu sein, ist manchmal sogar schwieriger als streng zu sein. Man muss als Trainer eine gewisse Menschenkenntnis haben, um das richtig hinzukriegen.

Was ist in der Kabine verboten? Handys?

Bremser Ja, und auch beim Spaziergang vor dem Spiel und beim Essen sind Handys nicht erlaubt. Die Spieler sollen sich unterhalten, wenn sie zusammen am Tisch sitzen. Es geht um Kommunikation, Gemeinschaft und auch um den Fokus. Wenn ständig Handys klingeln, lenkt das ab. Auch auf dem Rasen muss beim Training Ordnung herrschen - und in der Kabine, wenn wir Gäste sind. Die können wir nicht wie einen Saustall verlassen.

Disziplin bedeutet auch, den Job ernst zu nehmen.

Bremser Das ist richtig. Wer das tut, wird von sich aus vieles richtig machen. Schlafen, richtige Ernährung. Entscheidend ist auf dem Platz auch die nötige Stabilität. Erinnern Sie sich mal an den AC Mailand früher. Wenn man mit den Jungs zusammenprallte, war das wie gegen eine Wand zu prallen. Es tat weh. Das hat auch mit Dagegenhalten zu tun. Gerade in Zeiten der Dreifachbelastung ist es entscheidend, fit zu sein. Dann man kann sich schneller von den Belastungen erholen.

Kontrollieren Sie die Spieler?

Bremser Wir sind ja keine Kontrollfreaks. Wir vertrauen den Spielern und setzen voraus, dass sie verstehen, was wichtig für sie ist. Es ist ja logisch, dass man nicht am Tag vor dem Spiel bis drei Uhr nachts vor der Playstation sitzt. Wir setzen auf die Eigenverantwortung der Spieler. auch auf dem Platz sind die Spieler gefordert, Verantwortung zu übernehmen und sich gegenseitig zu helfen. Da ist sicherlich gerade die mittlere Achse gefragt, aber auch die anderen.

Termin Am Dienstag um 14 Uhr testet Borussia auf dem Fohlenplatz des Stadions gegen den Zweitligisten VfL Bochum

(RP)
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